Berlinale Generation: Warum Sie diese Filme sehen sollten
Ein starker Jahrgang bei den Jugendfilmen: Toughe Mädchen und nette Jungs schlagen sich durch.
Was bedeutet es heutzutage, ein Kind, ein Jugendlicher zu sein? Wie fühlt es sich an, mit Nachrichten über Armut, Umweltzerstörung, Kriege und zunehmend rechte Parolen groß zu werden? In einer Welt zu sein, die aber manchmal auch so bunt ist wie die kleine Stadt, in der Candice Phee aus „H is for Happiness“ lebt. Neben Fröhlichkeit gibt es jedoch noch etwas anderes im Leben der Zwölfjährigen: „Ich fürchte, dass meine Familie verlernt hat, glücklich zu sein“, sagt Candice.
Seit dem Tod ihrer kleinen Schwester tanzt und lacht die Mutter nicht mehr, versteckt sich ihr Vater hinter dem Computer. Doch damit will sich das Mädchen nicht abfinden. Der australische Kinderfilm, der am Freitag in der Urania den Wettbewerb von Generation Kplus mit Filmen für Fünf- bis 13-Jährige eröffnet, erzählt mit leichter Hand von Trauer, Verlust und psychischen Problemen, aber auch von Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt.
Die Sektion Generation mit den Kinder- und Jugendprogrammen Kplus und 14 plus ist keineswegs nur etwas für ein junges Publikum. Insgesamt 59 Lang- und Kurzfilme aus 34 Ländern werden in diesem Jahr präsentiert, nicht alle sind so zugänglich wie „H is for Happiness“ oder der Familienfilm „Sune – Best Man“ aus Schweden.
Dass man Kindern und Jugendlichen formal und inhaltlich etwas zumuten kann, ist seit jeher das Credo der Sektion und macht die beiden Wettbewerbe zu spannenden Erlebnissen, weil sie zeigen, wie verschieden filmisches Erzählen für junge Menschen aussehen kann. So eröffnen die Kplus-Filme Einblicke in unterschiedliche kindliche Lebensrealitäten, die zuweilen fremd erscheinen, in denen Gleichaltrige aber möglicherweise auch ähnliche Erfahrungen finden werden.
Menschen, die Trump nicht haben möchte
Disneyland besuchen – wie viele Kinder träumen auch der achtjährige Max und sein kleiner Bruder in „Los Lobos“ davon. Sie sind mit ihrer Mutter aus Mexiko in die USA emigriert, doch das Märchenschloss ist unerreichbar. In einem schäbigen Appartement müssen die Jungen ausharren, während ihre Mutter in der Fabrik schuftet, ihre Fantasie Kapriolen schlägt und sie von unerwarteter Seite Solidarität erfahren.
Der Film erzählt von Menschen, die US-Präsident Trump gar nicht im Land haben möchte, die fast unsichtbar am Rand der Gesellschaft leben. Auch US-Regisseur Alexandre Rockwell blickt in die dunklen Ecken des gesellschaftlichen Lebens, zeigt dabei auch immer wieder helle Momente. Seine eigenen Kinder spielen in „Sweet Thing“ die Geschwister Billie und Nico, die ohne verlässliche Eltern aufwachsen und doch an ihrer Familie festhalten. „Sweet Thing“ ist ein amerikanischer Independent-Film in Schwarz-Weiß, rau, zärtlich .
Poetische Naturaufnahmen tragen hingegen den indischen Beitrag „Sthalpuran“. Der kleine Dighus zieht aus der Großstadt ins Dorf seiner Großeltern. Alles ist neu, seine Mutter weint nachts und er vermisst seinen Vater, doch niemand sagt ihm, was passiert ist.
Was die Filme der Sektion eint, ist die Kraft der Kinderfiguren, die nicht aufgeben, und sich mitunter robuster zeigen als ihre Eltern, die in Trauer ertrinken oder sich ins Schweigen flüchten. Im Jugendprogramm 14plus ist das Spannungsverhältnis zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen mitunter noch deutlicher .
Viele starke Mädchen
Die jungen Leute schaffen sich Räume, zu denen Erwachsene keinen Zugang haben, in „La déesee des mouches à feu“ auf fatale Weise mithilfe von Drogen. Oder sie sind sich ohnehin selbst überlassen, wie die drei Jugendlichen in „Paradise Drifters“. Wer bin ich? Was will ich? Wen will ich lieben? Natürlich geht es in vielen Filmen um alterstypische Fragen und um viele erste Male.
Man begegnet sowohl im Kinder- als auch im Jugendprogramm auffallend vielen starken Mädchen, was daran liegen mag, dass mehr als die Hälfte der Filme von Regisseurinnen stammen, was nach MeToo und der anhaltenden Gender-Debatte aber auch von einem neuen Selbstverständnis zeugt.
Es sind Mädchen wie die burschikose Skaterin aus São Paulo in „Meu nome é Bagdá“, die transidente und sehr poppige Titelfigur in „Alice Júnior“, Celia in „Las niñas“, die in einer katholischen Mädchenschule das Bravsein gelernt hat und plötzlich Fragen stellt, oder Myroslava aus dem Dokumentarfilm „The Earth is Blue as an Orange“, die dem Kriegsalltag im Donbas einen eigenen Film entgegensetzt.
Nicht immer ist es leicht, die richtigen Vorbilder zu finden, wie man in dem französischen Kinderfilm „Mignonnes“ sehen kann, der weibliche Rollenbilder hinterfragt. Dass sich etwas geändert hat im Verhältnis der Geschlechter, ist aber auch bei den jungen Männern zu merken, die sich oft genug als verlässliche Freunde von jungen Frauen zeigen oder wie im Generation-14-plus-Eröffnungsfilm „Kokon“ mit hinreißender Nonchalance eine Abfuhr hinnehmen.
Hochpolitischer Kampf
Es ist eine starke Generation – im doppelten Sinne. Kplus wie auch 14plus versammeln eine Reihe von unterhaltsamen, künstlerisch eigenständigen, mitunter auch streitbaren Filmen. Sie erscheinen in der Gesamtschau etwas introspektiver als in den Vorjahren, aber natürlich ist selbst der Kampf ums eigene Ich hochpolitisch.
Und nicht zuletzt gibt es auch Filme wie das intensive Drama „Notre-Dame du Nil“, das nach den langfristigen Auswirkungen der Kolonialisierung fragt oder die Doku „The Earth is as Blue as an Orange“. Eine Stärke von Generation ist nach wie vor, dass die Filme ihre jungen Figuren ernst nehmen und die Programmmacherinnen ihr Publikum.
Es ist nicht immer einfach, groß zu werden. „Aber vielleicht“, so Sektionsleiterin Maryanne Redpath bei der Programmvorstellung, „kann Kino dabei helfen“. Ihr seid nicht allein. G is for Generation.
Kirsten Taylor