Museumsbesuche mit Mund-Nasen-Schutz: Was für ein Privileg es ist, mit der Kunst allein zu sein
Endlich öffnen die ersten Berliner Museen ihre Türen. Es gelten Zeitfenster und Zugangsbeschränkungen. So lässt sich Kunst ganz neu erleben.
Kommt man vom Hackeschen Markt, geht’s gleich rechts hinter der Spreebrücke zur Alten Nationalgalerie, die am gestrigen Morgen in vollstem Sonnenlicht dasteht, hochaufgereckt das Reiterstandbild ihres königlichen Schutzherren.
Die Warteschlange vor dem Eingang ist nur ein Schlänglein. Dennoch geht’s nur im Minutentakt weiter. Im Inneren dann findet der Besucher die Kassen bestens besetzt – warum eigentlich, wo doch ein im Internet erworbenes Zeitfensterticket obligatorisch ist?
Ach, sehen wir darüber hinweg und genießen das Museum: So schön haben wir es noch nie gesehen. Das Hauptgeschoss mit der Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts leuchtet prachtvoll in dunkelroter und blaugrüner Wandgestaltung.
Menzel, der größte deutsche Maler der zweiten Jahrhunderthälfte – ein einziger Genuss. In einem der kleinen, ovalen Kabinette in der „Apsis“ des Museums gleich drei Hauptwerke beieinander, dazu auf schmalem Wandfeld der „eigene Fuß“, erworben 1998. In den beiden Obergeschossen – kunstchronologisch gesehen, muss man oben anfangen und dann nach unten gehen – setzt sich die so ungemein logische, plausible Präsentation fort.
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Welchen Reichtum doch die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, in der Alten Nationalgalerie kontrastiert mit den besten Franzosen, voran Manet! Ganz oben, bei Caspar David Friedrich, erspäht man erstmals mehr als ein oder zwei Besucher.
Soweit wir zu stören wagen – mancher hat den Audioguide am Ohr –, handelt es sich um Berliner, bestens übers Internet informiert, darunter zwei ältere Damen, die ihre Lieblingsbilder mit derselben Sorgfalt enträtseln, wie sie die Maler des 19. Jahrhunderts selbst in deren Ausführung übten.
Die gleiche Freude und Lebhaftigkeit hätten wir gerne auch im Alten Museum gefunden; indes, da ist der Publikumszuspruch gering. Keine Warteschlange draußen, und allenfalls ein oder zwei Personen in den Sälen, die uns doch aufs Verständlichste die Welt der Antike nahebringen wollen. Ein Jammer.
Hier, wo denn sonst, können wir lernen, woher wir kommen und welche Existenzängste wir mit denen teilen, die doch nur scheinbar Jahrtausende vor uns gelebt haben.
Begeisterung für klassizistische Bildhauerkunst
Eine feierliche, heitere Stille liegt über den Räumen. „Amor und Psyche in Kindergestalt“ – hat nicht gerade dieses antike Sujet die klassizistischen Bildhauer begeistert, drüben in der Nationalgalerie? Hier ist nichts von der Muffigkeit so mancher Antikensammlung.
Natürlich sind auch hier die Besucher, die wir fragen, aus Berlin. Ein Paar bleibt vor der Landkarte des Mittelmeerraumes stehen. „Wo waren wir?“, fragt sie ihn. „In Ephesos“, antwortet er und markiert einen Punkt auf der Karte. Urlaubserinnerungen.
Die Reise findet im Museum statt, ein zweites Mal, oder eine ganz neue wird gewagt, durch Raum und Zeit. Wenn die Hiergebliebenen dieses Schatzhaus doch nur für sich nutzen wollten! Bernhard Schulz
[Alte Nationalgalerie und Altes Museum, Museumsinsel (außer diesen beiden Häusern ist noch das Pergamon-Panorama geöffnet), Di-So 10-18 Uhr.]
Ausflug ins Georg Kolbe Museum
Die kontemplative Idylle des Georg Kolbe Museums erleben
Klapp, klapp, zwei Autotüren fallen zu. Im Westend beginnt die Stunde Null nach der Corona-Schließung der Berliner Museen am Montagmorgen unaufgeregt. Drei Damen und ein Herr streben dem Georg Kolbe Museum im Westend zu.
Das ehemalige Atelier des Bildhauers öffnet nach acht Wochen wieder. Und zwar zuerst nur für „Risikogruppe“. Bis elf dürfen nun täglich nur fünf maskierte Leute hinein. Alle haben sich telefonisch angemeldet. Im weiteren Tagesverlauf sind 15 Menschen gleichzeitig in den lichten Räumen erlaubt.
Schlag zehn öffnet sich die Tür. Eine lächelnde Dame weist den Weg zur Garderobe. Drinnen steht Direktorin Julia Wallner mit Maske: „Schön, dass Sie wieder da sind.“
Den für alle Fälle eingesteckten Allergiepass will keiner sehen. Die Definition der „Risikogruppe“ überlässt das Museum den Besuchern. Das könne jeder selbst einschätzen, sagt Julia Wallner. Wie es die Vierergruppe gehalten hat, die sich schon munter in der Landart-Ausstellung „how green ist the grass“ des Niederländers hermann de vries (bis 23. August) verteilt?
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„Wir sind alle über 60“, sagt die Initiatorin des Museumsausflugs. Als sie hörte, dass das Kolbe Museum wieder aufsperrt, habe sie gleich angerufen. Die Schau des Naturkünstlers wollte sie sowieso sehen „und das Haus unterstützen“.
Durch die hohen Fenster grüßt üppiges Maiengrün aus dem Kolbe-Garten. Der Regen prasselt auf die Oberlichter des einzig zugänglichen der aus den 20er Jahren erhaltenen Berliner Künstlerateliers. Dieses den Geist des Neuen Bauens atmende Haus war schon immer ein kontemplatives Idyll.
Fünf Menschen verlaufen sich zwischen hermann de vries’ getrockneten Gräsern, seinen Baumwurzel-, Stein-, und Laubanordnungen. Nur seine aus schweren Atemgeräuschen und Vogelgezwitscher komponierte Soundcollage „i breathe“ bekommt durch die Covid-19-Erkrankung eine neue, abgründige Bedeutung.
Es geht gesittet zu
Nichts ist mehr selbstverständlich, am wenigsten der menschliche Atem, das ureigenste Lebenszeichen. An der Eingangstür schellt’s. Die Dame von der Kasse vertröstet den Herrn auf später, wenn die Risikogruppe raus ist. Der Abgewiesene dreht klaglos bei.
Im gutbürgerlichen Westend geht es gesittet zu. „Die Leute sind unsicher und wollen wissen, ob wirklich auf ist“, sagt sie. Unkontrollierte Massenaufläufe waren hier auch vor Corona unbekannt. Das bei Sonntagsausflüglern beliebte Café K wird ohnehin gerade restauriert.
Die Stunde nähert sich dem Ende. Fünf Menschen mäandern Richtung Ausgang. Der Herr aus der Vierergruppe bedankt sich bei der Einlasserin. „Toll, dass es wieder losgegangen ist.“ In der Tat. Wer fragt nach diesen Wochen noch nach eitlem Konsumtand? Luxus, das ist (fast) allein sein mit der Kunst. Gunda Bartels
[Georg Kolbe Museum, Mo-So 10-18 Uhr.]
Besuch in der Gemäldegalerie
In der Gemäldegalerie von Venedig träumen
Um zehn Uhr an diesem noch sonnigen Dienstag, da die Gemäldegalerie ihre Zwangspause beendet, lassen sich die Menschen, die ins Museumsensemble des Kulturforums wollen, an zwei Händen abzählen. Nur: Ist das hier an einem Wochentag um diese Uhrzeit nicht immer so?
Trotzdem: Es ist herrlich, in den meisten der über dreißig Räume der Gemäldegalerie allein zu sein, bis auf das Aufsichtspersonal, versteht sich, und sich in Ruhe den vielen Rembrandts widmen zu können. Oder sich mit den Gemälden von Canaletto, Francesco Guardi oder Francesco Albotto nach Venedig zu träumen.
Nach und nach füllen sich die Räume – ob das an einem x-beliebigen Wochentag sonst auch so war? Sechzig, siebzig Leute würde man reinlassen, heißt es am Eingang. Man habe ja Zeitfenster beim Online-Ticketverkauf eingerichtet, und an die würde man sich auch halten bei spontanen Besucherinnen und Besuchern, die zur Kasse kommen.
In den beiden kleinen Raffael-Räumen, dem mit Raffaels Madonnenbildern und dem mit den wunderbaren, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Radierungen aus dem Leben Raffaels von dem Göttinger Künstler Johannes Riepenhausen, wird es dann auch enger, vergleichsweise. Wie gehabt ist in der Gemäldegalerie natürlich alles viel zu viel.
Die Pop-Art wirkt arg blass
Es braucht Zeit, um sich zu orientieren, zu durchschauen, was extra und neu arrangiert wurde, was ständig am selben Platz hängt, man muss eine Auswahl treffen. Ja, und dann ist da noch der Nachklapp zur Mantegna/Bellini-Ausstellung und in der Wandelhalle die große Skulpturen-Installation des britischen Bildhauers Anthony Caro, die hier naturgemäß wie ein Fremdkörper wirkt.
Das ist nebenan in der „Pop on Paper“-Ausstellung anders. Hier präsentiert das Kupferstichkabinett seine Sammlung von Pop-Art-Druckgraphiken. Vor den Lichtenstein-Comic-Strips oder den Warhol-Campbell’s-Dosen-Siebdrucken ist ordentlich was los. Knallt eben, alles schön bunt.
Doch wirkt dieser Pop arg blass, scheint er seine Zeit gehabt zu haben. So ein Frauenporträt von Domenico Veneziano aus dem 15. Jahrhundert, Porträts, die Künstler wie Lotto oder Botticelli gemalt haben, sie strahlen viel mehr, sind glamouröser auch auf ihren Oberflächen, halten ewig.
Was jemand wie Andy Warhol nur zu gut wusste. Es braucht jedenfalls nach einem gut zweistündigen Besuch der Gemäldegalerie keinen Pop auf dem Papier mehr. Gegen Mittag lässt sich bei nun wolkenverhangenem Himmel konstatieren: business as usual am Kulturforum, wie gut! Gerrit Bartels
[Gemäldegalerie, Kulturforum, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr.]
Letzte Station: Martin Gropius Bau
Im Martin Gropius Bau geht es um Geschenke und Rituale
Ich bin die Nummer 96. Wir freuen uns, dass wir endlich wieder geöffnet haben, sagt der Museumswärter und strahlt, soweit sich das hinter seinem Mundschutz erkennen lässt. 145 Besucher dürfen sich gleichzeitig in den beiden Ausstellungen im Gropius Bau aufhalten. Über den Tag verteilt können es also bis zu tausend Besucher werden, je nach Aufenthaltsdauer. Am ersten Nachmittag sind es längst nicht so viele, gut so, das Haus ist im Probierstadium, mit 16-seitiger Maßnahmen-Broschüre und unbesetzter Garderobe, auf eigenes Risiko. Kurze Wartezeit im Erdgeschoss, auch gut so.
[Gropius Bau, Sa-Mi 10 - 19 Uhr, Do/Fr 20-21 Uhr.]
Gebremstes Leben, Entschleunigung, Intensität. Wie still ein Foto sein kann, stellt man später im zweiten Stock fest. Ich bin allein mit den Fotografien des Berliner Nigerianers Akinbode Akinbiyi, afrikanisches Viertel im Wedding, Straßen in Lagos, keine Menschenmengen, sondern flüchtige Gestalten, Schilder, Einzelgänger, höchstens Autogedrängel am Busbahnhof.
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Der Lärm der Welt wie verschluckt, leise surrt die Klimaanlage. Die National Gallery in London bietet online Fünf-Minuten-Mediationen vor einzelnen Gemälden an, hier kann ich mich analog vertiefen, verlieren. Bilder haben es nicht eilig, schönes Geschenk.
Unten, bei Lee Mingwei, geht es in allen Sälen um Geschenke und Rituale. Im ersten Raum stehen drei hohe, halbtransparente Kabinen. Schuhe aus, bitte eintreten, man kann einen Brief schreiben, eine Frage, eine Erklärung, eine Entschuldigung, etwas, das man schon lange mal los werden wollte
Das dauert ein bisschen, deshalb der kleine Stau, mehr als drei Personen dürfen nicht in den Raum. Ich schreibe an eine Kollegin, mit der das Tischtuch zerschnitten ist, klebe den Umschlag zu. Die Briefe werden am Ende der Ausstellung gemeinsam verbrannt.
Immersion in Zeiten der Kontaktsperre
Bitte warten, noch mal, in den Ecksälen dürfen es fünf Menschen gleichzeitig sein, aber die Videoinstallation dauert eine Dreiviertelstunde. Wer will, bewirbt sich für ein Dinner oder eine Übernachtung im Museum, mit dem Künstler oder einem Gropius-Bau-Mitarbeiter, das entscheidet.
Nein, das mit Dinner geht derzeit noch nicht, stattdessen darf es eine virtuelle Teestunde sein. Immersion in Zeiten der Kontaktsperre.
Alle so geduldig hier. Man ertappt sich bei einem verwegenen Wunsch: Kann nicht ganz Berlin ein Museum werden, solange das Virus freie Bahn hat? Mit diskretem, freundlichem Wachschutz, der auf den Abstand und die Besucherzahl achtet, mit Piktogrammen auf Bänken und Sofas wie in Lee Mingweis „Living Room“, die um „Max. 1“ Person bitten? Mit aufmerksamen, umsichtigen Begegnungen?
Vier Räume weiter fragt eine Opernsängerin, ob sie einem ein Lied von Schubert schenken darf. Konzert für eine Person: Hier der Stuhl für die Zuhörerin, in der Mitte eine Garderobenstange auf Rollen mit Plexiglasscheibe, auf der anderen Seite die Sängerin. Zögernd, leise, ihre Stimme flattert bis in den Lichthof. Das riesige Sandbild unter dem Glasdach wird am Ende weggefegt werden. Die Zeit rieselt in diesen Tagen. Christiane Peitz