Präsidentschaftswahlkampf in den USA: Warum Trump die Hälfte seines Landes egal ist
Die Mobilisierung seiner Anhänger und die Entmutigung aller anderen ist Trumps Taktik. Um sie durchzusetzen, benutzt er Talk-Radio-Sprache. Die Kolumne Spiegelstrich.
Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“. Sein Buch „Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe" (zusammen mit Stephan Lamby) ist bei C.H.Beck erschienen. Der Dokumentarfilm „Im Wahn“ läuft am 26.10. um 22.50 Uhr in der ARD.
Manchmal brauchen Erklärungen halt etwas länger. Monatelang, jahrelang hatte ich den US-Präsidenten Donald Trump und dessen Regierung beobachtet und mich staunend gefragt: Warum tun er jetzt auch noch dies? Und wieso derart ausgrenzend?
Diffamierungen und Denunziationen
In diesen Tagen, beispielsweise, während er krank ist und Medikamente gegen Covid-19 nimmt: Warum nennt Trump die politische Gegnerin Kamala Harris „Monster“ und verlangt, dass der Rivale Joe Biden „eingesperrt“ wird? Wie will dieser Mann jemals die Nation einen? Zerstört seine Sprache nicht die Demokratie? Ich verstand Trump nicht.
Dann war ich bei dem Radiomoderator Sebastian Gorka zu Besuch, der mich auslachte. Diesem Sebastian Gorka werden ein ergaunerter Doktortitel sowie eine gewisse Nazi-Nähe nachgesagt (beides bestreitet er); der Mann berät Donald Trump.
Und fünfmal pro Woche, ab 15 Uhr, sitzt er allein vor einem Mikrofon und macht, was in Amerika Talk Radio heißt: Behaupten. Beleidigen. Verschwörungstheorien entwickeln.
Diffamierungen und Denunziationen zerstören aber doch Vertrauen, sagte ich.
Gorka guckte, als träumte ich. Er sagte: „Vereinigt sind Diktaturen. Politik hat mit Einheit nichts zu tun. In der Politik geht es darum, wer den Ideenwettbewerb gewinnt. Ist es die Vision, dass alle gleich sind und alles umsonst kriegen? Oder ist es die Vision von Freiheit und Stärke?
Demokratie ist ein Autorennen. Wollen wir doch mal sehen, wer das schnellste Auto hat.“ Heute glaube ich, dass diese zwei Begriffe, das Autorennen und das Talk Radio, wesentliche Aspekte der Trump-Präsidentschaft erklären.
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Erstens: Der Mann will seine Nation nicht einen wie andere Regierungschefs nach einem Wahlsieg, will sie gar nicht zusammenhalten, denn er sieht sich als Präsident der einen Hälfte. Diese hetzt er auf die andere Hälfte.
Die Mobilisierung seiner Anhängerschaft und die Entmutigung aller anderen, das ist Trumps Taktik. Wenn es den 50 Prozent, deren Präsident er nicht sein will, schlecht geht, wenn sie an Covid-19 sterben, ist es ihm egal oder recht.
Zweitens: Trumps Sprache ist die Sprache des Talk Radio. Die anderen sind „korrupt“, „krank“, „unpatriotisch“, „antiamerikanische“, „Feinde“, sowieso „irre“ und „gefährlich“. Im Talk Radio hört er es, dann sagt er es selbst.
Als sich in den achtziger Jahren Amerikas Mittelwellensender gegen die aufkommenden Kurzwellensender (bei denen Musik besser klang) wehren mussten, kamen sie auf Talk, Gerede. Und da viele Amerikaner jeden Tag und stundenlang im Auto saßen, hörten sie zu.
In langen Monologen setzt Limbaugh Lügen in die Welt
Rush Limbaugh aus Missouri, 1951 geboren, ist der Meister des Talk Radio, Limbaugh hat die Art, wie Amerika heute über Politik spricht, erfunden; Trump ist sein bester Schüler und verlieh Limbaugh die „Medal of Freedom“.
Am 1. August 1988 hat Limbaugh bei WABC-AM angefangen. Noch heute rührt er eine Mischung aus konservativen Botschaften und Spaß zusammen, parodiert die Demokraten, inszeniert sich als Kämpfer für die einfachen Amerikaner. Seine Gegner („Imam Obama“) bekommen keine Gelegenheit, sich zu verteidigen.
In langen Monologen setzt Limbaugh Lügen in die Welt, und sein Publikum eint der raunende Glaube, die einzige Gruppe zu sein, die begriffen hat, wie die Dinge wirklich laufen.
In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Wer die Polarisierung der USA verstehen möchte, sollte Talk Radio kennen. Stephen Bannon, Trumps einstiger Chefstratege, macht Talk Radio („War Room“), Sebastian Gorka („America First“) sowieso.
Die 15 meistgehörten Shows sind konservativ in Donald Trumps Sinne, längst auch digital und täglich drei Stunden lang, was 45 Stunden hassenden, hetzenden, bisweilen rassistischen Geredes bedeutet, Woche für Woche.
Klaus Brinkbäumer