Das Festival "Young Euro Classic": Wahn und Sinn
Das norwegische Jugendorchester Ungdomssymfonikerne begeistert mit Schostakowitsch und Berlioz im Berliner Konzerthaus-
Schon der Name dieses norwegischen Jugendorchesters klingt wie eine lautmalerische Komposition: Ungdomssymfonikerne. Die Norweger eröffnen beim Festival „Young Euro Classic“ am Gendarmenmarkt mit einer Deutschlandpremiere des 2011 komponierten Werks „Resurgence“ („Wiederaufleben“) für großes Orchester von Ørjan Matre. Es ist ein kompliziertes, atonales, stimmgewaltiges Werk, das leise flüsternd beginnt, dann zu einem Gewitter heranwächst und sich schließlich wie ein Rasseln im Nichts verliert. Auf den oberen Rängen haben sich Blechbläser positioniert und irritieren mit kurzen Fanfaren.
Ein gelungener Einstand, der auf den nächsten Schockmoment vorbereitet: Schostakowitschs Cellokonzert Nummer eins. Obwohl es 52 Jahre zuvor komponiert wurde, spielt es ähnlich radikal mit den Grenzen der Wahrnehmung. Die Norweger haben Truls Mørk als Solisten verpflichtet, der das Konzert in eine flackernde Klangstudie verwandelt. Sein Ton ist scharf, spannungsgeladen, brodelnd-explosiv. Selbst in den ruhigen, lang gezogenen Legato-Passagen ist immer ein leises Zittern zu hören, als lauere unterschwellig die Gewalt und drohe bald auszubrechen. Für Schostakowitsch war das Werk eine abstrakte Abrechnung mit der Stalin-Diktatur, bei Mørk ist jeder Takt ein verzweifeltes Schnappen nach Luft. Umwerfend!
Auch Dirigent Juanjo Meny gerät bei Berlioz in Ekstase
Nach der Pause kommt das Orchester vollends auf seine Kosten. Mit Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“ haben sich die Musiker ein komplexes Werk ausgesucht, das den gesamten Klangapparat herausfordert. Das Unternehmen glückt bravourös: Jeder Teil dieser größenwahnsinnigen, vom Rausch bis in die Todessehnsucht stolpernden Komposition wird mit größter Leidenschaft dargeboten. Berlioz wollte Beethovens Neunte übertrumpfen, die jungen Norweger übertrumpfen sich selbst. Die Energie des Orchesters entfesselt die brutalen Momente ebenso wie die Hybris und das Sentiment dieser gigantischen Sinfonie, das musikalische Bedürfnis nach Allmacht und Omnipräsenz, ja die verrückte Idee, mit Musik den ganzen menschlichen Wahnsinn einfangen zu wollen. Dirigent Juanjo Mena wirkt anfangs noch streng und abgeklärt, doch zum Schluss obsiegt auch beim ihm die Ekstase. Langer Applaus und entfesselte Bravo-Rufe sind der verdiente Dank.
Tomasz Kurianowicz