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Sissy Thammer, Intendantin und Geschäftsführerin des Festivals junger Künstler Bayreuth, mit ihrem liebsten Wagner-Accessoire.
© ; Foto: Donal Khosrowi

Richard Wagner und Bayreuth: Sind die irre, die Wagnerianer?

Am Donnerstag beginnen die Bayreuther Festspiele, am Freitag startet der neue "Ring" von Frank Castorf. Glanz und höchste Kunst im Wagner-Jubiläumsjahr? Von wegen: Das Festspielhaus und die Villa Wahnfried sind Baustellen und eine Ausstellung würdigt den "Wahnsinn" der Wagner-Stadt.

Am Donnerstag geht's los: Zum alljährlichen Almauftrieb auf dem Grünen Hügel lassen sich die Kanzlerin, der Bundespräsident und andere Wagnerianer erst mal mit dem "Fliegenden Holländer" nach Bayreuth locken. Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger war letztes Jahr auf zwiespältige Resonanz gestoßen, aber Christian Thielemann steht am Pult, der weltweit derzeit vielleicht beste Wagner-Dirigent. Ab Freitag steht der neue "Ring" unter der Regie des Berliner Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf auf dem Programm, es dirigiert der 41-jährige Kirill Petrenko, der bis 2007 Chefdirigent der Komischen Oper war. Berlin erobert Bayreuth? Ob' s ein Jahrhundert-"Ring" wird wie 1976 der von Patrice Chéreau, wird das Festspielpublikum am späten Abend des 31. Juli wissen, wenn mit der "Götterdämmerung" der vierte und letzte Teil der Tetralogie über die Bühne gegangen ist.

Sind die irre, die Wagnerianer? So fragt man sich, wenn man bedenkt, wie wenig das in aller Welt gefeierte Wagner-Jubiläumsjahr am Originalschauplatz selber zu Buche schlägt. Im Gegenteil: Zu Richard Wagners 200. Geburtstag ist Bayreuth eine Baustelle. Das vom Komponisten persönlich geplante Festspielhaus muss dringend renoviert werden, Geld ist bewilligt, zehn Millionen Euro vom Bund, zehn Millionen vom Freistaat Bayern, zehn Millionen von der Stadt, dem Bezirk und der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Das reicht für den ersten Bauabschnitt und für das Festspielhaus selbst, für die Sanierung des gesamten Grünen Hügels sind zehn Jahre angesetzt. Die Premierengäste werden also ein eingerüstetes Haus betreten, von dem hinter Fotoplanen der Putz bröselt und bröckelt. Und sie wissen, nächstes Jahr werden sie wieder zur Baustelle pilgern.

Bei der Villa Wahnfried sieht's nicht viel besser aus. Dort wird das Wagner-Museum grundsaniert, die Pilgerstätte für Wagnerianer ist geschlossen und ausgeräumt. Immerhin soll am Freitag der Grundstein für den ergänzenden Neubau gelegt werden, noch ist geplant, dass der Museumskomplex 2014 fertiggestellt ist. Nummer Drei der Bayreuther Großbaustellen: Das markgräfliche Opernhaus, neuerdings Weltkulturerbe und einer der Hauptgründe, warum es Wagner überhaupt in die fränkische Provinzstadt verschlagen hatte, ist ebenfalls zwecks Sanierung geschlossen - voraussichtlich bis 2017.

Sind die irre in Bayreuth? Das fragt auch eine voraussichtlich vergnügliche studentische Ausstellung im Steingraeber Haus in Bayreuth, jener Stadt, "die alljährlich und alltäglich vom Wagner-Wahnsinn geprägt ist". So heißt es in der Mitteilung der Uni Bayreuth über die Schau, die am 26. Juli eröffnet wird. Sie will Aufschluss darüber geben, welche ganz persönliche Bedeutung Wagner für die Bayreuther hat. Realisiert wird die Ausstellung von Studierenden der Geschichtswissenschaft und des Studiengangs Musik und Performance: „Irre?! – Richard Wagner. Eine Würdigung des Wahnsinns“ wird in drei Räumen präsentiert werden. Der erste zeigt eine Foto-Galerie mit Bildern von Bürgern der Stadt, die ihr persönliches Wagnerobjekt zeigen oder in anderer Form ihren Wagnerbezug zum Ausdruck bringen. Im zweiten findet sich eine begehbare Wohnzimmer-Installation, die den Wagnerkult sinnlich erfahrbar mach, drittens soll es eine Bilder-Collage im Flur geben, die "einen Eindruck vom regionalen und globalen Wagner-Wahnsinn" vermitteln will. Staatsminister Wolfgang Heubisch wird die Ausstellung am Freitag um 13 Uhr eröffnen, sie soll bis Dezember in den Räumlichkeiten des Bayreuther Pianohauses bei freiem Eintritt zu sehen sein-

Sind die irre, die Wagnerianer? Die Festspiel-Chefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier machen sich rar, den Skandal um die Öffnung der Privatarchive mit Dokumenten zu den Festpielen in der NS-Zeit haben sie ausgegessen (und wollen Wolfgang Wagners Privatarchiv nun dem bayrischen Staat überlassen). Regie-Berserker Frank Castorf hat kaum Interviews vorab gegeben, auch die Tagesspiegel-Anfrage wurde nicht positiv beschieden. Ersatzhalber druckte das "Zeit"-Magazin alle Fragen an den 61-jährigen Berliner, der an der Volksbühne bereits mit Wagners "Meistersingern" experimentiert hatte. Mit dem "Spiegel" hat Castorf dann aber doch gesprochen und - wovon sonst - von den irren Seiten Bayreuths erzählt. Teil Eins des Rings, das "Rheingold", hat er in nur neun Tagen geprobt - "das ist natürlich Wahnsinn". Im Leitungsteam der Festspiele herrsche eine Stimmung wie früher im deutschen Osten: "Jeder von außen ist der Feind. Das ist pure DDR." Nur was die Wahnsinnserwartung eines Jahrhundertrings betrifft, bremst Castorf die Öffentlichkeit aus: "Mir reicht ein ,Jahres-Ring'."

Wagnerianer ohne Bayreuth-Tickets können übrigens ganz ohne Wahnsinns-Aktionen zumindest virtuell dabei sein, wenn die sechswöchige Saison am Donnerstag beginnt. "Der fliegende Holländer" wird als Gala-Event in zahlreiche Kinos live übertragen, in Berlin zum Beispiel ins Cinemaxx Potsdamer Platz, mit Vorprogramm ab 17 Uhr. Bereits heute Abend, am 22. Juli, überträgt die ARD Michael Strauvens Dokumentation "Die Wagners und Bayreuth. Eine deutsche Geschichte". So viel ist klar: Wagner-Liebe und Wagner-Wahnsinn haben eine bereits lange Geschichte.

Christiane Peitz

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