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Ankunft und Ausgrenzung. Die Fotografin Herlinde Koelbl war für ihr „Refugees“-Projekt in Griechenland, Italien und Deutschland unterwegs. Dieses Foto entstand auf Sizilien
©  Herlinde Koelbl

Herlinde Koelbls "Refugees"-Fotos: Vom Überleben

Zwischen Elend, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe. Ein Rundgang mit der Fotografin Herlinde Koelbl durch ihre „Refugees“-Fotoausstellung im Außenministerium.

Auf den ersten Blick erinnert er an den König Caspar aus der Weihnachtsgeschichte: Umflossen von glänzendem Gold steht er vor einer royalroten Wand, stolz aufgerichtet. Es sind mobile Toilettenhäuschen, die den Hintergrund bilden, wie sich bei genauerem Hinsehen herausstellt. Und beim Umhang des dunkelhäutigen Mannes handelt es sich sich nicht um eine Königsrobe, sondern um eine dieser Rettungsdecken, die unterkühlten Schiffbrüchigen umgelegt wird.

Von rechts schiebt sich ein Reisebus mit italienischem Kennzeichen ins Bild schiebt. „Alles war schon zur Abfahrt bereit, der junge Mann aber wollte unbedingt noch die Toilette benutzen“, sagt Herlinde Koelbl. „Daher rührt sein ängstlicher Gesichtsausdruck.“

Als der Europarat die Fotografin mit einer Arbeit zum Thema Geflüchtete beauftragte, entschloss sie sich, dem Schicksal der Menschen jenseits der Schlagzeilen nachzuspüren. Sie reiste an die Brennpunkte in Griechenland und Italien, besuchte aber auch sechs deutsche Flüchtlingsunterkünfte. Die Ausstellung, die aus diesen Recherchereisen entstand, ist nach Stationen in Straßburg und Nancy sowie im luxemburgischen Neumünster nun in Berlin zu sehen, im Lichthof des Außenministeriums.

Koelbl will nicht anklagen, sondern dokumentieren

„Am härtesten waren die Erlebnisse in den Camps rund um Athen“, erzählt Herlinde Koelbl beim Rundgang. Erschreckende Bedingungen herrschten dort, gerade im Vergleich zu denen in Deutschland. In Catania auf Sizilien dagegen beobachtete sie überrascht, wie routiniert- professionell die Registrierung und medizinische Untersuchung der Ankommenden ablief. Auf einem ihrer Fotos sieht man einen Afrikaner, bei dem gerade Fieber gemessen wird – mit einem Gerät, das ein Helfer ihm an die Schläfe hält. Dass der Betrachter sofort eine Erschießungssituation assoziiert, ist Herlinde Koelbl durchaus bewusst.

Sie will mit der Ausstellung nicht anklagen, sondern dokumentieren. Das Elend der Betroffenen einerseits, andererseits aber auch die Hilfsbereitschaft in den Ankunftsländern, die mehr oder minder gut organisierte Nächstenliebe. Als Motto hat die Fotografin einen Satz von Albert Einstein ausgewählt: „Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten.“

In den Jahrzehnten ihrer langen Karriere hat Herlinde Koelbl Politiker und Journalisten beobachtet, das Selbstbild von Männern wie Frauen untersucht, in deutsche Wohnzimmer geblickt und zuletzt in 30 Ländern Scharfschützen danach befragt, auf welche Feindbilder sie bei ihrem Schießtraining zielen. Mit „Refugees“ fügt sie dem Panorama der Gegenwart jetzt eine weitere Facette hinzu. Als anteilnehmende Beobachterin, die es besonders schmerzt, mit ansehen zu müssen, wie die Kinder in den chaotischen griechischen Camps, wo es ums pure Überleben geht, zu verrohen drohen.

„Aber auch dort geht das Leben weiter, werden Frauen schwanger und Babys geboren“, sagt sie. Eine Serie mit Porträts zeigt dann auch, dass in den Augen fast aller die Zuversicht glimmt. „Es kommt darauf an, nicht in der Langeweile des Wartens zu versinken, sich nicht aufzugeben.“ Darum zeigt Koelbl Frauen, die auch im Lager nicht aufhören, sich zu schminken, oder einen alten Mann, der sich eine winzige private Ecke geschaffen hat und hier nun ein Buch liest.

Die gesicherte EU-Außengrenze in Mazedonien
Die gesicherte EU-Außengrenze in Mazedonien
©  Herlinde Koelbl

Frieden, ein fragiler Zustand

Auf die Frage, was sie aus ihrer Heimat mitgenommen haben, zeigten die Flüchtlinge der Fotografin fast immer ihre Handys: das ganze frühere Leben auf einen Speicherchip. Kein Wunder, dass die Aufladestationen für Mobilfunkgeräte zentrale Treffpunkte in den Camps sind. Um so bewegender ist es, in dem Video, das Herlinde Koelbl begleitend zum Projekt gedreht hat, einem Mann zu begegnen, der sich selbst auf der Flucht nicht von seinem Saiteninstrument trennen mochte – und nun seinen Leidensgenossen Trost durch Musik spenden kann.

Seit sieben Jahren hat die Fotografin eine Kolumne im „Zeit“-Magazin, in der sie unter der Titel „Das war meine Rettung“ mit Prominenten über private Schlüsselerlebnisse spricht. Wie klein, wie unbedeutend erscheinen diese „Rettungen“ im Vergleich zu jenen, die die Boat People vom Mittelmeer hinter sich haben. Eines sei ihr bei der Arbeit am „Refugees“-Projekt klar geworden, sagt Herlinde Koelbl, während ihr Blick über die Stellwände schweift, die mit Abmessungen von fünf mal fünf Metern den Wohnkojen in der Tempelhofer Hangarhalle nachempfunden sind: „Frieden, das ist ein ganz fragiler Zustand – und keinesfalls so selbstverständlich, wie es uns aus deutscher Perspektive erscheint.“

Auswärtiges Amt, Lichthof, Werderscher Markt 1, bis 9. März, Mo – Fr 10 – 19 Uhr, Eintritt frei. Anmeldung für Schulklassen unter 607-veranstaltung@diplo.de.

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