Politsatire über US-Wahlkampf: Was hat Amerika bloß so ruiniert?
Jon Stewarts Komödie "Irresistible" macht sich mit den einfachen Amerikanern gemein. Aber seine Kritik am Politbetrieb fällt harmlos aus.
Ende 2016 zog es den Talkshow-Moderator Stephen Colbert in die Wälder. In einer Hütte stieß er auf einen verwilderten Eremiten, der sich über ein Jahr von fermentierten Beeren ernährt hatte. In der Zwischenzeit war in Amerika viel passiert: Das Land hatte einen geistesgestörten Wahlkampf hinter sich, an dessen Ende Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen war.
„Der Typ aus ,The Apprentice‘?“, stieß Jon Stewart ungläubig zwischen seinem Bartgestrüpp hervor. Der Gastgeber einer Reality-Show? Es war die traurige Pointe eines guten Sketches. Amerika konnte Stewart für einen Moment um seine segensreiche Unwissenheit beneiden: In seiner Realität hieß die Präsidentin Hillary Clinton.
Über zehn Jahre galt Jon Stewart mit seiner „Daily Show“ als härtester politischer Kommentator des Landes, seine Kritik zielte auf Barack Obama genauso ab wie auf dessen Vorgänger Bush. Als Stewart 2015 zurücktrat, war das Feld, das heute Colbert, Jimmy Kimmel, Seth Meyers, John Oliver, Trevor Noah und Samantha Bee unter sich aufteilen – politische Comedy im Talkshow-Format – gerade erst bestellt.
Also ging Colbert in den Wald, um zu verstehen, was mit Amerika geschehen war. Wer wäre dazu besser prädestiniert als Polit-Augur Stewart mit seinem messerscharfen Sarkasmus? Doch der hatte ein Sabbatical eingelegt.
Was ist mit Amerika passiert?
Seit seinem Rückzug kam immer wieder mal die Frage auf, was Jon Stewart eigentlich so macht. Gelegentlich tauchte er bei seinem Freund Colbert auf oder er kommentierte den Midterm-Wahlkampf 2018. Jedes Cameo war eine kleine Meldung wert. Die Politsatire „Irresistible“ gibt jetzt Antwort auf die Frage, was Stewart zuletzt am meisten beschäftigt hat.
Leider erweckt seine zweite Regiearbeit eher den Eindruck, dass er immer noch in seiner Waldhütte hockt. In drei Monaten wählt Amerika wieder, die Zeit für eine Bestandsaufnahme der vergangenen vier Jahre könnte also nicht besser sein. Warum verlor die Karrierepolitikerin Clinton gegen einen lachhaften Politnovizen, wo sich doch alle, bis auf den letzten sogenannten Experten, so siegesgewiss gegeben hatten?
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Stewart sucht die Antwort im Herzen der Nation, einem mythischen Ort, den er „Rural America, Heartland USA“ nennt. Der Befund ist ja hinreichend bekannt: Trump nahm in den überwiegend weißen Landstrichen Amerikas Clinton die entscheidenden Stimmen ab. In Wisconsin, einer demokratischen Hochburg, machte sie erst gar keinen Wahlkampf.
Arbeit und Glaube sind keine republikanischen Werte
Hier liegt auch der fiktive Ort Deerlaken, der plötzlich auf dem Radar des Washington-Strategen Gary Zimmer (Steve Carell) aufploppt. Das Video eines Farmers und Veteranen, der sich auf einer Gemeindeversammlung für die Rechte illegaler Arbeiter einsetzt und amerikanische Werte beschwört, geht im Netz viral.
Gary hat sich gerade erst aus einer tiefen Depression herausgekämpft, die Titelcredits laufen – zu Bob Segers Heartland-Rocker „Still the Same – über eine Montage aus Bildern des 2016er-Wahlkampfs. Strippenzieher wie Gary sind, mehr noch als Clinton, das Gesicht dieser Schmach.
Er hat in Jack Hastings (Chris Cooper) die perfekte Munition für die Demokratische Partei gefunden, um der „Grand Old Party“ zu zeigen, dass Arbeit, Militär und Glaube keine republikanischen Werte seien, wie Gary seinem Team eintrichtert. Deerlaken soll Testgebiet für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf werden, Lokalpolitik als Labor für die nationale Bühne.
Die Demokraten wollen sich Wahlkreis für Wahlkreis zurückholen: Colonel Jack soll mit der Hilfe Washingtoner Thinktanks den republikanischen Bürgermeister des von der Rezession niedergerungenen Städtchens herausfordern. Vorher allerdings studiert Gary erst mal den Wikipedia-Eintrag über Wisconsin.
Stewart kritisiert die etablierten Medien
Die Kritik am Establishment, Politik wie Medien, gehörte lange vor Trump zum Programm Stewarts. Bereits 2004 kritisierte er in einem denkwürdigen Interview mit Tucker Carlson (damals noch bei CNN) die Selbstgefälligkeit der Medien, die jedes Gespür für die Stimmung im Land verloren hätten. Nach vier Jahren unter Trump kann man allerdings auch dem einstigen Propheten eine gewisse Denkfaulheit attestieren.
„Irresistible“ hat es auf die weichen Ziele in der US-Politik abgesehen, auch ein ernsthaftes Interesse an den Bewohnern von „Rural America, Heartland USA“ zeigt er nicht – wobei sich die Holzschnittartigkeit der Figuren, ohne zu viel zu verraten, immerhin als gelungene Truman-Show-Simulation entpuppt.
Dass am Ende von „Irresistible“ der Politbetrieb dumm aus der Wäsche guckt, ist in Stewarts Kritik sozusagen eingepreist. Das verspricht schon die Besetzung mit Steve Carell, der die personifizierte Ignoranz zu seinem Rollenprofil erkoren hat. Gerade erst wieder in der Trump-Farce „Space Force“ auf Netflix.
Wenig Vertrauen in die demokratischen Institutionen
Stewarts sprechendes Sinnbild amerikanischer Politik ist in „Irresistible“ Mackenzie Davis, die die Tochter des Colonels spielt, beim Besamen einer Kuh: Ihr Arm steckt bis zur Schulter im Enddarm des Tieres.
Stewarts Kritik an dem, was in der amerikanischen Politik aktuell hinten rauskommt, sucht aber auch keinen optimistischen Gegenentwurf mehr wie etwa die Filme Frank Capras (ein offensichtliches Vorbild), die noch von einem Grundvertrauen in die demokratischen Institutionen erzählten. Gary und seine republikanische Kontrahentin Faith (Rose Byrne) sind Berufszyniker mit einer postpolitischen Agenda.
Das macht „Irresistible“, bei aller ausgestellten Harmlosigkeit, zu einem so verbitterten Stück Politsatire. Die Screwball-Comedy-Dynamik zwischen Carell und Byrne besitzt immerhin eine hochreaktive Chemie; sie bekommt am Ende auch den besten Spruch, eine böse Retourkutsche. Sie habe mehr politisches Gespür in ihrer Klitoris, wirft Faith Gary sinngemäß einmal an den Kopf, als die gesamte männliche Expertenriege, die 2016 so katastrophal daneben lag.
In elf Berliner Kinos, OV: Cubix, Rollberg
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