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Bauarbeiten in und um Haus Wahnfried in Bayreuth.
© Richard-Wagner-Museum Bayreuth

Richard-Wagner-Museum in Bayreuth: "Wahnfried ist das Mekka gläubiger Wagnerianer"

Seit 2010 ist das Richard-Wagner-Museum in Wagners ehemaligem Bayreuther Wohnhaus Wahnfried wegen Sanierung geschlossen. Leiter Sven Friedrich über die Pläne zur Neugestaltung.

Herr Friedrich, wann wird das neu gestaltete Richard-Wagner-Museum in und um Haus Wahnfried eröffnen?
Man ist gut beraten, nicht allzu forsch Eröffnungstermine bekannt zu geben. Aber wir werden alles daran setzen, es bis Juli 2015 zu schaffen. Wir haben keine Forderungen zu stellen, Kultur ist im Gemeinwesen als freiwillige Leistung immer nachgeordnet. Aber Wagner ist in Bayreuth keine quantité négligeable. Und meine Aufgabe ist es, dieses Haus zukunftssicher und für Besucher attraktiv zu machen. Unsere Ausstellungskonzeption steht jedenfalls.

Seit der Schenkung seitens der Familie 1973 gehört Wahnfried der Stadt Bayreuth. Erleben Sie sie als Bündnispartner bei der Sanierung?
Gelegentlich gibt es naturgemäß Konflikte, aber so ist das in plebiszitären Gesellschaften. Jeder hat andere Aufgaben und Sichtweisen. Man ringt aber immer um die bestmögliche Lösung. Wir als Museum machen Vorschläge, aber letztlich entscheiden die Gremien: die Stadt als Bauherrin und die Richard-Wagner-Stiftung mit dem 24-köpfigen Stiftungsrat als Trägerin des Museums. Es gibt zusätzlich ein Kuratorium, das uns bei der Ausstellungsgestaltung beratend zur Verfügung steht. Auch mit konstruktiver Kritik, etwa bei den Überlegungen zum Siegfriedhaus. Das begrüße ich sehr, denn nach über 30 Jahren Beschäftigung mit Wagner wird man auch ein Stückweit betriebsblind.

Wie haben Sie sich zusammengerauft? Zum Beispiel nach der heftigen Kritik der inzwischen verstorbenen Iris Wagner bei der Café-Standort-Frage?
Man muss für solch emotional engagierte Äußerungen Verständnis haben. Wahnfried ist das Elternhaus der Kinder Wieland Wagners und gleichzeitig ist es Museum, seit 1973, mit Zustimmung der Familie. Da stehen dann schon mal private Gefühlsgemengelagen gegen Fach- und Sachargumente.

Unter anderem ging es um Ihren Satz zum Siegfriedhaus, in dem Winifred Wagner bis zu ihrem Tod 1980 wohnte und in dem Hitler ein- und ausging: „Wir humanisieren das Siegfriedhaus dadurch, dass es hier Bayreuther Bratwürste gibt.“
Ich wurde unvollständig zitiert. Ich wollte, dass man beide Möglichkeiten in Betracht zieht. Zum einen, dass man zur Vermeidung eines Hitler-Eckerls an diesem ideologisch-historisch aufgeladenen Ort vielleicht eine Gastronomie einrichtet, so wie es am Obersalzberg heute ein Hotel gibt. Zum anderen, dass man sich dem Historisch-Aufgeladenen dieses „Bräustüberls“ für gewisse Ingredienzien der Hitler-Ideologie stellt. Letzteres geschieht nun, im dafür prädestinierten Siegfriedhaus. Dort wird sich die künftige Dauerausstellung mit der Wirkungsgeschichte auseinandersetzen, insbesondere mit der Ideologiegeschichte Wagners.

Was heißt das konkret?
Wir sind kein Antisemitismus-Museum, wir können Themen nur anreißen. Zum Beispiel, welche Rolle der Wagnerismus in der Genese der nationalsozialistschen Ideologeme spielt. Oder wie das Private – Stichwort: Hitler in Bayreuth, „Wini und Wolf“ – mit dem Ideologischen zusammen geht. Oder das unterbelichtete Phänomen, dass die Burschenschaftsbewegung damals weniger antisemitisch war als der Vormärz, bis hin zu Karl Marx und seinem Antikapitalismus. An der Figur des Sozialrevolutionärs Wagner, der später mit seinem Werk von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde, lässt sich das gut erzählen. Auch die Rezeption nach dem Krieg werden wir beleuchten, einschließlich der Wagner-Deutungen von Adorno, Bloch und Hans Mayer bis hin zum Thema „Wagner in Israel“. Wie gesagt, erschöpfend behandeln lässt sich das auf dem begrenzten Raum nicht. Aber wir wollen die ideologischen Aspekte mit einer klaren Haltung erzählen, ohne zu behaupten, das letztgültige Narrativ zu besitzen. Es geht nicht darum, Urteile zu verfestigen, sondern alles Unabgegoltene an Wagner auch als unabgegolten zu zeigen. Wahnfried ist nicht der Vatikan des Wagnerismus.

Die Verwaltung bleibt im Obergeschoss des Siegfriedhauses. Warum wird nicht das ganze Haus dem Museumsbereich zugeschlagen?
Weil es teurer wäre. Die museale Nutzung des gesamten Siegfriedhauses und ein Umzug der Verwaltung in den Neubau,  das wäre um einige Millionen Euro teurer geworden. Und nur die Erdgeschoss-Schalen sind als originale 30er-Jahre-Bauten denkmalgeschützt. Neben dem  Garten- und dem Kaminzimmer des Siegfriedhauses machen wir auch das Speisezimmer fürs Publikum einsehbar. Es gehörte bisher zum internen Bereich, obwohl dort noch die Originalmöblierung existiert. Wir öffnen es, aber abgesperrt mit einer Kordel, damit nicht Fotos auf Facebook auftauchen, unter denen steht: Onkel Erich auf dem Stuhl des Führers.

Wahnfried, das Mekka für gläubige Wagnerianer.

Sven Friedrich, Leiter des Richard Wagner Museums in Bayreuth.
Sven Friedrich, Leiter des Richard Wagner Museums in Bayreuth.
© dpa

Warum war überhaupt eine neue Dauerausstellung nötig?
Ein Initialmoment war für mich ein Gespräch mit dem israelischen Historiker Saul Friedländer vor 15 Jahren. Er kritisierte vehement das Fehlen des ideologischen Umfelds von Wagner in der damaligen Dauerausstellung. Das hat mir sehr zu denken gegeben. Aber es war klar, dass der Platz dafür in der Villa Wahnfried neben der Darstellung von Leben und Werk, dem kulturhistorisch komplexen Phänomen Wagner sowie der Festspielgeschichte nicht ausreicht. So kam 2006 der Entschluss, einen Neubau ins Auge zu fassen.

Wie viel Aura muss in Wahnfried bleiben?
1984 besuchte ich als junger, naiver Wagnerianer das erste Mal Haus Wahnfried und ging auf Zehenspitzen hinein. Wahnfried ist für einen gläubigen Wagnerianer, was Mekka einem gläubigen Moslem bedeutet. Seine Musik spricht ungeahnte Bezirke der menschlichen Seele an, deshalb polarisiert er so. Viele können sich diesem „schnupfenden Gnom aus Sachsen“ (Thomas Mann) nicht entziehen, wenn er einem mit seiner Musik unter der Nase herumfuchtelt und ständig ruft: Hier bin ich! Anderen ist das too much. Bei Bach und Mozart ist eher ästhetische Objektivität möglich, bei Wagner nicht, übrigens auch nicht bei Mahler. Deshalb wird das Haus Wahnfried ein auratischer Ort bleiben, als Epizentrum der weltweiten Wagner-Begeisterung. Aber es wird auch ein Ort sein, an dem die Aura hinterfragt wird, schon weil das Haus 1945 durch eine sehr symbolträchtige Fliegerbombe teilweise zerstört wurde. Was jetzt steht, ist zur Hälfte eine Rekonstruktion. Und was weg ist, ist weg. Originalmöbel stellen wir wieder auf, anderes wird durch weiße Stellvertreter angedeutet, mit Schonbezügen drüber. Als sei Wagner gerade auf Reisen und kehre bald zurück. Wir wollen einen redlichen Umgang mit Geschichtlichkeit.

Warum planen Sie im großen Saal auch künftig Veranstaltungen, er ist doch der berühmteste Raum der Wagners, das Herzstück des Hauses?
Eben drum. Es wäre doch schade, den Saal von Haus Wahnfried nicht gelegentlich für repräsentative Zwecke zu nutzen, etwa für die jährliche Ehrung langjähriger Festspielmitwirkender. Wir können relativ schnell umdekorieren, aber es wird dort keine dauerhafte Bestuhlung geben.

Was bereitet Ihnen denn die größten Sorgen vor der Wiedereröffnung?
Die Betriebskostenfinanzierung. Bisher hatte das Museum mit dem Archiv einen Etat von jährlich 650.000 Euro, der sich aus vier Quellen speiste. Die Stadt Bayreuth, die auch mein Gehalt bezahlt sowie zwei weitere Stellen. Der Freistaat  Bayern, mit einem jährlichen Zuschuss zur Richard-Wagner-Stiftung von 120.000 bis 140.000 Euro. Hinzu kommen die Mieteinnahmen der Stiftung aus dem Festspielhaus. Und unsere eigenen Einnahmen über Ticketverkauf, Archivgebühren etc. Seit zwei Jahren liegt eine dezidierte neue Betriebskostenschätzung vor, der Finanzmittelbedarf wird sich etwa verdoppeln. Seitdem wird verhandelt und gerungen. Zuständig ist die Stiftung, sie hat aber kein Geld. Bayern ist per Satzung zu einer auskömmlichen Finanzierung verpflichtet, will den Zuschuss auch erhöhen, kann aber die Verdopplung nicht alleine tragen. Die Stadt, die ja nur die Immobilie besitzt, sagt: Wir beteiligen uns bereits freiwillig an den Investitions- und Personalkosten. Und der Bund sagt, wir geben jährlich 2,4 Millionen Euro für die Festspiele und wollen nicht in eine institutionelle Förderung der Stiftung einsteigen. Jeder hat Recht, alle sind guten Willens, aber das Betriebskostenproblem ist nicht gelöst. Wir kommen bis zur Eröffnung, aber nicht viel weiter.

Warum hat die Stadt sich eigentlich nicht zur großen Lösung durchgerungen, zu einem Bayreuther Museumsquartier mit dem Jean-Paul- und Liszt-Museum gleich nebenan, deren Leiter Sie ja ebenfalls sind?
Das Jean-Paul-Museum wurde zum 250. Geburtstag des Schriftstellers 2013 rundum erneuert. Das 1993 eröffnete Liszt-Museum ist unser nächstes Erneuerungsprojekt. Man darf von Bayreuth nun wirklich nicht zu viel verlangen. Während der Festspielzeit nimmt man die Stadt gern als Scheinriese war, aber sie existiert auch die restlichen zehn Monate im Jahr, als oberfränkische Mittelstadt mit 70.000 Einwohnern in einem strukturschwachen Gebiet. Bayreuth ist nicht München, hier fließen nicht Milch und Honig durch den Mühlkanal. Anderswo werden Museen und Bibliotheken geschlossen, da ist es hochanständig, wenn Oberbürgermeisterin Merk-Erbe wie schon ihr Vorgänger die Museumssanierung samt Neubau zur Chefsache erklärt. Bayreuth stemmt immerhin rund 5 Millionen der gut 18 Millionen Investitionskosten. Das darf man ruhig mal lobend erwähnen.

Sven Friedrich, Jahrgang 1963, leitet seit 1993 das Richard-Wagner-Museum, das Nationalarchiv und die Forschungsstätte in Richard Wagners ehemaligem Bayreuther Wohnhaus Wahnfried Der promovierte Theaterwissenschaftler ist auch Direktor des Franz-Liszt- und des Jean-Paul-Museums gleich gegenüber von Wahnfried. Er lehrt an der Uni Bayreuth und hat zahlreiche Bücher und Hörbücher veröffentlicht, vor allem zu Wagner.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Christiane Peitz

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