Studien zu sexueller Gewalt: Warum bei Kindesmissbrauch ein riesiges Dunkelfeld existiert
Sexuelle Gewaltdelikte an Kindern geschehen überall. Zwei sehr kluge Studien zum Thema zeigen, was dagegen getan werden kann. Die Kolumne Flugschriften.
Caroline Fetscher schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Sachbücher. Nächste Woche: Gerrit Bartels über den Literaturbetrieb.
An Kindern verübte Sexualdelikte gab und gibt es in allen Milieus, auf allen Kontinenten. Unsere Gesellschaft weiß das spätestens, seit vor zehn Jahren Tausende von Fällen ans Licht gelangten, aus katholischen Internaten oder der Odenwaldschule.
Seit 2010 wird mehr angezeigt, mehr ermittelt, teils sogar klüger therapiert. Aber uralte Prozesse der Verdrängung sind weiter am Werk. Solange „der fremde Mann“ als Einzeltäter Schlagzeilen macht, wird die Masse der Taten im Privaten aus dem Bewusstsein gespült. So klein das Hellfeld, so riesig ist das Dunkelfeld.
Nina Apin, Redakteurin der „taz“, sucht mit Sorgfalt nach dem Phänomen der „komplexen Beziehungsverbrechen“, die sich „nicht in die Kirchenecke schieben“ lassen. Fündig wurde sie auch im Archiv ihrer Zeitung. In der „taz“ gab es in den Gründungsjahren Sonderseiten einer „Pädo-Gruppe“, und man durfte „pornographisch schwärmen“ über sexuelle Handlungen mit Achtjährigen.
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An der epidemischen, alltäglichen Gewalt, so Apin, sind „nicht nur Perverse“ beteiligt, sondern auch Familienväter, auch Mütter. Die sexuelle Manipulation von Kindern wird in sämtlichen Milieus bagatellisiert und tabuisiert. „Das kommt doch in den besten Familien vor!", hieß es schon lange vor 2010. Unaufgeregt und klar analysiert Apin und fordert dringlich besseren Kinderschutz.
[Der ganz normale Missbrauch: Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt.“ Christoph Links, Berlin 2020, 184 S., 18 €]
Schweigen oder Schande, das schien lange die Alternative. Betroffene schwiegen aus Scham, Nichtbetroffene aus Angst vor dem Ehrverlust der Familie oder der Institution. Je mehr geahnt, befürchtet, gemunkelt wird, dass irgendwas „nicht stimmt“, desto massiver wird ausgeblendet.
Emanzipationsprozess der Opfer ins Zentrum rücken
Sexuelle Gewalt wird daher „erst sichtbar, wenn die Opfer anfangen zu sprechen“, erklärt Matthias Katsch, Jahrgang 1963, der als Kind am Berliner Canisius-Kolleg sexuelle Gewalt erfuhr. Der Managementberater ordnet das Erlebte gesellschaftspolitisch ein, auch indem er den Emanzipationsprozess der Opfer ins Zentrum rückt – eine Meisterleistung der Balance aus persönlichem Bericht, Kritik und Aufklärung.
[Damit es aufhört. Vom befreienden Kampf der Opfer sexueller Gewalt in der Kirche“. Nicolai, Berlin 2020. 168 S., 18 €]
Katsch, der dem Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs angehört, erkennt bei aller Unterschiedlichkeit der Milieus markante Ähnlichkeiten, etwa was Machtgefälle und Verdrängung betrifft. Wie Apin plädiert er für einen viel stärkeren Einsatz in Prävention und Aufarbeitung durch die Politik – der man beide Bücher empfehlen möchte.
Hilfetelefon sexueller Missbrauch 0800-22 55 530, kostenlos und vertraulich, E-Mail: beratung@hilfetelefon-missbrauch.de
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