Exil Ensemble am Gorki Theater: Von Dänemark nach Damaskus
Arabischer Frühling, #MeToo und Gruselclowns: Das Exil Ensemble eröffnet am Maxim Gorki Theater neue Blickwinkel auf Heiner Müllers „Hamletmaschine“.
Heiner Müllers „Hamletmaschine“ aus dem Jahr 1977: Man kann es sich durchaus leichter machen im Theater als das Exil Ensemble und der Regisseur Sebastian Nübling! Quantitativ ist das keine zehn Seiten umfassende Stück zwar durchaus überschaubar. An kryptischem Anspielungsreichtum lässt es aber nichts zu wünschen übrig. In fünf kurzen Bildern behandelt Müller so gut wie alle Themenkomplexe zwischen der Künstler- und Intellektuellenrolle in der DDR, dem Ungarn-Aufstand 1956 plus „Marx Lenin Mao“, dem „Europa der Frau“ sowie, ganz wichtig, dem in puncto Wirkungsmacht naturgemäß wenig befriedigenden Verhältnis von Kunst und Gesellschaft. Fazit: „Mein Drama findet nicht mehr statt.“
Diese These wird jetzt – rein performativ betrachtet – im Maxim Gorki Theater durchaus widerlegt. Das Exil Ensemble, jene seit 2016 am Haus angesiedelte Plattform für im Exil lebende Profi-Künstlerinnen und -Künstler, aktuell aus Syrien, Palästina und Afghanistan, konkretisiert und vergegenwärtigt das Stück einerseits. Und zwar durch Texte seines Oberspielleiters Ayham Majid Agha, die etwa Müllers Aufstandstopos mit dem Arabischen Frühling verknüpfen. Andererseits rückt der Regisseur Sebastian Nübling den Text ästhetisch stilsicher in größtmögliche Distanz. Müllers Hamlet-Kommentar, in dem – von wegen Anspielungsreichtum – auch vom „zweiten Clown im kommunistischen Frühling“ die Rede ist, rollt hier konsequent als Grusel-Clownsspiel über die Bühne.
Das sorgt noch für vergleichsweise entspannte Publikumslacher, wenn etwa tragende Parts derart stimmenverzerrt unter Masken weggenuschelt werden, dass man zwingend den eingeblendeten Text mitlesen muss. Oder wenn die Schauspielerin Kenda Hmeidan in genregemäß alberner Zirkusclownsmanier einen rosa Luftballon zum Penisersatz aufbläst und pantomimisch dessen (durchaus nicht unbegrenztes) Potenzial durchspielt: vom platzhirschhaften Wippen bis zur akrobatischen Selbstpenetration.
Feminist Heiner Müller?
Und klar auch, dass hier – zumal in Zeiten von #MeToo – mindestens semi-ironisch nach Müllers Frauenbild gefragt werden muss. „Das ist ein brillanter Text über den Aufstand einer wütenden Frau, wird da in einer Art Chor der widerstreitenden Stimmen der „Feminist“ Müller für seinen Ophelia-Part gelobt. „Die Frau am Strick, die Frau mit der Überdosis, die Frau mit dem Kopf im Gasherd“, fragt die textfitte Gegenstimme konsterniert zurück: „Feminist?“
Ernsthafter beziehungsweise konkreter wird es, wenn durch die ergänzenden Texte Ayham Majid Aghas Müller direkt in der (syrischen) Gegenwart ankommt: „Am 3. Februar ... fand mein Drama in Damaskus vor dem Parlamentsgebäude statt“. Oder wenn in Müllers „Scherzo“ potenzielle Hamlet- und Ophelia-Biografien durchgespielt werden. „Hamlet: ein dänischer Prinz, der in Ost-Syrien geboren wurde, in Deir ez-Zor. Er verließ die Stadt nach 520 Tagen der Belagerung, während der sein Vater getötet worden war.“ So wird ein Text, der im hiesigen Theaterdiskurs fast nur noch im Aggregatzustand des eingefrosteten Kanons vorkommt, aus einem höchst gegenständlichen Blickwinkel neu lesbar.
wieder am 28. Februar und 16. März
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