Interview mit Joan Baez: „Von Obama enttäuscht? Ich nicht“
Sie hat sich für Folteropfer und politische Gefangene engagiert und den Dissidenten Vaclav Havel ins Konzert hineingeschmuggelt. Am 21. Mai wird Joan Baez in Berlin von Amnesty International geehrt. Ein Interview mit der Sängerin, Menschenrechtsaktivistin und Queen of Folk.
Am 21. Mai erhält Joan Baez im Haus der Berliner Festspiele den „Ambassador of Conscience“-Preis der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Laudatio hält die Sängerin Patti Smith. Auch Ai Weiwei wird geehrt, die Auszeichnung für ihn nimmt der künftige Volksbühnen-Intendant Chris Dercon entgegen. Die Veranstaltung um 20 Uhr ist öffentlich, der Kartenvorverkauf hat begonnen. Baez wurde 1941 auf Staten Island als Tochter einer Quäker-Familie geboren. Bekannt wurde sie 1959 mit einem Auftritt beim Newport Festival, um in den 60ern mit Bob Dylan das Glamourpaar des Folk zu werden. Baez sang in Woodstock und engagierte sich gegen Rassismus, Gewalt und gegen den Vietnamkrieg, mit Songs wie „We Shall Overcome“, "Blowin’ In The Wind" oder dem Album „Where Are You Now, My Son?“. Bis heute geht sie auf Tournee. Baez lebt auf einem Anwesen in Kalifornien, wo sie sich gern auf ein Baumhaus zurückzieht (Tsp).
Frau Baez, freuen Sie sich über die Auszeichnung als „Botschafterin des Gewissens“ von Amnesty International?
Vor allem freue ich mich über etwas, das ich kürzlich gelesen habe: Ein großer Prozentsatz der jüngeren Leute schenkt den Veröffentlichungen der Menschenrechtsorganisationen mehr Glauben als den offiziellen Verlautbarungen der Regierungen. Gott sei Dank. Dass die Menschenrechte von den Regierungen nicht mehr ganz so leicht ignoriert werden können, ist das große Verdienst einer Organisation wie Amnesty. So erfährt die Weltöffentlichkeit etwas über diese Regierungen und die Menschen, die sie in Gefängnissen verschwinden lassen.
Und was bedeutet Ihnen Amnesty für Ihre persönlichen Aktivitäten?
Für mich ist es dadurch leichter, eine Verbindung zu denen herzustellen, die nicht selber für sich sprechen können. Ich habe das ja immer auch im Alleingang getan, aber es ist hilfreich, das Banner von Amnesty im Gepäck zu haben.
Sie engagieren sich seit über 50 Jahren für Menschenrechte. Wenn Sie zurückschauen, woran erinnern Sie sich besonders?
Das ist schwer zu beantworten. Ich hatte ja mal Auftrittsverbote in Chile, Argentinien und Brasilien, wegen meiner Verbindungen zu Menschen, die im Untergrund gegen die Diktaturen kämpften. Als ich letztes Jahr wieder in Argentinien auftrat, waren einige der „Mütter der Plaza de Mayo“, inzwischen Großmütter, in meinem Konzert. Da haben sie eine kleine alte Frau aus dem Publikum auf die Bühne gehoben, damit sie mir ein Geschenk überreicht. Das hat mich so gerührt, dass ich kaum weitersingen konnte. Bei anderen Gelegenheiten sagen mir ehemalige politische Gefangene und Folteropfer, dass sie durch mein Engagement freigekommen sind. Auch die Postkartenkampagnen für politische Gefangene waren ein großer Erfolg. die herausstechen aus meinen Erinnerungen. Natürlich auch die Bürgerrechtsbewegung hier in den USA ...
... wo Sie schon 1963 mit Martin Luther King am „Marsch auf Washington“ teilnahmen. Er hielt seine berühmte Rede „I Have A Dream“, Sie sangen „We Shall Overcome“ und „Oh Freedom“...
... ja, und über 20 Jahre später Vaclav Havel in der Tschechoslowakei. Ich kannte ihn schon in seiner Zeit als Dissident. Es war ein Riesentheater, ihn in mein Konzert in Bratislava einzuschleusen.
Hat er da nicht Ihre Gitarre getragen?
Ich hab ihn unerkannt als meinen Roadie eingeschmuggelt. Während des Konzerts, das vom Fernsehen übertragen wurde, hab ich ihn dann in auswendig gelerntem Tschechisch von der Bühne aus begrüßt. Da haben sie mir den Strom abgedreht.
Sie haben einfach ohne Mikrofon für ihn gesungen, „Swing Low Sweet Chariot“.
Das Publikum wollte erst gar nicht glauben, dass er da war. Havel saß auf dem Balkon, wo die Polizei ihn nicht so leicht kriegen konnte. Später sagte er, das sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Etwa zwei Monate später siegte die „Samtene Revolution“.
Wofür sollte man sich denn heute engagieren? Sie machen sich weiter für den Frieden stark, für die Rechte von Schwulen und Lesben, gegen Folter und Todesstrafe ...
Ach, es gibt so viele Themen, an so vielen Orten der Welt. Was mir als Erstes in den Sinn kommt: Wie kann man die Menschen in Mexiko und anderswo schützen, die unter einem Drogenkartell leben müssen? Je mehr Drogenkriege, desto mehr Leute verdienen sehr viel Geld damit, während gleichzeitig unzählige Menschen ihr Leben verlieren. Wenn das Zeug legalisiert würde, wäre es vorbei mit den Kartellen. Doch davon sind wir weit entfernt. Man schaue nur nach Indonesien. Oder das Thema Frauen. Es ist viel schwerer, die Unterdrückung von Frauen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken als die ungerechte Behandlung von Männern. Für all diese Dinge lohnt es sich, sich zu engagieren.
In unserem letzten Gespräch sagten Sie, Sie seien eigentlich Pessimistin.
(lacht) Bin ich schon immer gewesen.
Haben 50 Jahre politisches Engagement diesen Pessimismus genährt?
Na, raten Sie mal, so wie die Welt heute aussieht! Kann man da zufrieden sein? Letztlich ist es völlig egal, ob man Pessimist oder Optimist ist. Man muss einfach die Dinge tun, die man für richtig hält. Man muss es zumindest versuchen. Sagen wir einfach, ich bin Realistin.
Früher fühlten Sie sich mehr als politische Aktivistin, in den frühen Neunzigern empfanden Sie sich mehr als Musikerin. Später sagten Sie, George W. Bush als US–Präsident habe wieder den Kampfgeist in Ihnen geweckt. Wie fühlen Sie sich heute?
Eigentlich hab ich mich immer am wohlsten gefühlt, wenn ich beides sein konnte: Sängerin und Aktivistin. Wenn ich zu Konzerten in die Balkanländer reise, in die Türkei oder nach Lateinamerika, wird es automatisch politisch. In solchen Situationen fühle ich mich am zufriedensten, kreativ, musikalisch und politisch.
Frau Baez, haben Sie Pläne für eine neue Platte?
Werden Sie nicht auch manchmal müde vom ständigen Herumgondeln in der Welt und all Ihren Aktivitäten?
Ehrlich gesagt bleibe ich inzwischen gerne zu Hause, sitze in meinem Atelier und male. Ich reiße mich nicht mehr darum, mich an die Spitze irgendwelcher Kampagnen zu stellen. Sollte es allerdings um eine Sache gehen, von deren Bedeutung ich überzeugt bin und bei der ich wüsste, ich bin die Einzige, die infrage kommt, dann würde ich es machen.
In der Ära Bush hatten Sie Angst, sie nannten sie einen Albtraum in Zeitlupe. Konnte Präsident Obama Ihre Ängste zerstreuen?
Natürlich nicht alle, aber ich fürchte mich jetzt nicht mehr davor, dass ich unter Hausarrest gestellt werden könnte. Oder dass Amerika kurz vor Einführung des Kriegsrechts steht. Bush war es völlig egal, was die Leute dachten. Ich habe mal ein Video von ihm gesehen, da sagte er: Ich wünschte, ich wäre ein Diktator, dann könnte ich alles leichter regeln.
Viele sind von Obama enttäuscht.
Ich mag das Wort „Enttäuschung“ in diesem Zusammenhang nicht. Das wäre zu billig. Es gibt ja diese Leute, die einem ständig beweisen wollen, dass man unrecht hatte, wenn man für Obama war. Ich bereue nicht, ihn unterstützt zu haben. Ich glaube, er ist ein guter Mann. Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand so kontinuierlich so kämpfen musste wie er. Die Rechten haben ihn permanent angegriffen, die Leute von der Tea Party wollen einfach keinen Mann mit schwarzer Hautfarbe im Oval Office. Als Jimmy Carter Präsident wurde, sagte er, von dem Moment an, in dem er seinen Fuß ins Oval Office setzte, hätten sich all seine Hoffnungen und Träume in Luft aufgelöst. Von da an sei es ein ständiger Kampf gewesen. So ist es auch Obama ergangen.
Sie meinten einmal, Obama könne eine Art neuer Martin Luther King werden.
Das Gefühl, das er mit seiner Kandidatur erzeugte, löste bei jüngeren Leuten ein ähnliches Gefühl aus, wie wir es in den 60er und 70er Jahren hatten. Gegen den Krieg, für Bürgerrechte: Damals waren wir eine starke Gemeinschaft von Hunderttausenden. Das ging später verloren, viele jüngere Menschen haben so etwas nie erlebt. Ich bin froh, dass sie diese Erfahrung nun doch machen konnten. Auch wenn sich das nach Obamas Wahl wieder ein bisschen verflüchtigt hat.
Inzwischen ist es sieben Jahre her, seit Ihr letztes Album „The Day After Tomorrow“ erschienen ist. Haben Sie Pläne für eine neue Platte?
Ich ordne das zur Zeit ein bisschen in meinem Kopf. Mein nächstes Album sollte mindestens so gut sein wie das beste, das ich je gemacht habe. Weil ich denke, es wird mein letztes sein. (lacht) Obwohl kürzlich jemand zu mir gesagt hat: Es muss ja nicht das letzte sein, nur das beste.
Im Sommer werden Sie wieder Konzerte in Europa geben. Wie ist es, in Europa aufzutreten?
Europa ist erstaunlich, das Interesse hier ist überwältigend. Das letzte Mal hab ich eine ganze Woche im Pariser Olympia gespielt, in London und in Spanien wurden Zusatzkonzerte gebucht.
Wie erklären Sie sich das?
In den USA läuft es zwar gut für mich, aber in Europa gibt es eine ganz andere Art von Begeisterung. Es gibt diesen blöden Witz, den mir mal ein türkischer Drogendealer erzählt hat: Was ist der Unterschied zwischen Joghurt und dem amerikanischen Volk?
Na?
Der Joghurt hat eine lebende Kultur!
Die europäische Kultur ist lebendiger als die amerikanische?
Ja. So wie die Kultur in New York lebendiger ist als die in Kalifornien.
Das Gespräch führte H. P. Daniels.
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