Haydns „Schöpfung“ in der Philharmonie: Vollendet ist das große Werk
Von den Geistern der Finsternis zur Ausbreitung des Egos. René Jacobs dirigiert Josephs Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ in der Philharmonie.
Das neue Jahr mit einem großen Staunen zu begrüßen, das die Reichweite pyrotechnischer Blitz-und-Donner-Spielchen übersteigt, ist ein wohltuender Vorsatz. Gefasst hat ihn René Jacobs, der am Neujahrsabend in der Philharmonie altbekannte Freunde um sich schart, um Josephs Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ aufzuführen. Mit dem Rias Kammerchor und dem Freiburger Barockorchester arbeitet der belgische Dirigent seit Jahrzehnten zusammen. Zur Kommunikation braucht es Jacobs’ immer sparsamere Zeichengebung da kaum, es sei denn, sie dient dem Aufrauen von allzu edlem Wohlklang.
Beim Auftakt, der „Vorstellung des Chaos“, hält sich der 71-Jährige auffallend zurück, lässt die Zügel bewusst schleifen, den Klang schlingern. Denn der noch unbewohnten, unwirtlichen Welt, die Haydn hier schildert, fehlt es vor allem an Ordnung. Das ändert sich durch das Eingreifen des himmlischen Dirigenten und seines musikalischen Sachwalters auf Erden. Ewig schade bei diesen traumwandlerischen Interpreten, dass die Auseinandersetzung mit den Geistern der Finsternis nur wenige Takte währt. „Verzweiflung, Wut und Schrecken begleiten ihren Sturz“, ergrimmt sich der Chor gerade noch, dann ist auch schon der Durchbruch zum Staunen erreicht, „und eine neue Welt entspringt auf Gottes Wort.“ Sie in immer neuen Farben auszumalen, wird Haydn niemals müde.
Der Maestro stöhnt, der Tenor ächzt
Das Solisten-Trio Robin Johannsen (Sopran), Sebastian Kohlhepp (Tenor) und der feinhumorige Michael Nagy (Bass) nimmt sich des Entdeckens und Lobpreisens des großen Schöpfungsplans mit zarter Hingabe und niemals überzeichnetem Tonfall an. Das ist, wenn immer mehr Getier tönend das Licht der Welt erblickt, keine ganz leichte Aufgabe. Der von Frank Markowitsch tadellos einstudierte Rias Kammerchor singt nach Händel zu Neujahr 2017 nun die Chöre des Händel- Verehrers Haydn mit lichter Freude und zugleich sorgsam beherrschter Glut. Jacobs weiß auf diesem klanglichen Hochplateau immer wieder kleine Widerhaken, nicht immer nur Ausrufe-, sondern auch einzelne Fragezeichen zu setzen.
Im dritten Teil, mit dem Auftreten der ersten Menschen, ändert er sein Taktieren, wird lebhafter, bewegt sich vom Oratorium hin zur Oper. Das Libretto weist Eva an, sich der Leitung ihres Mannes dankend zu ergeben. Die beiden jubilieren herzerweichend. Darauf der Maestro stöhnt, und der Tenor ächzt. Weil man das so nicht stehen lassen kann. Aber auch, weil trotz eindringlicher Mahnung die Ausbreitung des Egos begonnen hat. Ein unumkehrbarer Prozess, der seine eigenen Dramen schafft.