Young Euro Classic 2016: Abenteuerreisen ins Altbekannte
Zum 17. Mal startet „Young Euro Classic“ in Berlin. Bei dem Festival überwindet Musik tatsächlich Grenzen - aber anders als in Sonntagsreden.
Was haben Mozart und Mercedes gemein, Beethoven und BMW? Sie alle sind begehrte deutsche Exportartikel. Nur dass die Komponisten in keiner Außenhandelsbilanz auftauchen. Während in Europa die Institutionen, die die klassische Musik pflegen, immer stärker unter Legitimationsdruck geraten, wird im bürgerlichen Milieu vieler entfernter Länder gerade diese Musik als etwas Erstrebenswertes angesehen, als Statussymbol und Ausweis der eigenen Weltoffenheit. Wer es sich leisten kann, kauft sich ein deutsches Auto – und lässt seine Kinder europäische Musik lernen.
Ist das eine Entwicklung, die uns in old europe stolz machen darf? Oder handelt es sich hier um eine schleichende Form des Imperialismus? Um einen weiteren Baustein der globalen Gleichmacherei, die kulturelle Vielfalt zerstört?
Hier sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Wenn sich die Scheichs am Persischen Golf von europäischen Stararchitekten Museumspaläste und Musiktempel bauen lassen und zur Bespielung derselben dann den Louvre oder das Guggenheim engagieren oder berühmte Orchester und Operntruppen einfliegen lassen, dann ist das die eine Sache. Wenn aber in diesen Ländern selbst musikalische Basisarbeit betrieben wird, wenn Kinder an Klassik herangeführt werden und die Begabtesten von ihnen die Chance bekommen, sich an Konservatorien zu professionalisieren – dann geht es nicht um die Zurschaustellung dessen, was man sich leisten kann. Sondern um kulturellen Reichtum.
Längst ist Young Euro Classic ein globales Projekt
Der ist dann etwa bei einem Festival wie „Young Euro Classic“ zu erleben. Längst ist das als EU-internes Projekt gestartete Jugendorchestertreffen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu einem weltweit anerkannten Event geworden. Aus Kasachstan und Mexiko, aus dem Nahen Osten und vom Ural reisen diesmal junge Musiker an, früher waren Orchester aus China, Singapur, Australien und Südafrika da, aus Brasilien, den USA, Israel, dem Oman, der Türkei, aus Armenien und, 2006, sogar aus Syrien.
Wobei die letzten beiden Worte des auf den ersten Blick irreführenden Festivalnamens zusammengehören: „Euro-Classic“ haben die Musikerinnen und Musiker im Gepäck, wenn sie nach Berlin reisen – vor allem Werke der europäischen Klassik. In ihrer Heimat verfügen sie über bedeutende Musiktraditionen, die im Fall vieler arabischer und asiatischer Länder historisch oft Jahrhunderte zurückreichen. Doch auf ihren Pulten liegen bei den Gastspielen am Gendarmenmarkt Beethoven und Tschaikowsky, Bruckner, Mahler, Ravel, Prokofjew oder Brahms. Die Hits des Kern-Kanons abendländischer Sinfonik.
Europäische Klassik ist ein Exportschlager
So gesehen, erfüllt „Young Euro Classic“ dieselbe Funktion wie die großen Technikmessen. Wenn die Klassik-Ensembles aus entferntesten Regionen ins Herz Europas reisen, um im Konzerthaus ihre Interpretationen von Mahler, Tschaikowsky und Co. vorzuführen, dann ist das genauso spannend, wie wenn ein chinesischer Hersteller auf der Frankfurter Automesse erstmals seine eigene Produktpalette präsentiert.
Sicher, manchmal erleben die Hörer nur billige Kopien, ungelenke Nachahmungen. Gelegentlich auch ein Fremdeln mit der Materie, einen entweder zu zaghaften oder arg vergröbernden Zugriff. Wenn es den Nachwuchsmusikern aber gelingt, sich die genuin europäischen Partituren anzuverwandeln, sie mit Leben zu erfüllen, mit ihrer Begeisterung und ihrem Temperament, dann entstehen magische Momente. Jenseits der Routine, die wir Europäer durch die lebenslange Vertrautheit mit den Stücken zwangsläufig entwickelt haben. Bei „Young Euro Classic“ kommen die Exportartikel also wieder an den Absender zurück, mit mehr oder weniger modifizierter Botschaft.
Das Eröffnungskonzert 2016 ist leider ein Fehlstart
Um so schmerzhafter dann, wenn ausgerechnet beim Eröffnungskonzert der 17. „Young Euro Classic“-Ausgabe jene Art von distanziert-gediegener Klassikpflege vorgeführt wird, wie man sie bei diesem Festival gerade nicht hören will. Und dies vom hoch geschätzten European Union Youth Orchestra!
Mit Samthandschuhen fassen Katia und Marielle Labèque Mozarts Konzert für zwei Klaviere an, begreifen das Werk nicht als Wettstreit zweier Virtuosen, sondern scheinen sich gegenseitig immer den Vortritt lassen zu wollen. So aber geht jede Spontaneität verloren, fehlen Glanz und Frische, zumal auch Dirigent Vasily Petrenko zumindest beim Orchester nicht gegensteuert, sich mit tändelnder Rokoko-Niedlichkeit zufrieden gibt.
Arg oberflächlich gerät ihm auch Gustav Mahlers 1. Sinfonie. Technisch stellen die Musiker ihre Brillanz beeindruckend unter Beweis, inhaltlich aber hat ihnen Petrenko nichts vermitteln können von der Janusköpfigkeit Mahlers, der selbst im größten Jubel stets auch die mögliche Katastrophe mitdenkt.