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Das Brandenburger Tor und der Fernsehturm sind im Gegenlicht der aufgehenden Sonne nur als Silhouette zu erkennen.  
© picture alliance/Paul Zinken/dpa

Reflektion über den Klimawandel: Warum der Sommer 2018 zu gut war

Dieser Sommer sprengte alle Maßstäbe: In Berlin und Brandenburg fiel in diesem Jahr fünf Monate lang fast kein Regen. Ist das der Anfang einer Zeitenwende?

Das war auf den ersten Blick gar kein typisches Sommerbild. Aber es wirkte doch wie ein Menetekel. Dieser Lastwagen hoch oben auf der Brücke über Genua, die direkt vor ihm jäh abgebrochen ist. Die Autobahn, in Italien wie in Deutschland gerade für den Tourismus ein altes Symbol von Technik, Fortschritt, Mobilität. Die scheinbar aller Schwerkraft trotzende Spannbrücke ihrerseits jahrzehntelang ein Zeugnis menschlicher Ingenieurkunst. Und dieser Lkw, nur wenige Meter vor dem Abgrund zum Stillstand gekommen. Schwindelerregend.

Der Einsturz erfolgte am 14. August unmittelbar vor Mariä Himmelfahrt, dem höchsten südeuropäischen Sommerferien-Feiertag, Ferragosto. Auslöser war eine Regenflut. Die Sturzflut. Wer freilich in Deutschland in diesem wie für ewige Ferien gemachten Sommer vom Norden und Osten, von Berlin oder Hamburg einmal bis zur südlichen Grenze an den Bodensee gefahren ist, erblickte früh ein ganz anders verändertes Land. Sah nicht allein braune, versteppte Wiesen und Felder, sondern im Juli das Laub der Bäume bereits herbstlich gefärbt. Und immer wieder die Spuren lokaler Brände – nicht nur der großen Feuer, über die in allen Medien berichtet wurde.

Das hatte es selbst im Rekordhitzesommer 2003 nicht gegeben. So hat der deutsche Wald, in dem die kluge Essayistin Thea Dorn eine Heimstatt der deutschen Seele erkennt, noch niemals ausgeschaut. Und der große Bodensee war um einen Meter abgesunken, für Badegäste so flach wie die Adria.

Klimaforscher sehen dagegen das Grönlandeis brechen und erwarten bei weiter schmelzenden Polarkappen einen Anstieg der Meere, der noch in diesem Jahrhundert Inseln von der Südsee bis zur (deutschen) Nordsee untergehen lässt und Küsten und Hafenstädte in vielen Teilen der Erde überschwemmt. Das alles ist längst bekannt. Aber angesichts immer wüsterer Waldbrände von Kalifornien (schon üblich) bis Skandinavien (jetzt neu) oder eingedenk der vermehrten Monsterstürme nicht bloß in den Tropen, sondern auch in den bislang idyllisch gemäßigten Zonen Europas wächst das Unbehagen. Selbst unter Menschen, die früher zu Recht noch über die Untergangsszenarien des deutschen „Waldsterbens“ gespottet haben.

Bald fünf Monate lang kaum Regen

„Der Sommer war sehr groß“, steht in Rilkes berühmtem Gedicht von 1902, das „Herbsttag“ heißt. Kann sein, dass die kommenden Herbststürme mit ihren Folgen schon zeigen, was dieser große, erst mit seinem kalendarischen Ende sich wohl verabschiedende Sommer im Wurzelwerk der Wald- und Stadtbäume angerichtet hat. In Berlin und Brandenburg seit April, bald fünf Monate lang, fast kein Regen. Auch das hat es seit Menschengedenken wohl nicht gegeben. So viel Sonne: ein Wunder, ein Wahnsinn.

Mag jedoch auch sein, dass dieser Dürresommer in einem womöglich verregneten Jahr 2019 für die meisten zur wunderschönen Erinnerung wird und nur als Ausreißer erscheint. Dann würde es auch leichter sein, die neuen Prognosen des Potsdamer Instituts für Klimaforschung wieder eine Weile zu verdrängen. Bisher war in internationalen Klimaabkommen oder in Plänen der EU für reduzierte CO2-Emissionen nur immer von der Notwendigkeit ausgegangen worden, die Erderwärmung in diesem Jahrhundert auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen. Jetzt aber warnen Forscher nicht allein in Potsdam, dass ihre Computerberechnungen einen Anstieg der Durchschnittstemperatur auf dem Globus um drei bis fünf Grad als wohl unausweichlich erscheinen lassen. Mit der Folge auch von Hunderten Millionen Flüchtlingen aus den dann unbewohnbar werdenden Gebieten Afrikas oder Asiens.

Ein völliges Umsteuern der noch immer auf fossilen, klimaschädlichen Energien basierenden Weltwirtschaft wäre darum nicht erst morgen, vielmehr sofort nötig. Aber dagegen steht Trumps US-Regierung, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Es werden Brasiliens Regenwälder als grüne Lunge des Planeten weiter gerodet, da ist das immer neue Rekordmengen Kohlendioxyd ausstoßende Riesenland Indien, da ist die Energien verzehrende, wenngleich den Verkehr in ihren Millionenstädten rasant elektrifizierende Weltmacht China.

Und da sind wir selbst. In Deutschland wird zwar dauernd von der noch kaum existenten E-Mobility gesprochen. Doch die spritfressenden, meist sinnfrei gefahrenen SUVs bleiben wie in Trumpland die Verkaufsschlager. Bundesländer wie NRW und Brandenburg kämpfen für ihre Braunkohlestandorte wegen der Arbeitsplätze, wegen der sonst angeblich gefährdeten Energieversorgung. Umweltschädliche (und grausame) industrielle Tierhaltung dient weiter der Fleischfresswelle. Und wer will auf die Billigflüge nach Malle oder auf die beliebten Kurzflugtrips in Europas hippe Städte verzichten? Auch Berlin lebt davon. So wird der ökologische Fußabdruck einer großen Mehrheit noch größer, fetter, fataler. Vermutlich auch der des Autors dieser Zeilen

Dennoch wächst zeitgleich auch das Empfinden einer Zeitenwende. Es gibt ein Schwindelgefühl – wie am Rand eines für die meisten noch unsichtbaren Abgrunds. Etwas Zukünftiges, das schon begonnen hat, weckt diffuse und zugleich tiefere Ängste als die auch schon bis in die deutsche Wohlstandsmittelschicht eingefressene Furcht vor sozialem Abstieg oder drohender Altersarmut.

Dieser zwiespältige Sommer passt zur neuen Unsicherheit

Die Ausstellung der Stunde zeigt jetzt die Kunsthalle Hamburg, sie heißt „Entfesselte Natur“ (noch bis 14. Oktober). Das beginnt mit der mythischen Sintflut und reicht über Vulkanausbrüche und den Untergang Pompejis bis zum day before: dem Leben auf dem erdbebengefährdeten San-Andreas-Graben mit den darauf gebauten Metropolen Los Angeles und San Francisco. Allerdings ist die Natur heute nicht mehr nur entfesselt durch ihre eigenen unbeherrschbaren Kräfte, sondern ebenso durch die menschengemachten Eingriffe. Darum heißt unsere Epoche geogeschichtlich das Anthropozän.

In der Hamburger Ausstellung erfährt man, dass zum Anbruch der Moderne auch der Begriff der „Katastrophe“ gehört. Bis zum 18. Jahrhundert bezeichnete das Wort Katastrophe allein den Höhepunkt der klassischen griechischen Tragödie. Nach dem Erdbeben, dem folgenden Brand und der völligen Zerstörung der Stadt Lissabon am Allerheiligentag 1755 – damals das erste weltweit durch Augenzeugen, schriftliche Berichte und grafische Abbildungen fast unmittelbar wahrgenommene Großunglück – wanderte die Katastrophe vom fiktiven Drama ein in die reale Wirklichkeit, ins allgemeine sprachliche Weltverständnis.

Das einst modische Wort Postmoderne ist heute nur noch ein leeres Schlagwort. Denn wir sind noch immer in jener Moderne – mit allen Reizen und Risiken, allen Verlockungen und Schrecken. Auch für die lange vom Frieden zehrenden europäischen Nachkriegsgenerationen gehört die neue Unsicherheit zum Selbstverständnis. Tschernobyl und Fukushima, Nine-eleven und die Finanzkrise, Migration und Klimawandel, neue Diktatoren oder Demokratoren, neue Nationalisten und Populisten und damit die Wiederkehr alter Gespenster, die Liste der Stichworte ließe sich aktuell verlängern. Und irgendwie passt dazu auch dieser zwiespältige, unheimlich schöne, unheimlich ausdörrende Sommer.

Wie das Bild des Lkws vor dem Genueser Abgrund den vom soeben verstorbenen Philosophen Paul Virilio geprägten Begriff des „rasenden Stillstands“ repräsentiert, so kann der jetzt vergehende Sommer 2018 zum Sinnbild des Paradoxen werden, das seinerseits ein Zeichen heutiger Zivilisation, Natur, Existenz ist. Der womöglich „unnatürliche“ Sommer war ja in Teilen Deutschlands eine große Freude. Nicht nur an Stränden und in Biergärten, unter prangenden Äpfeln, goldenen Trauben gab’s einen Hauch Paradies. Und das Paradies war bekanntlich auch der Ort der ersten Katastrophe. Beides gehört offenbar zusammen.

Weil so Hoffnung und Widerstand, Glück und Optimismus selbst in den dramatischen Widersprüchen der Gegenwart virulent sind, könnte man über eine den Alltag wie die Politik betreffende philosophische Wendung neu nachdenken. Unterm Eindruck der totalitären Schrecken hatte Adorno um 1945 in seinen „Minima Moralia“ befunden, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gebe. Doch auch diese Totalität blendet das Ambivalente, Widersprüchliche, auch zu Berichtigende aus. Und jetzt warten wir nicht nur auf den deutschen Herbst.

Peter von Becker

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