Elton-John-Film "Rocketman": Vom Durchschnittstypen zum schillernden Superstar
Broadwayreifes Spektakel: Dexter Fletcher inszeniert Elton Johns Aufstieg zum Superstar in „Rocketman“ als Mischung aus Biopic und Musical.
Ein komischer Vogel ist da im Stuhlkreis der Anonymen Alkoholiker gelandet: rot- schwarze Flügel, orangefarbene Flammen auf der Brust, dazu imposante Hörner und eine Herzchensonnenbrille. Er ist neu hier und platzt verspätet in den Raum.
Doch die anderen in der Runde lassen sich nicht aus der Ruhe bringen durch den ungewöhnlichen Gast, der gleich mal sein imposantes Suchtregister herunterrattert: Alkohol, Koks, Gras, Tabletten, Shopping – und, ja, Bulimie hat er auch noch.
Wie ist der Mann im Feuervogelkostüm so auf den Hund gekommen? Und wieso läuft ein kleiner Engländer überhaupt in einem solchen Aufzug durch New York? Die Gruppenleiterin fragt einfach mal nach seiner Kindheit – und schon springt Dexter Fletchers „Rocketman“ zurück in die erste Lebenshälfte von Elton John, der 1947 als Reginald Kenneth Dwight in der Grafschaft Middlesex zur Welt kam.
Allerdings ist dies keine brav-realistische Rückblende, wie man sie aus Biopics kennt. Nein, hier wird gesungen! Hier wird getanzt! Und der Vogelmann bringt zu den Klängen von „The Bitch Is Back In Town“ sogar kurz seine Therapiegruppe mit in seine grau-braune Fünfziger-Jahre-Jugend. Das ist ein toller Knalleffekt, dem noch viele funkensprühende Musical-Momente folgen werden. Sie machen diese Hommage an einen der größten britischen Popstars zu einer broadwayreifen Feier seiner frühen Hits (und einiger späterer Songs), die mindestens so unterhaltsam ist wie eine seiner Las-Vegas-Shows am roten Klavier.
Elton John hat den Film mitproduziert
Durch die Musik- und Tanznummern ist von Beginn an klar, dass dieses von Elton John mitproduzierte Werk nicht den Anspruch hat, komplett faktentreu zu sein. (Wer eine Dokumentation sehen möchte, kann derzeit „A Singular Man“ in der Arte-Mediathek abrufen.) Stattdessen zeichnet der Film nur die groben Linien von Elton Johns erster Karrierehälfte nach – frühe Misserfolge werden ausgeblendet –, um sich ganz darauf zu konzentrieren, ein Gefühl für das Drama und die Genialität dieses hochbegabten Kerls mit der dicken Brille zu vermitteln. Was auf spielerische, berührende und unterhaltsame Weise gelingt.
Reggie (Kit Connor) wächst bei seiner Mutter und Großmutter auf, nachdem der kaltherzige Vater sie verlassen hat. Die beiden fördern sein musikalisches Talent, er besucht sogar die Royal Academy of Music und entdeckt schließlich den Rock ’n’ Roll. Seine Transformation vom Klavierwunderkind zum Bandleader einer Bluesrock-Band findet während einer wilden Pub- und Rummelplatz-Sequenz zu „Saturday Night’s Allright“ statt, in deren Mitte Taron Egerton als erwachsene Version des Musikers eingeführt wird. Der 1989 geborene britische Sänger und Schauspieler hat schon in Fletchers Skispringer-Biografie „Eddie the Eagle“ die Hauptrolle gespielt. Für „Rocketman“ wurde er von Sir John persönlich ausgewählt, und er macht seine Sache – inklusive der Gesangsparts – hervorragend.
Die Konzerte sind glitzernde Campness-Spektakel
Höchstleistungen vollbringt auch die Kostümabteilung. Denn ab Elton Johns Ankunft in den USA, wo er 1970 in Los Angeles sein erstes legendäres Konzert gibt (der Saal hebt buchstäblich ab), kleidet sich der Musiker immer extravaganter. Die Verwandlung eines Durchschnittstypen in einen schillernden Superstar beginnt. Seine Haare werden dünner, seine Outfits dafür umso durchgeknallter. Elton Johns Konzerte sind große Campness-Spektakel. Und „Rocketman“ hätte allein schon für die Masse an irrwitzig designten Schuhen und Sonnenbrillen eine Oscarnominierung verdient.
Mit dem Erfolg biegt Elton John in die klassische Sex-, Drugs- and Rock-’n’-Roll-Straße ein. Der Film macht keinen Hehl aus dem exzessiven Alkohol- und Kokainkonsum seines Helden. Er zeigt ihn aber vor allem als einsamen Menschen, der sich nach aufrichtiger Liebe verzehrt. Dieses Leitmotiv zieht sich durch die gesamten zwei Stunden Spieldauer. Dass Elton John schwul ist, wird dabei schon früh und unaufgeregt thematisiert.
Schwuler Sex und ein fieser Lover
Als seine Beziehung mit dem smarten Manager John Reid (Richard Madden) beginnt, inszeniert Flechter das mit Witz und Erotik – inklusive einer Bettszene. Das ist erwähnenswert, weil es in Produktionen dieser Größe immer noch Seltenheitswert hat. Und hier liegt auch der größte Unterschied zu „Bohemian Rhapsody“, dem kürzlich oscargekürten Biopic eines anderen britischen Superstars: Freddie Mercurys schwule Seiten wurden darin auf so verdruckste Weise dargestellt, dass es sogar Homophobievorwürfe gegen den Film gab. „Rocketman“-Regisseur Dexter Flechter, der die Queen-Hommage zu Ende gedreht hat, nachdem Bryan Singer gefeuert worden war, zeigt jetzt, wie man es besser macht, was natürlich auch das Verdienst von Drehbuchautor Lee Hall („Billy Elliot – I Will Dance“) ist.
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Liebesglück ist Elton John allerdings nicht vergönnt in den Jahren seines größten Erfolgs. John Reid, der kalte, geldgieriger Maßanzugträger, wird neben dem herzlosen Vater als zweite große Unsympathenfigur gezeichnet. Einmal schlägt Reid den Sänger ins Gesicht, weil er zu spät für einen Auftritt dran ist. Dabei hatte Elton John sich gerade am Telefon gegenüber seiner Mutter geoutet und musste sich von ihr anhören, dass ihm ein Leben in Einsamkeit und ohne echte Liebe bevorsteht. Es wirkt wie eine Bestätigung dieser grausamen Prophezeiung, dass Reid keinen Versuch unternimmt, John zu trösten, sondern ihn sogar attackiert.
Sein bester Freund ist der Texter Bernie Taupin
Die Verzweiflung über den Lover und die Familie führt zu einer der beeindruckendsten Szenen in „Rocketman“, die aussieht wie ein Videoclip: Vollgepumpt mit Alkohol und Tabletten stürzt sich Elton John während einer Party in seinen Pool. Auf dessen Grund sitzt er selbst als Kind und singt den Titelsong, der auch noch weiterläuft, als der Musiker aus dem Wasser gezogen, ins Krankenhaus gefahren, dort wie bei einem Boxenstopp für den nächsten Auftritt hergerichtet und dann auf die Bühne katapultiert wird.
Die einzige tiefe Beziehung hat Elton John in „Rocketman“ zu seinem Texter Bernie Taupin (Jamie Bell), dessen Worte ihn mitunter auf den ersten Blick zu Songs inspirieren. So etwa bei „Your Song“, für das Taupin den Text am Frühstückstisch schreibt, um dann rauf ins Bad zu gehen. Unten sitzt Elton John am Klavier und tastet sich zu der berühmten Melodie vor. Als er sie gefunden hat, steht Taupin im Türrahmen, ihre Blicke sind inszeniert wie die von Verliebten. Was passt, sind doch beide verliebt in die Musik, die sie zusammen schaffen. Eine Liebe die auch „Rocketman“ erfüllt – und abheben lässt.
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