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Die Münchner Philharmoniker und Dirigent Valery Gergiev.
© Kai Bienert

Musikfest Berlin: Von der Eitelkeit der Welt

Beim Musikfest Berlin spielen Dirigent Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker.

Wenn auf dem Kulturforum trotz aller Baustellen noch Parkplätze frei sind, ahnt man schon: Die Philharmonie wird nicht voll. Tatsächlich klaffen beträchtliche Lücken in den Blöcken, obwohl beim Musikfest mit den Münchner Philharmonikern und Valery Gergiev klangvolle Namen zu Gast sind. Zwei letzte Werke stehen auf dem Programm – zu viel? Es gab, zumindest vor der Pause, einiges zu verpassen.

Bernd Alois Zimmermann hatte seine als „Ekklesiastische Aktion“ (wörtlich: „kirchliche“ oder „Glaubens-Aktion“) bezeichnete Kantate „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ gerade noch vollendet, bevor er sich am 10. August 1970 das Leben nahm. Sie zieht insofern die Summe seines Schaffens, als sie zwei Texte engführt, mit denen er sich lange beschäftigt hat: Dostojewskis Geschichte vom Großinquisitor aus den „Brüdern Karamasow“ – der Christus im Kerker vorwirft, gescheitert zu sein, und dabei selbst den institutionalisierten Verrat an seiner Lehre verkörpert – wird gegengeschnitten mit dem alttestamentarischen Sendungsbewusstsein des Predigers Salomo, der die Eitelkeit der Welt entlarvt.

Georg Nigl - stets gestützte Stimme und nie versiegende Kraft

Für die biblischen Sprüche braucht es einen Bassisten, der völlig von der Rolle durchdrungen ist. So gut wie Georg Nigl beherrscht das derzeit keiner. Der Sänger des Jahres 2015 winselt, jault, wendet die Laute im Mund umher, malmt sie, würgt sie, speit sie heraus: ein einziges Leiden am Text, und das mit stets gestützter Stimme und nie versiegender Kraft. Dazu kontrastiert der klare Ton von Michael Rotschopf als erstem und das mild-grummelige, sich gleichwohl zu furchterregender Aggression aufschaukelnde Bayrisch von Josef Bierbichler, der die Inquisitor-Passagen liest, als zweitem Sprecher. Die Musiker aus München setzen energische Klangakzente mit Blech, Ritsche, Streicher, Gitarre und, nun ja, auch Nagelbrett. Zimmermanns Werk ist ja wirklich eine „Aktion“, ein Dramolett, ein Hörspiel, und Gergiev stürzt sich mit Verve hinein, macht die Konflikte, die hier ausgetragen werden, zu seinen eignen, dirigiert mit einer Art Bleistift statt Taktstock, fein und filigran.

Anton Bruckners 9. Symphonie mit uneleganten Übergängen

Anders als Zimmermann konnte Anton Bruckner sein letztes Werk, die 9. Symphonie, nicht fertigstellen, in der Philharmonie erklingen die drei vollendeten Sätze. Unverständlich, wieso die Münchner ihrem Chef jetzt nicht mehr richtig folgen, obwohl der genauso feinzeichnend dirigiert wie vorher. Vielleicht werden seine Botschaften durch die Angewohnheit, ständig die Finger zu schütteln, als wolle er Zucker ausstreuen, eher verunklart?

Dieser Bruckner jedenfalls gerät grob, plakativ und überlaut, die Musik wirkt nicht empfunden, die Übergänge sind unelegant, das Scherzo-Thema elefantös, als würde eine Armee heranstürmen. Sollte Bruckner hier tatsächlich an letzten Dingen gerührt haben, hört man es nicht, sie werden einfach übertönt. Katholiken sind sie beide, aber an diesem Abend und mit diesem Orchester macht der Zweifler und Verzweifler Zimmermann den Stich vor dem ganz auf seine Glaubensgewissheit vertrauenden Bruckner.

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