Herlinde Koelbl im Deutschen Historischen Museum: Schule des Tötens
Sechs Jahre reiste Herlinde Koelbl um die Welt, um in dreißig Ländern militärische Zielscheiben zu fotografieren. Herausgekommen ist dabei die beeindruckende Ausstellung „Targets“, die jetzt im Deutschen Historischen Museum gezeigt wird.
Als Herlinde Koelbl vor dreißig Jahren an einer Reportage über die Bundeswehr arbeitete, überquerte sie eines Tages im Morgengrauen mit ein paar Soldaten einen Acker. Am Ende des Ackers stand eine völlig zerschossene Figur im Gegenlicht, das erste Licht des Tages drang durch die Einschusslöcher. Koelbl war fasziniert und machte ein Foto. Seither hat dieses Bild sie nicht mehr losgelassen, für sie war es „ein Symbol für Gewalt und Tod“. Vor sechs Jahren wurde daraus dann eine große Geschichte. Koelbl reiste um die ganze Welt, besuchte fast dreißig Länder, Afghanistan und China, Israel und die USA, Südkorea und die Westsahara, und fotografierte militärische Zielscheiben und -figuren. Die Bilder von diesen Reisen sind jetzt unter dem Titel „Targets“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.
Das Schusswaffentraining ist ein zentraler Bestandteil der soldatischen Ausbildung. Nur wer schnell genug abdrückt und sicher trifft, hat eine Chance, später im Gefecht zu überleben. Möglichst lebensecht gestaltete Zielscheiben sollen helfen, Hemmschwellen zu senken. „Es klingt grausam, aber das Töten lernen muss automatisiert werden, um zu funktionieren“, hat ein Ausbilder zu Koelbl gesagt. Die Zielscheiben erzählen auch davon, wie die Feindbilder sich ändern. Vor dreißig Jahren wurden amerikanische Soldaten noch an Iwan-Figuren mit einem roten Stern auf dem Helm ausgebildet. Heute gibt es orientalisch gekleidete Zielfiguren. Der Feind ist jetzt kein Kommunist mehr, sondern ein Al-Qaida-Terrorist. „Auf welcher Seite ein Soldat auch steht, er glaubt immer auf der richtigen Seite zu sein.“, sagt Koelbl. „Und er muss es wohl glauben, um bereit zu sein, zu sterben.“
Im Deutschen Historischen Museum hängen Koelbls Bilder in großen Abzügen an den Wänden, von Punktstrahlern fast sakral beleuchtet. Dazwischen finden sich großformatige Zitate aus Gesprächen, die die Fotografin mit Soldaten geführt hat, etwa: „Ich habe nie Schuld empfunden, Leute zu töten, die den Tod verdienen, weil sie der Feind sind. Ich bin darauf trainiert, so zu denken.“ Die Menschen, die hier sprechen, sehen sich als Maschinen, Gefühle schieben sie weg. Koelbl hat auch Dutzende von Close-Up-Porträts der Soldaten gemacht, sie hängen eng beieinander. Fast alle tragen Uniform, ihre Gesichter werden halb verdeckt von Helmen, Mützen und Sturmhauben. Es sind junge Männer mit verhärteten Blicken, die als Helden posieren. Einige sehen beinahe noch aus wie Kinder.
Jedes Land hat seinen eigenen Feind, deshalb sehen die Zielscheiben in jedem Land anders aus. In Deutschland stehen Pappfiguren mit umgehängten Gewehren zwischen Pappkühen auf einer Wiese. In den USA trägt ein Terrorist mit zwei Gewehren ein Palästinensertuch. In Afghanistan ist ein Blatt mit menschlicher Silhouette vor einer Steinwüstenkulisse an eine Schaumstoffmatratze gepinnt. In der Westsahara müssen zwei Blechdosen reichen. Koelbl konstatiert einen „Gegensatz zwischen den technisch hoch entwickelten Ländern, in denen die Menge der verschossenen Munition keine Rolle spielt, und den Entwicklungsländern, dort wird jede Patrone gezählt“.
Koelbl hat auch Geisterstädte fotografiert, in denen das Militär trainiert. Sie sind im zweiten Stock der Ausstellung zu sehen. Weil asymmetrische Kriege nicht mehr auf Schlachtfeldern, sondern in Städten und Dörfern ausgetragen werden, finden immer größere Teile der Soldatenausbildung in urbanen Kulissen statt. Das kalifornische Fort Irwin, von Hollywood-Designern entworfen, erinnert tatsächlich an ein Filmset. Die Häuser werden von Moscheen mit goldenen Kuppeln überragt, bei einem Metzgerladen hängen Kunstfleischstücke in der Auslage. In Deutschland wird in einem Fachwerkdorf trainiert. Und im französischen Sissone ist eine neue Ausbildungsanlage entstanden, in der einige Straßen deutsche Namen wie „Berliner Straße“ oder „Universitätsstraße“ tragen. Dabei leben Franzosen und Deutsche seit zwei Generationen in Frieden und Freundschaft miteinander.
Einen britischen Offizier hat Koelbl gefragt, wie es wäre, alle Armeen abzuschaffen. Er fand die Idee natürlich naiv und weltfremd. Die beeindruckende Ausstellung endet mit einem Raum, in dem auf allen vier Wänden gleichzeitig Videos von schießenden Soldaten zu sehen sind. Man hört die Explosionen ihrer Gewehre, das metallische Scheppern der herausfallenden Patronenhülsen und kühle elektronische Musik. Es klingt wie ein Lied aus der Grabkammer.
Deutsches Historisches Museum, bis 5. 10., täglich 10–18 Uhr. Das bei Prestel erschienene Begleitbuch „Targets“ (236 Seiten) kostet 49,95 €.
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