Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel: "Jedes biologische System hat irgendwann sein Maximum erreicht"
Maja Göpel berät die Bundesregierung in Fragen globaler Umweltveränderungen. Im Interview spricht sie über nachhaltiges Wachstum und eine CO2-Steuer.
Frau Göpel, Millionen Menschen weltweit wollen am Freitag für den Klimaschutz demonstrieren. Die Kundgebung in New York wird wohl die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dort läuft Greta Thunberg mit, nur wenige Tage vor dem UN-Sondergipfel. Warum ist sie für viele ein Vorbild und stößt bei anderen auf so viel Ablehnung?
Da kommt ein junger Teenager und spricht deutlich aus, was viele schon lange spüren: so geht es nicht weiter. Für diesen Befreiungsschlag wird sie gefeiert. Aber sie sagt auch: „Es ist eure Schuld. Ihr habt nicht gehandelt.“ Für viele ist das nicht leicht zu ertragen. Niemand fühlt sich gerne schuldig, insbesondere nicht, wenn die Anklage groß und das Gefühl des eigenen Beitrags klein ist.
Nun beobachtet jeder ihre Schritte, achtet auf die Wahl ihrer Fortbewegung, sucht nach Fehlern, zum Beispiel bei ihrer zurückliegenden Atlantiküberfahrt,. Das ist die individuelle Ebene. Und dann spricht sie gegen die ganz machtvollen und etablierten Interessen von Institutionen. Ganze Geschäftsmodelle stellt sie damit infrage und das Gefühl des Beitrags groß, aber auch das des existenziellen Risikos, es zuzugeben.
Viel wurde in den letzten Monaten in Deutschland über Maßnahmen für den Klimaschutz diskutiert, über eine Ausweitung des Emissionshandels und eine CO2-Steuer. Oft hieß es, die CO2-Steuer treffe am Ende nicht Konzerne, sondern vor allem gewöhnliche Menschen. Was erwidern Sie da?
Emissionshandel und CO2-Steuer werden beide an die Konsumenten weitergereicht. Aber es geht ja auch darum eine Lenkungswirkung zu erzeugen, die besagt: Wir wollen das aus der Wirtschaft nehmen, was zu viel CO2 ausstößt. Es bringt also Preisvorteile für die, die Angebote mit geringer CO2-Intensität anbieten und kaufen.
Ist eine CO2-Steuer also gerecht zu machen?
Das steht fest. Alle vorgeschlagenen Modelle wirkten progressiv zu Gunsten der Einkommensschwächeren. Darüber hinaus stelle ich mir aber die Frage, warum die Haushaltsbudgets vieler Menschen so klein sind, dass ihnen keine kurzfristigen Investitionen möglich sind. Dies ist eine soziale Frage, die man zum Beispiel über höhere Mindestlöhne oder Maßnahmen gegen ausufernde Mieten regeln könnte. Damit kleine Preissteigerungen Menschen nicht aus der Kurve werfen.
Doch gebraucht wird die Steuer, um auf den Klimawandel zu reagieren.
Vermutlich finden Sie keinen Volkswirt, der eine CO2-Steuer nicht für sinnvoll hält. Es geht ja um Marktversagen. Wenn wirtschaftlich wichtige Ressourcen keinen Preis haben, aber frei verfügbar sind, werden sie überausgenutzt. Wenn Märkte in der Lage sein sollen, ein Management der Ressourcen anzuzeigen, geht das über Preissignale. Wenn diese Signalwirkung nicht funktioniert, zerstören wir Voraussetzungen des Wirtschaftens ohne dass es in den Bilanzen aufläuft.
Der Klimabewegung werden mitunter antikapitalistische Tendenzen vorgeworfen. „Gerade die Marktwirtschaft kann Mechanismen entwickeln, um mit solchen Knappheiten umzugehen“, sagte jüngst die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel.
Wir kommen so nicht weiter. Preissignale sind und ein Hebel unter vielen. Wir müssen verstehen, wo die Treiber einer Überausnutzung der Ressourcen und ihrer ungerechten Verteilung herkommen und ohne Kampfbegriffe über deren Veränderung sprechen.
Was muss sich wirtschaftspolitisch ändern?
Wir brauchen Konzepte und Indikatoren, die uns anzeigen, welche Werte wir schöpfen und schützen wollen. Die alte Metrik von Produktivität aus der Industriegesellschaft z.B., in der wir Arbeit immer effizienter machen wollten, powert Menschen aus, reduziert heute die Qualität vieler Dienstleistungen und reizt den Einsatz von Robotern an. Ressourcenproduktivität wiederum wäre heute ganz wichtig und dafür sollte z.B. die Steuerlast von Arbeit auf Ressourcennutzung verschoben werden.
Und doch scheint unser Wirtschaftssystem Wachstum zu brauchen. Welchen alternativen Ausgangspunkt sollte es geben?
Da geht es ja schon los. Niemand macht sich die Mühe, das mal zu definieren.
Wie lautet denn Ihre Definition?
Der Club of Rome hat das 1972 mit der bekannten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ getan. Die permanent anwachsende Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen und Ökosysteme ist nicht nachhaltig. Die Erde ist nicht unendlich. Die richtige Frage ist also: Wie können wir unser Wirtschaften an die Realität bio-physikalischer Systeme anpassen. Aber wir messen Wachstum weiter mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ob ich das Geld ausgegeben habe, um Umweltschäden zu bezahlen, ist diesem Indikator egal. Ob wir morgen noch Wachstum erreichen können oder die Ökosysteme kollabieren, kann er auch nicht anzeigen.
Oder, ob ich ehrenamtlich arbeite.
Genau. Wir machen in diesem Land unglaublich viel ehrenamtlich. Davon wächst unser BIP gar nicht. Das ist aber wichtige Wertschöpfung für unsere Gesellschaft. Deswegen stelle ich mir eine Idee der Wertschöpfung vor, die uns hohe Lebensqualität und ausreichende materielle Versorgung liefert – und dabei enthält, was uns der Planet ökologisch schenkt. Dafür brauche ich Indikatoren, die mir zeigen, wie ich möglichst wenig ökologischen Fußabdruck zu möglichst hoher Lebensqualität führen kann - und entsprechende Geschäftsmodelle, Anreizsysteme, Investitionsströme und so weiter.
Sinngemäß haben sie einmal gesagt, der ‚homo oeconomicus‘ ist eine unrealistische Figur. Können Sie das erklären?
Dieser „repräsentative Akteur" ist immer egoistisch, will immer seinen Mehrwert herausziehen und kann nie genug haben. Mittlerweile wird das von vielen in der Ökonomie angegriffen. Dieser Akteur hat nichts mit menschlichen Potentialen und tun und vergisst, dass wir alle sozial eingebettet leben.
Sollte der Wachstumsbegriff, wie wir ihn kennen, denn der Vergangenheit angehören?
Es wäre hilfreich über Entwicklung oder Prosperität zu sprechen. Jedes biologische System hat irgendwann sein Maximum erreicht, bei dem es gut auskalibriert wird. Daher sollten wir eher über ein Optimum reden, dessen Struktur und Kultur sich innovativ entwickelt, so dass die Gesundheit des Systems erhalten bleibt - und extraktive Wirtschaftslogik mit regenerativer Wirtschaftslogik ersetzen.
Maja Göpel ist Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU). Sie ist zudem Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg und unterstützt die Initiative "Scientists for future".