Kontrapunkt: Tea-Party-Bewegung - Sie sind das Volk
Der große Sieger der US-Kongresswahlen steht bereits fest – die Tea-Party-Bewegung. Ihre Anhänger sind konservativ, vital, engagiert, hoch mobil und dezentral organisiert. Dass sie denunziert werden, motiviert sie zusätzlich.
Was eint Stuttgart-21-Widersacher, Anti-Atomkraft-Aktivisten, Thilo-Sarrazin-Fans, Berliner Flugrouten-Protestierer, griechische und französische Gegner der Sparbeschlüsse ihrer Regierungen? Ganz einfach: Sie alle müssten heute Nacht in einer Mischung aus Bewunderung, Respekt und Neid in die USA schauen. Denn der große Sieger der Kongresswahlen steht bereits fest. Es ist die Tea-Party-Bewegung. Sie ist die treibende Kraft hinter den Zugewinnen der Republikaner. Ihre Anhänger haben den Lautstärkeregler der schweigenden Mehrheit bis zum Anschlag aufgedreht.
Dabei sind die Kongresswahlen nur ein Etappentriumph für sie. Maßgeblich prägen werden sie auch die Präsidentenwahl 2012. In keinem Buch über die Präsidentschaft von Barack Obama darf künftig noch ein dickes Kapitel über die Tea-Party-Bewegung fehlen.
Vital, engagiert, hoch mobil, dezentral organisiert
Die konservativen Graswurzelrevolutionäre sind vital, engagiert, hoch mobil, dezentral organisiert. Viele von ihnen haben sich früher für Politik kaum interessiert. Jetzt treibt es sie zu Hunderttausenden auf die Straße. Sie nutzen das Internet, Blogs und Twitter, um sich zu ihren Aktionen zu verabreden. Von außen verändern sie das Partei-Establishment, drücken insbesondere der Republikanischen Partei ihren Stempel auf.
Ihre zentrale Forderung ist der Abbau der gigantischen Staatsverschuldung. Sie stehen für Haushaltsdisziplin und Ausgabenkürzung. Sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass der Handlungsspielraum nachfolgender Generationen durch ein zu großes Defizit nicht eingeengt wird. Das mag man konservativ nennen, aber es ist auch uramerikanisch. Die Tea-Party-Anhänger befürworten die Trennung von Staat und Kirche ebenso wie die Trennung von Staat und Wirtschaft. Konjunkturprogramme halten sie für sozialistisch.
Natürlich werden sie denunziert. Sie seien überwiegend weiß, alt, naiv, voller Hass, rassistisch, schwulenfeindlich, schusswaffenverliebt, korrupt. Eine große rechte Verschwörung sei da im Gange. Doch bei genauem Hinsehen entpuppen sich die meisten dieser Vorwürfe als haltlos. Ja, es stimmt: Die Koch-Brüder, zwei Milliardäre, spenden der Tea-Party-Bewegung viel Geld. Aber die Gesamtsumme ist wahrscheinlich kleiner als die, mit der George Soros linke Graswurzelorganisationen unterstützt.
Ja, es stimmt: Ein Teil der Tea-Party-Anhänger glaubt, der Christ Barack Obama sei in Wahrheit ein Muslim. Aber ein beträchtlicher Teil der Demokraten glaubt bis heute, George W. Bush habe Al Gore im Jahre 2000 in Florida die Präsidentschaftswahl gestohlen. Und auch das ist ja nachweislich falsch (Das bewies die erste große Nachzählung der Stimmzettel von USA-Today, Miami Herald und Knight Ridder, veröffentlicht am 4. April 2001; die zweite große Nachzählung wurde durchgeführt von der New York Times, Washington Post, CNN und Associated Press; die vier Gore-freundlichen Medien kamen zu demselben Ergebnis: George W. Bush hätte auch ohne die Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichtes in Florida gewonnen; entsprechend titelte die „New York Times“ am 12. November 2001: „Study of Disputed Florida Ballots Finds Justices Did Not Cast the Deciding Vote“).
Mehrheit der Tea-Party-Bewegung beschäftigt sich mit Konjunkturprogrammen oder Haushaltsdefizit
Ja, es stimmt: Auf einigen Postern der Tea-Party-Anhänger wird hämisch auf Obamas Rasse oder seine angeblich muslimische Religion angespielt. Aber das betrifft einen verschwindend geringen Prozentsatz der Plakate. Die ganz große Mehrheit beschäftigt sich mit den politischen Themen Konjunkturprogramme, Haushaltsdefizit, Ausgabendisziplin, Gesundheitsreform.
Und wo hätte es das schon je in Europa gegeben – dass Menschen nicht aus primär egoistischen Motiven auf die Straße gehen, etwa weil sie mehr Geld für ihre Klientel, die Bildung, Hartz IV, die Rente oder höhere Löhne wollen, sondern weil sie vom Staat fordern, dass er weniger Geld ausgibt (!) und den Haushalt saniert? Dies nur am Rande: Wären wir Deutsche den Ratschlägen des Gurus der staatlichen Investitionsprogramme, Paul Krugman, ebenso beflissen gefolgt wie die US-Regierung, hätten wir heute noch höhere Schulden als ohnehin schon.
Überdies sind die Tea-Party-Anhänger komplett gewaltfrei, zivil und friedlich. Weder besetzen sie Grundstücke, auf denen ein Bahnhof gebaut werden soll, noch ketten sie sich an Gleise, weder legen sie wochenlang durch Streiks ein Land lahm, noch liefern sie sich Gefechte mit der Polizei. Nein wenn Amerikaner ungemütlich werden, geht es nicht, wie in Frankreich, um Lappalien wie die Erhöhung des Renteneinstiegsalters von 60 auf 62 Jahre, sondern um grundsätzliche Dinge. Die Sklaverei zum Beispiel. An dieser Frage entzündete sich der amerikanische Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten (1861 bis 1865), der im übrigen mehr US-amerikanische Todesopfer forderte als jeder andere Krieg, an dem das Land im Laufe seiner Geschichte beteiligt war.
Ja, es stimmt: Unter den Kandidaten der Tea-Party-Bewegung gibt es Fundis, Spinner und Exoten. Auf sie stürzen sich die sensationshungrigen Medien, und den Demokraten dienen sie als Beleg für ihre These, die konservativen Graswurzel-Rebellen würden von irrationalen Elementen manipuliert. Dabei sind diese Fundis, Spinner und Exoten nicht repräsentativ, sie werden recht schnell isoliert, einen nachhaltigen Einfluss auf die Bewegung haben sie nicht.
Bereits unter George W. Bush und den Republikanern wurde der Staatsapparat gewaltig aufgebläht, mit dem Heimatschutzministerium eine gewaltige neue Behörde geschaffen, ein erstes Konjunkturpaket verabschiedet, zwei maßlos teure Kriege wurden begonnen. Schon damals gingen jene Amerikaner auf Distanz, die dem Staat Zügel anlegen wollen und in der Tradition von Thomas Jefferson glauben, dass die beste Regierung diejenige ist, die am wenigsten regiert.
Diese Grundüberzeugung wird am heutigen Wahl-Dienstag einen überragenden Erfolg feiern. Eine demokratische Revolution brachte vor zwei Jahren Barack Obama ins Weiße Haus. Nun sorgt eine zweite demokratische Revolution dafür, dass der aufgeblähte Staatsapparat nicht vollends aus den Nähten platzt. Ein Quäntchen europäische Bewunderung, ein wenig Respekt und durchaus auch Neid wären verständlich, vielleicht sogar angebracht.