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Das Banner des thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija setzt das Motto für die Ausstellung im Berghain.
© Rirkrit Tiravanija, courtesy neugerriemschneider Berlin

Kunst und Clubkultur in der Pandemie: Warum die Berghain-Schau ein Erfolg ist – und polarisiert

Mit „Studio Berlin“ hat das Berghain eine Schau geschaffen, die der Kunst Alternativen zeigt. Doch einige empfinden die Finanzspritze des Senats als ungerecht.

Mit einer Whatsapp-Nachricht an den Kultursenator soll es angefangen haben. „Wir müssen miteinander reden. Keine Sorge, nichts Schlimmes“, so oder ähnlich konnte es Klaus Lederer auf seinem Display lesen. Der Absender wollte ihn neugierig machen und ihm zugleich die Angst nehmen, dass nicht der nächste Sammler die Stadt verlässt.

Lederer dürfte aufgeatmet haben: Nach Thomas Olbrichts Abschied aus der Auguststraße, Friedrich Christian Flicks Kündigung beim Hamburger Bahnhof und Julia Stoscheks schlecht verpackter Androhung wäre ihm ein weiterer Abgang nicht gut bekommen.

Stattdessen erst einmal Entwarnung: Christian Boros, Absender der Nachricht, ist als Besitzer einer Werbeagentur nicht nur Stratege, sondern mit seiner in einem Hochbunker untergebrachten Kollektion einer der bekanntesten Sammler Berlins.

Seine Idee: Eine Wiederauflage der Ausstellung „Based in Berlin“, die 2011 im Atelierhaus Monbijou, Kunst-Werken, Nationalgalerie, Neuen Berliner Kunstverein und Berlinischer Galerie zu sehen war, eine Art Remake der Schau Berliner Künstler in der Ruine des Palastes der Republik, kurz bevor er 2004 abgerissen wurde.

Das waren die letzten großen Schauläufe für Berlin als Produktionsstätte aktueller Kunst. Ein Muskelspiel der kreativen Art. Die Ausgabe 2020 sollte aber nicht irgendwo stattfinden, sondern im Berghain, dem weltweit bekannten Technoclub.

Verständigung von Bunker zu Bunker

Die Betreiber hatten Boros – sozusagen von Bunker zu Bunker – angefragt, ob er in Zeiten von Corona und geschlossener Clubs seine Sammlung nicht in ihren stillgelegten Betonhallen zeigen wollte. Boros drehte mit seiner Frau Karen die Idee noch weiter: Nicht gelistete, katalogisierte Werke ihrer privaten Sammlung sollten es sein, sondern Arbeiten möglichst frisch aus Berliner Ateliers.

Der Vorschlag lautete nun: eine Kombination aus Club und aktueller Kunst, jenen Faktoren, die Berlin den Ruf beschert hatten, wild, aufregend, kreativ zu sein. Fehlte nur noch Kultursenator Lederer als Finanzier im Boot. Der ließ sich anstecken und gab 250 000 Euro Fördermittel für das Projekt, die Boros Foundation schoss dieselbe Summe hinzu. Ein 400-seitiger Katalog ist in Planung.

„Studio Berlin“, die seit der Berlin Art Week vor zwei Wochen im Berghain eröffnete Ausstellung, ist das Ergebnis. Bei keiner Rede in den Tagen danach ließ der Kultursenator unerwähnt, dass die Pessimisten der Szene Unrecht behalten hätten.

Wer Berlin als Kunststadt schon abgeschrieben hätte, erlebe jetzt das Gegenteil: eine Wiederauferstehung. Seit „Studio Berlin“ haben sich tatsächlich die Gewichte verschoben, neue Ideen stehen im Raum, Corona hat auch hier als Katalysator gewirkt für eine Entwicklung, die schon früher einsetzte.

Ausverkauf des legendären Clubs?

Die Ausstellung ist jetzt schon legendär, sie zieht das Publikum an. Für die einen ist es ein Sakrileg, dass der sagenumwobene Ort ohne Genehmigung der Türsteher, einfach per Online-Buchung besucht werden darf. Das Flair des Verruchten könnte verloren gehen. Für die anderen ist es eine Offenbarung: Berlin kann es noch – und das trotz Corona. „Studio Berlin“ ist eine gewaltige Selbstbehauptung als kreativer Hotspot, zugleich ein Psychogramm, denn viele Werke entstanden in den letzten Wochen unter dem Eindruck der Pandemie.

117 Künstlerinnen und Künstler stellen aus, manche mit mehreren Arbeiten. Darunter befinden sich Olafur Eliasson, Monica Bonvicini, Katharina Grosse, Marc Brandenburg, John Bock, die seit ihren Anfängen im Berlin der neunziger Jahre zu internationalen Stars wurden, und jede Menge Neuentdeckungen.

Die Kuratorin Juliet Kothe (li.) mit dem Sammlerehepaar Karen und Christian Boros.
Die Kuratorin Juliet Kothe (li.) mit dem Sammlerehepaar Karen und Christian Boros.
© Max von Gumppenberg

Karen Boros und ihre Sammlungskuratorin Juliet Kothe ließen sich bei ihren Recherchen in den Ateliers der Stadt Empfehlungen mitgeben. Gerade der Mix aus bekannten und weniger bekannten Teilnehmern, mal schrillen, mal stillen Werken und dem atemberaubenden Setting eines ehemaligen Kraftwerks, in das Rave und Exzess eingeschrieben sind, besticht – auch viele jener, die einen Ausverkauf der Werte der Clubkultur befürchteten.

Kritik vom Verband Bildender Künstler

Trotz positiver Kritik von „New York Times“ bis „Guardian“, die gerade die Kooperation von Clubbetreiber und Sammler lobten, wird vor allem in Berlin selbst diese Verbindung beanstandet. So twitterte der Berufsverband Bildender Künstler am Tag nach der Eröffnung: „Bei aller Liebe zum Berghain, die Vergabe von 1/4 Mio öffentliche Mittel ohne Ausschreibung oder Jury für eine Ausstellung ist fragwürdig.“

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Auch wenn Blockbuster-Ausstellungen oder Biennalen selten mit Ausschreibungen oder Jurys arbeiten, trifft der BBK trotzdem einen Nerv. Das Ehepaar Boros als Privatpersonen präsentiert hier mit öffentlichem (und privatem) Geld eine vermeintlich repräsentative Ausstellung. Zumindest wird sie so angesehen.

Sicher, die Dancefloors im Berghain wären groß genug für noch mehr Teilnehmer. Und Lederer hätte die Fördersumme stattdessen den Museen der Stadt als Ankaufsetat zukommen lassen können, damit die Künstler direkt Unterstützung erfahren. Aber hier ist als Antwort auf Corona eine Solidargemeinschaft der Betroffenen in den Clubs und Ateliers entstanden, die möglicherweise über die Pandemie hinausweist.

Kreativer Umgang mit Leerstand

Berlin war immer schon gut darin, abseitige Orte für die Kunst zu entdecken: leere Lofts und Ladenlokale, Brachen und marode Fabriken. Dem hat der Bauboom in den vergangenen Jahren zunehmend ein Ende bereitet. Auf Entdeckungsreise geht die Berlin Biennale, mit der in den 90ern in der Auguststraße die Umwidmung neuer Räume für die Kunst begann, schon lange nicht mehr. Das könnte sich jetzt nochmals ändern.

Corona hat die Digitalisierung beschleunigt und damit Online-Bestellungen, der Einzelhandel ist bedroht, die Innenstädte beginnen sich zu entleeren. Hans Ulrich Obrist hat es im Interview mit dem Tagesspiegel schon propagiert, durch die Erfahrungen in London: Warum nicht die Künstler in die leeren Ladenlokale und Büros holen?

[www.studio.berlin. Eintritt 18 €, erm. 9 €.]

Die Sammlerfamilie Grässlin in St. Georgen macht es seit vielen Jahren vor. In dem vom ökonomischen Niedergang geprägten Schwarzwald-Ort sind die entleerten Schaufenster nicht zugeklebt, sondern alternativ mit Werken von Kippenberger, Förg oder Oehlen dekoriert.

Die Vorstellung mag schrecken und an die bizarren Glasvitrinen der Märchenwälder erinnern. Raphaela Vogels Installation im Berghain aus Requisiten eines stillgelegten Europa-Parks gibt eine Ahnung einer zusammenschrumpften Welt. Ein Albtraum.

Doch „Studio Berlin“ ist ein positiver Versuch, aus dem durch Corona verordneten Stillstand herauszufinden, wie zuvor der Club Wilde Renate und demnächst der Friedrichstadtpalast mit einer Sven-Marquardt-Ausstellung. Die Pandemie zwingt, über Alternativen nachzudenken. „Studio Berlin“ bleibt bis zur Wiederaufnahme des regulären Clubbetriebs geöffnet, zum Glück – vermutlich länger als gedacht.

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