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Die Anstößige. Die Österreicherin Lisa Eckhart polarisiert – als Autorin wie auf der Bühne.
© Hans Punz/dpa

Lisa Eckhart im Interview: Vom Fundamentalismus der Gutunmenschen und rassistischen Omas

An der Kabarettistin hat sich eine Debatte über Kunst- und Satirefreiheit entzündet. Nun legt sie ihren Debütroman vor. Ein Gespräch über Kontroversen und Ruhm.

Die Österreicherin Lisa Eckhart wurde 1992 in Leoben in der Steiermark geboren. Sie studierte Germanistik und Slawistik in Paris und Berlin und lebt in Leipzig. Seit 2015 tritt sie als Kabarettistin auf der Bühne und im Fernsehen auf. Ihr aktuelles Programm "Die Vorteile des Lasters" zeigt sie in Berlin am 4., 5. und 7. September in Berlin im Tipi am Kanzleramt.

Im Mai wurden Antisemitismus- und Rassismusvorwürfe aufgrund eines Auftritts in der WDR-Sendung „Mitternachtsspitzen“ laut. Jüngst gab es Aufregung, weil ein Hamburger Veranstaltungsort Sicherheitsbedenken gegen Eckharts Auftritt hatte, worauf das Harbourfront Festival die mit ihrem Romandebüt für einen Preis Nominierte zeitweilig auslud.

Die derbe Satire "Omama" erscheint am 17. August (Zsolnay Verlag, Wien 2020, 384 S., 24 €). In Berlin stellt Eckhart den Debütroman am 6. September in der Bar jeder Vernunft vor. „Omama“ spielt in der Steiermark. Die Heldin ist Helga, Eckharts Großmutter. Deren mit slapstickhaften und kabarettistischen Einlagen grotesk fiktionalisierte Lebensgeschichte beginnt 1945, als die Teenagerin den Einmarsch der Russen erlebt.

Frau Eckhart, 2020 scheint Ihr Jahr zu werden. Im Frühjahr haben Sie Kritik als angebliche Antisemitin geerntet. Jetzt gab’s Aufregung um die Ein- und Ausladung zu einem Hamburger Literaturfestival, was folgt im Winter?
Da lasse ich mich überraschen. Schon zuvor hatte ich die Fäden ja nicht in der Hand, auch wenn mancher mir eine konzertierte Aktion unterstellt.

Sind Sie als Kabarettistin, die gern provoziert, entsetzt oder womöglich gar erfreut über dieses breite Echo?
Erfreut bin ich nicht, weil ich eher klassisch nach Ansehen strebe und nicht plump um Aufmerksamkeit buhle. Mir wäre es lieber, wenn man sagt, die Eckhart ist Dynamit, weil man mein Werk aus den richtigen Gründen als brisant erachtet. Entsetzt hat es mich aber auch nicht. Als die Kritik an meinem Fernsehauftritt aus 2018 im Mai aufkam, dachte ich, das sei noch der Quarantäne geschuldet. Da sind den Gutunmenschen offenbar die Spaziergänger ausgegangen, die sie fotografieren und im Netz anprangern können. Also wurden die Archive geöffnet.

Den Gutunmenschen?
Den Begriff „Gutmensch“ als Schimpfwort schätze ich nicht. Das sind Philanthropen wie ich auch, gegen die habe ich überhaupt nichts. Anders die Gutunmenschen mit ihrem wahnwitzigen, in den Fundamentalismus abgleitenden Glauben, ein besserer Mensch zu sein. Der zeugt von einer Überheblichkeit, zu der selbst ich es noch nicht gebracht habe.

Wie steht es denn Ihrer Meinung nach um die Kunstfreiheit in Deutschland in Zeiten von „Cancel Culture“-Debatten? Darf Satire immer noch alles?
Natürlich. Es stand aber um die Satire schon vorher sehr schlecht, wenngleich man uns immer attestiert hat, dass wir seit Trump großartige Zeiten erleben. Das ist Unsinn, weil sich jetzt die Politiker meiner Narrenfreiheit bedienen. Wie soll ich noch Grenzen überschreiten, wenn sie von Politikern längst überschritten sind? Die politische Korrektheit sollten als Erstes Politiker betreiben, doch das war dann plötzlich ein Anspruch, der an die Kunst gestellt wurde, was absolut nicht ihre Aufgabe ist. Die Narrenfreiheit gehört uns. Die haben wir uns erarbeitet. Und die darf weder an Politiker noch an eine digitale Meute preisgegeben werden, die sich Öffentlichkeit in keiner Weise verdient hat.

Der Social-Media-Welt enthalten Sie sich im Gegensatz zu Kollegen wie Jan Böhmermann und Dieter Nuhr nach wie vor?
Jetzt erst recht. Ich war von Anfang an skeptisch, weil mir das viel zu intim ist. Ich habe einen ganz präzisen Kontext, in dem ich Satire mache, und das ist auf der Bühne. Die Menschen müssen freiwillig kommen. Ich begebe mich nicht in diese digitale Öffentlichkeit, die formal eher der Privatsphäre gleicht. Das ist extrem ungustiös. Ich werde niemals über dieses Medium Menschen belästigen. Wenn öffentliche Personen wild auf der digitalen Agora herumbrüllen, verstehe ich das erst recht nicht. Ich würde Prestige und Macht einbüßen, wenn ich mich dort artikulieren würde.

Sie wettern gegen die „Ich-Verseuchung der Kunst“, bringen nun aber das familiär befeuerte Romandebüt „Omama“ heraus: Ist das nicht paradox?
So intim familiär ist es nicht und trieft auch nicht gerade vor Lieblichkeit. Im Prolog wird ja dem Leser schon die Angst genommen, dass ihm ein Peter-Rosegger-Heimatroman vorliegt.

Lisa Eckhart liebt Versace.
Lisa Eckhart liebt Versace.
© Paula Winkler

Eher ist es ein Gerhard-Haderer-Heimatroman, also Österreich schön schaurig.
Das war eher das Anliegen. Die Figuren bleiben schemenhaft und werden nicht wahnsinnig analysiert oder pathologisiert. Ich betrachte lieber die Oberfläche, an der ohnehin mehr Wahres ist als am vermeintlich wahren Kern.

Seit ich die Großmutter-Saga gelesen habe, weiß ich, von wem Lisa Eckhart ihre Sprüche über schachernde Juden, geile Dirnen, saufende Russen und stinkende Schwarze hat. Oder hat die Großmutter sie von Ihnen?
Es ist die Generation der Großmutter, die in den fünfziger Jahren so spricht und die dann langsam mit der politischen Korrektheit in Berührung kommt und die neuen Begriffe in der Euphemismus-Tretmühle annimmt. Trotzdem nimmt sie ihre Vorurteile aber problemlos in den nächsten Begriff mit. Ich kenne ältere Menschen, die sich politisch korrekt ausdrücken, was aber nichts an den im Inneren schwelenden Vorurteilen verbessert. Trotzdem bin ich gegen eine Pauschalisierung dieser Generation als Rassisten und Sexisten.

Was sagen Sie zum Vorwurf, solche Klischees nicht zu entlarven, sondern schlicht erkenntnisfrei zu reproduzieren? Damit werden Sie nach dem Erscheinen von „Omama“ sicher wieder konfrontiert.
Ich kann nicht jedem Nachhilfeunterricht geben. Ich bediene die Klischees nicht bruchlos. Das würde mir die absolute Zensurstelle – meine Mutter – gar nicht durchgehen lassen.

Im Buch entwerfen Sie eine grotesk-nostalgische Provinz-Phänomenologie der Steiermark: Dorfdepp, Dorftrinker, Dorfmatratze, Dorfschönling. Als Gegengift urbaner Träume vom idyllischen Land?
Die Interpretation überlasse ich der Literaturwissenschaft. Die Geschichte beginnt in der Nachkriegszeit und flaniert ins Heute, weckt aber vermutlich kaum Lust, in irgendeine der beschriebenen Epochen zurückzukehren. Geschweige denn, in dieser Gegenwart zu bleiben.

Stilistisch verbrauchen Sie sehr viele Wörter, um wenig Handlung auszuschmücken.
Oh ja. Ich bin kein Freund der Handlung. Ich bin im Nachhinein fast erstaunt, wie viel davon drinnen ist. In Romanen ist mir viel zu viel Handlung und Leben. Dafür muss ich kein Buch lesen, da gehe ich lieber vor die Tür. Ich erwarte mir von einem Buch Sprache, keine Geschichte, und lasse mir lieber was erklären als was erzählen.

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Da frage ich mich als Deutsche: Ist der Steirer an sich wirklich dumpf und brünstig?
Der Steirer ist der beliebteste Österreicher. Ihm prescht eine ungeheure Sympathie entgegen. Kein anderes Bundesland erfreut sich weniger Vorurteile und Schimpfwörter.

Das glaubt der Steirer?
Der Steirer und der Rest Österreichs. Nur böse Wiener Zungen würden das dementieren.

Ist die Figur Ihrer Bühnenfigur eigentlich die Reaktion auf die großmütterlichen Sättigungsattacken der Kindheit?
Sicher. Ich faste 330 Tage im Jahr, um die restliche Zeit abzufangen, die ich immer noch bei der Großmutter verbringe, und so mein Idealgewicht zu halten. Sie schafft es in der kurzen Zeit, mich so zu mästen wie im Buch beschrieben.

Was sagt denn Ihre Großmutter dazu, dass Sie so spezielle Talente wie das Defäkieren beim Schwimmen ausplaudern?
Das ist ein Talent, von dem man sich fragen kann, ob das überhaupt jemandem gegeben ist, geschweige denn meiner Großmutter.

Allein die Mutmaßung hätte meiner Großmutter zu einer gehörigen Schimpftirade gereicht. Ihre scheint toleranter zu sein.
Meine Großmutter hat schon ein größeres Literaturverständnis als ich bewiesen, als ich einmal Sorge hatte, sie könne mir das Buch übel nehmen. Daraufhin sagte sie: Mir muss es nicht gefallen, sondern den Kritikern. Das Schlimmste für sie wäre, wenn ich ihr echtes und erfundenes Leben zu einem Ladenhüter mache. Das alleine würde sie kränken. Über alles andere kann sie sich wunderbar amüsieren.

Sie haben letztes Jahr gesagt, dass Sie langfristig ganz zur Literatur wechseln möchten: Beschleunigt der jüngste Gegenwind diesen Entschluss?
Nein. Ich habe meinem Publikum vier Programme versprochen. Im Winter nächsten Jahres kommt das dritte – über die Kardinaltugenden. Die Idee für das nächste Buch steht aber schon. Ich werde mich an der Gegenwart orientieren und – anders als in „Omama“, wo fast nur Frauen vorkommen – von einem weißen Mann erzählen, der 40 oder 50 ist. Kein Querulant, sondern einer, der inbrünstig versucht, seine Rolle aufzubrechen und – kläglich daran scheitert.

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