Idomeni in Griechenland: Athen: Räumung läuft wie am Schnürchen
Rund 1800 Flüchtlinge haben Idomeni am ersten Tag der Räumung des Lagers verlassen. Pro Asyl prangert das Flüchtlingselend in Griechenland an.
Das griechische Flüchtlingslager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien wird geräumt - zunächst ruhig und ohne Anwendung von Gewalt. Migranten und Flüchtlinge sammelten ihr Hab und Gut und stiegen in Busse ein, um in organisierte Auffanglager des Militärs gefahren zu werden. 37 Busse haben Idomeni bis zum frühen Abend verlassen - mit 1780 Flüchtlingen. Dies sei "ohne jegliche Zwischenfälle" geschehen, teilte die Regierung in Athen weiter mit. Die Aktion sollte am Mittwochmorgen fortgesetzt werden.
Der Europareferent der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, Karl Kopp, sagte dem Tagesspiegel: "Das Symbol der gescheiterten EU-Flüchtlingspolitik wird geräumt. Das Elend der in Griechenland Gestrandeten steigt ins Unermessliche."
Ramona Lenz von der Hilfsorganisation Medico international kritisierte: "Es geht nicht darum die Lage der Gestrandeten zu verbessern, sondern sie unsichtbar zu machen."
Die Aktion hatte am frühen Morgen begonnen. Einheiten der Bereitschaftspolizei sperrten das Lager weiträumig ab. Polizeibeamte in Zivil kontrollierten jeden, der nach Idomeni fahren wollte. Sie ließen nur Einwohner der Region durch. Journalisten bekamen bis auf wenige Ausnahmen keinen Zugang zum Gelände oder wurden im Laufe des Vormittags vor ihm verwiesen. Die meisten Aktivisten von Hilfsorganisationen wurden aufgefordert, das Camp zu verlassen, wie griechische Journalisten berichteten.
"Ärzte ohne Grenzen" berichtete auf Twitter, ähnlich wie andere Hilfsorganisationen nur noch eingeschränkten Zugang zum Flüchtlingslager zu haben. Aktivitäten wie die Verteilung von Lebensmitteln würden so erschwert.
Der Sprecher des Stabes für die Flüchtlingskrise, Giorgos Kyritsis, sagte, es sei bei der Räumung keine Gewalt angewendet worden. "Alles wie am Schnürchen. Die Menschen kommen jetzt in bessere Lager", sagte er im griechischen Rundfunk. Die Räumung wird wohl mehrere Tage - ein Sprecher der Regierung ging von bis zu zehn Tagen aus - dauern. Die Migranten, die seit Monaten unter für Menschen unwürdigen Zuständen vor dem mazedonischen Grenzzaun ausharren und auch eine wichtige Bahnlinie sperren, sollen überwiegend in Lager in der Region der Hafenstadt Thessaloniki gebracht werden.
Die Polizei veröffentlichte am Nachmittag Videoaufnahmen, die von ihrem Hubschrauber aus gedreht worden waren. Deutlich zu sehen waren Migranten, die koordiniert und ohne Gewaltanwendung in Busse stiegen und das Lager verließen. Augenzeugen berichteten, Zelte und Plastikplanen sowie Müll seien mit einem Bagger beseitigt worden.
Der "Bild"-Reporter Paul Ronzheimer, der als einer der wenigen Journalisten am Morgen noch auf dem Camp-Gelände war, berichtete auf Twitter: "Im Camp überall Polizei. Alle Flüchtlinge, die ich im Camp treffe, wollen im Zweifel freiwillig gehen." Auch Ronzheimer wurde nach eigenen Angaben später von der Polizei - nach einer zeitweiligen Festnahme - vom Camp-Gelände verwiesen.
Auf Facebook schrieb der "Bild"-Journalist: "Es ist eine Schande, dass in einem EU-Land Journalisten ausgesperrt werden bei der Räumung von Idomeni. Dieses Camp ist nicht irgend ein Camp, sondern ist zum Symbol für das Scheitern geworden."
An der Aktion nehmen nach Berichten griechischer Medien rund 1400 Polizisten teil. Die Behörden begleiten mehrere Übersetzer, die den Menschen in der eigenen Sprache erklären, sie müssen koordiniert und stufenweise in Busse steigen, um anschließend in die Auffanglager im Landesinneren zu fahren, berichtete das Staatsradio unter Berufung auf die Polizei.
Am Vortag hatten Augenzeugen dutzende Migranten beobachtet, die das Lager von Idomeni verließen, um sich offenbar in der Region zu verstecken. Aktivisten hatten sie über die bevorstehende Räumungsaktion informiert. Andere Migranten, in ihrer Mehrheit Familien, fuhren freiwillig in andere Lager.
Nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" sind die griechischen Behörden überfordert. Dadurch gelinge es vielen Menschen gar nicht erst, als Asylbewerber überhaupt registriert zu werden, erklärte die Organisation: "Wir schauen auf ein Szenario, in dem Menschen hier womöglich jahrelang ausharren müssen." Es handele sich dabei auch um alleinerziehende Mütter mit Kindern, die eigentlich sofort mit ihren Familien in den anderen europäischen Ländern vereint werden könnten. Ärzte stellten bei den Flüchtlingen zunehmend schwere Depressionen fest. Es gebe Angstreaktionen und Selbstmordversuche.
Ein im vergangenen September beschlossenes EU-Programm, wonach binnen zwei Jahren insgesamt 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten gebracht werden sollten, kommt kaum voran: Nach Angaben des Sprechers des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO), Jean-Pierre Schembri, gelangten in zwei Monaten, vom 22. März bis zum 20. Mai, lediglich 404 Menschen von Griechenland aus in Länder wie Estland, Finnland, Bulgarien, Frankreich, Malta und Portugal. Aus Italien wurden in zwei Monaten nur 241 Menschen auf andere Länder verteilt. Seit Beginn des Programms wurden demnach rund 1500 Menschen umverteilt.
In Idomeni hatte sich nach der stufenweise Schließung der Balkanroute im Februar und dem Bau eines Zauns seitens Mazedoniens ein wildes Lager gebildet. Bis zu 15.000 Menschen harrten im März in der Region aus. Sie hofften, dass die Balkanroute wieder aufgemacht wird, damit sie nach Mittel- und Nordeuropa weiterreisen können.
Medien berichteten von Drogenhandel und Prostitution in dem, wie sie es nannten, "Ghetto" von Idomeni. Zudem sperren radikalisierte Migranten die wichtige Eisenbahnverbindung Griechenlands nach Norden. Mehr als 300 Güterwaggons sind auf beiden Seiten der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien steckengeblieben. Die Importeure und Exporteure beklagen Verluste in Millionenhöhe. Die wichtige Eisenbahnlinie von Thessaloniki nach Skopje werde "in zwei, drei Tagen" wieder offen sein, hieß es. (mit dpa, epd)