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Der Kabarettist Dieter Nuhr steht bei der Aufzeichnung der Verleihung des Deutschen Comedypreises auf der Bühne.
© Henning Kaiser/dpa

Streit um Video von Dieter Nuhr: Für die DFG geht es jetzt um die Reputation

Die Forschungsförderer haben die Botschaft des Comedians zu Recht wieder online gestellt. Jetzt müssen sie aus der Causa Grundsätzliches lernen. Ein Kommentar.

„Für das Wissen entscheiden“ heißt die Kampagne, mit der die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Gründung ihrer Vorgängerorganisation vor 100 Jahren feiert. Vor allem aber will sie, wie Deutschlands größte Forschungsförderorganisation zum Kampagnenstart im Januar verkündete, „die Prinzipien einer freien und unabhängigen Wissenschaft sowie deren Wert für eine offene und informierte Gesellschaft prominent öffentlich sichtbar machen“.

Festveranstaltungen waren geplant, ein Schauspielerkollektiv sollte monatelang mit einem eigens gebrandeten Expeditionsbus durch die Lande fahren und mit den Menschen über Wissenschaft ins Gespräch kommen. Doch „dann kam Corona“, wie es wenig originell auf der Kampagnen-Website heißt.

Viele Live-Events fielen ins Wasser, die Expedition konnte gar nicht erst starten, es blieb vor allem die Online-Aktion „#fürdasWissen“, die, so die DFG, „allen Interessierten eine Bühne für Text-, Bild- und Video-Statements“ bieten solle. Ansonsten wurde es ruhig um die einst mit Millionen geplante Kampagne.

Doch dann kam Dieter Nuhr. Und eines ist sicher: Die Aufmerksamkeit hat die Kampagne seitdem. Aber anders als gedacht.

Ziemlich unaufregender 30-Sekunden-Spot

Die DFG hatte neben anderen Promis auch den Kabarettisten gebeten, ein Bekenntnis “#fürdasWissen“ abzuliefern. Nuhrs ziemlich unaufregender 30-Sekunden-Spot ging Ende Juli online – und löste einen mittleren Shitstorm aus.

[Der Autor ist Journalist für Bildung, lebt in Berlin und ist Tagesspiegel-Kolumnist. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.]

Der Vorwurf: dass die DFG „ausgerechnet Nuhr“ für die Wissenschaft sprechen lasse, ein Verharmloser von Klimakrise und Corona-Pandemie sei das. Tags darauf der Rückzieher: Die DFG löschte den Beitrag von der Kampagnen-Website – und verursachte damit die nächste, noch größere Empörungswelle.

Beitrag zur "aktuellen Debattenkultur rund um die Wissenschaft"

„Zensur!“ hieß es nun. Woraufhin die DFG sich entschuldigte, auch bei Nuhr, und die „kommentierte“ Wiedereinstellung des Beitrags anbot. Was der Kabarettist als Warnung wie für „eine Zigarettenpackung“ empört ablehnte. Am vergangenen Donnerstag die nächste Kehrtwende: Die DFG stellte den Beitrag unkommentiert wieder ein und erklärte: Nuhr stehe „mitten in unserer Gesellschaft“.

Die Förderorganisation wolle „eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Debattenkultur rund um die Wissenschaft“ anstoßen. Und: „Die DFG steht für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit sowie für eine differenzierte Diskussionskultur.“

Man kann von Nuhr halten, was man will. Man kann auch den zweifellos marketinggetriebenen und nicht durchdachten Einfall hinterfragen, ihn zum Kampagnen-Botschafter zu machen. Doch sollten sich all jene Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler, die vorschnell die Entfernung seines Statements verlangt haben, fragen, ob das der Umgang mit ganz offensichtlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden Personen ist, den sie sich in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wünschen.

Zugleich war die Entscheidung der DFG-Führung, Nuhrs Testimonial wieder online zu stellen, in der ganzen Angelegenheit die erste und einzig richtige für eine Forschungsorganisation, die die Werte einer offenen Gesellschaft gerade in einer eigenen Millionenkampagne demonstrativ hochhält.

Kalkül, den Reputationsschaden zu begrenzen

Allerdings kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass auch diese Kehrtwende nicht Ausdruck einer plötzlich gewachsenen Erkenntnis war, sondern wie die anderen Volten zuvor rein reaktiv und getrieben vom Kalkül, den Reputationsschaden für die DFG zu begrenzen. Womit die eigentliche Aufarbeitung des bemerkenswerten Schlingerkurses der vergangenen Tage für den Forschungsförderer erst noch beginnt.

Fest steht: Die DFG kämpft schon länger mit sich selbst. Sie will ja moderner werden, diverser, der Gesellschaft zugewandter und, was bitter nötig wäre, in ihren Entscheidungsprozessen transparenter. Gerade die neue Präsidentin Katja Becker verkörpert diesen Anspruch.

An der Causa Nuhr hat die DFG nun die Gelegenheit, wirklich zu wachsen. Sie wird es auch müssen, wenn sie die in ihrer Flucht nach vorne versprochene „intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Debattenkultur“ wirklich liefern will. Andernfalls wird sie erneut diskursiven Schiffbruch erleiden.

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