zum Hauptinhalt

Haydns "Schöpfung" im Berliner Dom: Dorn zwischen Rosen

Christoph Hagels Inszenierung von Haydns Oratorium bringt Tango und Streetdancer auf die Bühne. Der Berliner Dom lässt seine sakrale Hülle fallen. Was zum Vorschein kommt ist - Pop

Mit dem ersten Akkord fällt ein Strahl von oben herab: Luzifer, der Lichtbringer, kauert auf einem Podest im Berliner Dom. Man sieht die gemeißelten Brust- und Bauchmuskeln des Tänzers Khaled Chaabi. Er atmet leise: ein existentiell Geworfener, ein gefallener Engel. Christoph Hagel hat ihn eingeführt, um für die Inszenierung von Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ einen Gegenspieler zu zu haben. Am Ende wird Luzifer, begleitet von einer gewaltigen Orgeldissonanz, in einer Art umgekehrtem Höllensturz in den Himmel zurückkehren. Ein Spektakel, wie man es bei Hagel bisher nicht gesehen hat.

„Die Schöpfung“ ist für den dirigierenden und inszeniernden Impresario weniger ein religiöses Werk als ein Werk der Aufklärung. Auf der Bühne wuselt es nur so von jungen, schönen Menschen. Es sind Streetdancer aus Hagels „Flying Bach“-Projekt und Kindertänzer der Staatlichen Ballettschule Berlin. Freiheit des Menschen bedeutet hier vor allem Freiheit von Oberbekleidung. Plastisch und warm timbriert der Tenor (Kai-Ingo Rudolph), mit lichter Höhe, aber steif in der Darstellung der Bariton (Christian Oldenburg), schneidend und mit deutlichem Drang zur Hollywooddiva Darlene Ann Dobisch. Alle sind blendend weiß angezogen und singen elektronisch verstärkt, um die Tücken der Akustik zu umschiffen. Die Halligkeit des Klangs wird so eingeschränkt, ausgeschaltet wird sie nicht. Hagel dirigiert die Berliner Symphoniker und den Berliner Symphoniechor schmissig, ohne den Sinn für die leisen Passagen zu verlieren.

Über die Jahre kann man seinen Eventinszenierungen eine gewissen Verfeinerung nicht absprechen. Während der Erschaffung der Welt ziehen Sterne über die Leinwand, eine klassische Szene, bei George Lucas abgeguckt. Algen schimmern im Südseelicht, Flüsse winden sich durch den Regenwald, Raupen kriechen Säulen hoch, Luftballons hopsen durch den Saal: Cirque du Soleil im Berliner Dom. Hagels Bildsprache ist so naiv wie die Musik: Wird vom Löwen gesungen, sieht man sofort einen, und sei’s als Kinderzeichnung. Hagel verrät Haydn nicht, nimmt das Stück in jedem Augenblick ernst. Zweimal aber überschreitet er eine Geschmacksgrenze. Wenn er den Tango „Danzon Dos“ von Arturo Marquez einfügt – aus dem Bedürfnis nach einem Reißer, etwas Tanzbarerem, als Haydn es bieten kann. Und dann am Ende: Da fällt die Leinwand und gibt den bisher verdeckten Altar frei. Die Darsteller tanzen und turnen vor dem Kruzifix. Der Ort verliert seine sakrale Hülle, seine Aura vollends, und bekommt eine neue: Er wird Pop.

Weitere Vorstellungen bis zum 3. Juni.

Zur Startseite