Bücher von Maja Göpel und Jonathan Franzen: Verzichten auf
Die Weltwirtschaft, der Klimawandel und warum es eine neue Ethik braucht: Maja Göpel und Jonathan Franzen versuchen unsere Welt neu zu denken.
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Und es ist eine Frage des Anstands. Kann es wirklich in Ordnung sein, dass der Mensch der Gegenwart die Natur in einem Maße ausbeutet, dass für kommende Generationen nicht mehr genug zum Leben bleibt? Und kann es in Ordnung sein, dass sich die Spezies Mensch nimmt, was sie braucht, ohne die geringste Rücksicht auf andere Lebewesen?
Es sind grundsätzliche Fragen, die durch die Klimadebatte ins Zentrum gesellschaftlicher Diskussionen geraten sind. Und sie gehen über Klimadiagramme, Katastrophenszenarien, Beschreibungen von Plastikmüll in Ozeanen, abgeholzten Regenwäldern, schmelzenden Polkappen, Massentierhaltung, Gentechnik und Digitalisierung hinaus.
Man könnte noch weitere Problemfelder finden, einige davon zählt Maja Göpel in ihrem Buch auf. (Unsere Welt neu denken. Eine Einladung. Ullstein, Berlin 2020. 208 Seiten, 17,90 €.) „Unsere Welt neu denken“ soll „kein Klimabuch“ sein.
Es gibt kein ewiges Wachstum
Die 1976 geborene Politökonomin, Mitbegründerin der Scientists for Future und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), hat eine spezielle Agenda. Sie stellt ins Zentrum, was in den Klimadebatten oft nur am Rand abgehandelt wird: die Art unseres Wirtschaftens.
Dafür braucht sie keine Schlagwörter wie Neoliberalismus oder Spätkapitalismus. Sie schaut sich schlicht ein paar grundsätzliche ökonomische Theorien an, von Adam Smith über David Ricardo bis hin zu Darwins Evolutionstheorie, und macht klar, dass die häufig aus dem Zusammenhang gerissenen Theoreme unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts entstanden sind.
Mit den heutigen Verhältnissen haben sie nichts mehr zu tun. Vom „Trickle-down-Effekt“, der Behauptung, es müsste oben nur genug verdient werden, dass über kurz oder lang genügend nach unten durchsickert, den beispielsweise Bill Gates und der Kognitionswissenschaftler Steven Pinker gern ins Feld führen, bis hin zur Theorie des 1987 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Ökonomen Robert Solow, dass sich „Naturkapital“ technisch substituieren lasse, dass die Welt also „ohne natürliche Ressourcen auskommen“ könne, schlachtet sie so manche Heilige Kuh der Technik- und Wirtschaftswachstumsvergötterung.
All das geschieht beiläufig, rhetorisch zwar im gelegentlich etwas übertriebenen Ansprache- und Mitdenkmodus, aber zugleich so verständlich, dass es jede(r) mit ein klein wenig Anstrengung leicht nachvollziehen kann.
Dabei findet sie anschauliche Gegenstände, an denen sich bestimmte Veränderungen zeigen lassen und macht sie zum bildlichen Zentrum ihrer Argumentation.
Etwa, wenn sie die Aufnahme „Earthrise“ ins Gedächtnis ruft, die 1968 während der Mission der Apollo 8 entstand und der ganzen Menschheit ein Gefühl für die Schönheit und Verletzlichkeit der Erde gab - und dann weitere Zahlen liefert: 1968 beherbergte der Planet noch 3, 6 Milliarden Bewohner, die Ressourcen, auch wenn sie ungleich verteilt waren, reichten im Prinzip aus. Bis 2019 aber hat sich die Weltbevölkerung auf 7,7 Milliarden mehr als verdoppelt. Und der Einzelne beansprucht mehr Platz als fünfzig Jahre zuvor.
Es gibt zu denken, dass ausgerechnet Krisen klimastabilisierend sind
Dass die „Grenzen des Wachstums“, wie eine zum Schlagwort gewordene Studie aus dem Jahr 1972 heißt, spätestens 100 Jahre später zum Kollaps führen werden, ist bis heute unbestritten. Eher hat sich der Vorgang beschleunigt. Ein anderes dieser Denkbilder ist die CO2-Messstation auf Hawaii. Sie wurde dort fernab der Zivilisation 1958 gegründet.
Seither nimmt die CO2-Belastung in der Atmosphäre stetig zu, berichtet Maja Göpel, mit drei Ausnahmen: zur Zeit der Ölkrise in den 1970er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und während der Finanzkrise. Man darf wohl vermuten, dass das Coronavirus den bereits in China registrieren Effekt der Emissionsreduktion auch global bewirken wird.
Es muss zu denken geben, wenn ausgerechnet Krisen das Klima stabilisieren. Offenbar lassen sich Emissionen relativ rasch bemerkbar reduzieren.
Warum aber nur durch Krisen und Katastrophen? Wäre es nicht klüger, wenn die Menschheit damit begänne, nach politischen Lösungen zu suchen? Das geschieht zwar mit den verschiedenen Klimaprotokollen seit 1992, auch die Strafzahlungen in der EU sind ein Schritt in diese Richtung. Maja Göpel stellt weitere Modelle vor wie den Earth Atmospheric Trust aus dem Umkreis der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom. Bei Überziehen des CO2-Budgets Einzelner werden Zahlungen in den Trust fällig, aus dem ein bedingungsloses Einkommen für alle und Investitionen in den Umweltschutz finanziert werden könnten.
Franzen und Göpel ergänzen sich gut
Eine Wirtschaft, die im Zuge des Utilitarismus und der Mathematisierung der Ökonomie verlernt hat, zwischen Wert und Preis zu unterscheiden, argumentiert Göpel mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato, müsste durch gezieltes Verhindern unverdienter Wertschöpfung und Bereinigung der Bilanzierung auch von Umweltschäden durch politische Maßnahmen gezähmt werden. „Planetenzerstörung darf nicht mehr Wachstum heißen. Reine Geldvermehrung nicht länger Wertschöpfung. Grenzen des Wachstums sollten Überwindung der ökologischen und sozialen Schadschöpfung heißen.“
Die Effizienzfortschritte, die technische Entwicklungen in der Auswertung von Ressourcen erbringen, werden durch den sogenannten „Rebound-Effekt“ aufgezehrt. Durch den sparsameren Umgang mit Ressourcen findet die Technik größere Verbreitung, was insgesamt zu einem Mehrverbrauch führt.
In den letzten dreißig Jahren hat die Menschheit so viel Kohlendioxid freigesetzt wie in den zwei Jahrhunderten davor, also seit Beginn der Industrialisierung. Auf dieses Verhältnis weist auch Jonathan Franzen in einem Essay hin, der zunächst im „New Yorker“ und nun, um Vorwort und Interview erweitert, als kleines Büchlein bei Rowohlt erschienen ist. (Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt, Hamburg 2020. 62 Seiten, 8 €.)
Die Position des amerikanischen Schriftstellers ist deutlich radikaler als die der Ökonomin, aber beide ergänzen sich gut. Franzens Mission ist es, die Krise der Artenvielfalt ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu befördern. Und er macht deutlich, dass ein Abwenden der Klimakatastrophe nur noch „theoretisch“ möglich wäre.
Franzen hält die Klimakatastrophe für unabwendbar
Und das bedeutet in seinen Augen: gar nicht. Denn weder sind die Menschen zum nötigen Verzicht bereit, noch lassen sich die Emissionen weltweit, etwa durch Stilllegung der Transport- und Energie-Infrastruktur, realistisch senken. Also gehe es darum, sich auf das Machbare zu konzentrieren, beim Naturschutz etwa in einfache Maßnahmen wie das Aufforsten der Wälder, die Erhaltung von Grasland und Wiesenflächen, die Reduktion des Fleischkonsums. Aber auch das Wetterfestmachen von Demokratie und Rechtssystem, das Abschalten von „Hassmaschinen der sozialen Medien“, humane Einwanderungspolitik, Gleichberechtigung gehören für Franzen dazu.
Wenn man sich auf all diesen Feldern engagiert, ist es allerdings nicht einzusehen, warum man sich gerade in der Klimapolitik zurückhalten sollte. Politische Empörung und demokratisches Engagement sind schließlich keine endliche Ressource. Woher kommt die Furcht, seine Kräfte zu vergeuden, wenn man sich für Klimapolitik engagiert?
Ist es überhaupt Furcht? Franzens Vorschlag, wir sollten das „retten, was uns speziell am Herzen liegt“, hat selbstverständlich Charme. Lieben statt kämpfen klingt immer gut.
Es wird in Zukunft auch um eine Wiederbelebung ethischen Denkens gehen. Wieviel erlaubt sich der Einzelne, von dem er weiß, dass es anderen schadet?
Ohne ernsthaften Verzicht kann das nicht gehen. Und der fällt leichter, wenn es alle tun. Der Umgang mit der Eindämmung von Covid-19 ist, jenseits des Katastrophen-Potentials, eine Einübung in verschiedene Formen der Selbstbeschränkung und des Verzichts, aber auch der Bereitschaft, die eigene Autonomie zugunsten eines Gemeinschaftsgedankens einschränken zu lassen. Für demokratische Gesellschaften ist die Epidemiologie eine herausfordernde Wissenschaft.
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