Sammlung Gurlitt in Berlin: Verwischte Spuren
„Bestandsaufnahme Gurlitt“: Nach Bonn und Bern macht die Sammlung des NS-Kunsthändlers im Martin-Gropius-Bau Station.
Manchmal ist es ein Zufall. Irgendwann sahen sich die Provenienzforscher die Gesprächsnotiz von Rose Valland noch einmal an. Die mutige Pariser Kustodin, die nach dem Krieg als eine der wichtigsten Zeuginnen beim Aufspüren von NS-Raubkunst half, hatte sich 1954 die Aussage der Lebensgefährtin des von den Nazis ermordeten Staatsmannes Georgs Mandel notiert. Eines der 1940 aus der gemeinsamen Wohnung konfiszierten Kunstwerke sei ein Frauenbildnis von Thomas Couture gewesen, mit einem reparierten Loch in der Leinwand.
Die Restauratoren der Bonner Bundeskunsthalle nahmen sich das Couture-Gemälde aus der Sammlung von Hildebrand Gurlitt daraufhin noch einmal genauer vor. Und siehe da, unter Infrarot trat in Brusthöhe der jungen Dame mit dem weißen Kleid eine Fehlstelle zutage – das Loch in der Leinwand. Der frühere Besitzer des Bildes war damit identifiziert, das sechste Werk der Sammlung Gurlitt als NS-Raubkunst überführt. Als kleiner Erfolgsbeleg für die jahrelangen Mühen der Provenienzforschung hängt es nun gleich im Entree der Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt. Ein Kunsthändler im Nationalsozialismus“ im Martin-Gropius- Bau.
Berlin bildet die dritte Station nach der Bonner Bundeskunsthalle und dem Kunstmuseum Bern. Mit ihren rund 300 Werken ist die Schau ähnlich aufgebaut: als Doppelerzählung der Historie des „Dritten Reichs“ und der Geschichte Hildebrand Gurlitts, jenes Kunsthändlers, der sich als Verwerter „entarteter Kunst“ und später als Einkäufer für das „Führer“-Museum in Linz auch persönlich bereicherte. Das Schicksal der Beraubten nimmt nun in Berlin breiteren Raum ein, nicht zuletzt weil über die Opferseite inzwischen mehr in Erfahrung gebracht werden konnte. Die Zuordnung etwa des Couture-Gemäldes stellt zwar kein Happy-End dar, aber doch die Auflösung wenigstens eines Rätsels, von denen es noch Hunderte in der Sammlung gibt. Denn die Ausstellungstournee dient sowohl der Information über den spektakulären Fall als auch der Rechtfertigung, wie damit umgegangen wurde und wird.
Gurlitt bedachte das Kunstmuseum Bern mit seinem Nachlass
Gewiss, die Aufregung um den „Nazischatz“, wie das Magazin „Focus“ vor fünf Jahren die in der Münchner Wohnung des Sohns Cornelius Gurlitt aufgetauchten 1300 Werke nannte, hat sich längst gelegt. Sie flammte erneut kurz auf, als nach dem Tod des 81-Jährigen bekannt wurde, dass nicht ein deutsches Ausstellungshaus, sondern das Kunstmuseum Bern testamentarisch von ihm bedacht worden war. Und wenig später noch einmal, als in Cornelius Gurlitts Salzburger Haus ein weiteres Konvolut an Bildern entdeckt wurde, diesmal kostbare Gemälde statt wie bisher mehrheitlich Papierarbeiten.
Aber noch immer umwabert den Fall Gurlitt der Ruch des Skandals. Kunsthandel und Museen sahen sich mit ihrer Vorgeschichte im „Dritten Reich“ und in der frühen Bundesrepublik konfrontiert. Bis heute befinden sie sich in Erklärungsnot. Denn Hildebrand Gurlitt war kein schwarzes Schaf, sondern hatte wie viele Kunsthistoriker seiner Zeit Praktiken an den Tag gelegt, die sich mit dem Guten, Edlen, Schönen nicht vertragen. Auch die Bundesregierung geriet in die Kritik, vor allem aus dem Ausland hieß es, die Aufarbeitung werde in Deutschland verschleppt. Die Vorwürfe versuchte Kulturstaatsministerin Monika Grütters durch die Einberufung einer „Taskforce“ zu entkräften. Diese sollte die Hintergründe der Sammlung recherchieren – zur Vorbereitung möglicher Restitutionen.
Das Thema NS-Raubkunst wurde in deutschen Institutionen heruntergespielt
Das Nachbeben dieser hektischen Schadensbegrenzung ist immer noch zu spüren. Anfang August stellte die FDP-Fraktion im Bundestag eine Kleine Anfrage, um klären zu lassen, ob die Beschlagnahmung damals rechtens gewesen sei und ob die „Taskforce“-Chefin Ingeborg Berggreen-Merkel Cornelius Gurlitt tatsächlich unter Druck gesetzt habe, damit dieser seine Sammlung in eine Stiftung umwandelt.
Solche politischen Hintergründe spielen in der Ausstellung keine Rolle, auch wenn sie eine größere Öffentlichkeit später einmal interessieren könnten. Ähnlich wie die Öffentlichkeit heute fragt: Warum wurde das Thema NS-Raubkunst in den Institutionen so lange heruntergespielt? Warum lässt sich das damals begangene Unrecht noch immer nicht revidieren, wenn sich diese Werke in Privatbesitz befinden? Wie ist Cornelius Gurlitt als Erbe zu bewerten: Ist er Täter, Opfer und Retter zugleich? Cornelius Gurlitt hatte sich als einer der ersten privaten Sammler kurz vor seinem Tod bereit erklärt, sich den sonst nur für öffentliche Sammlungen geltenden „Washingtoner Prinzipien“ zu unterwerfen und als Raubkunst identifizierte Werke an die Nachfahren der einstigen Besitzer zu restituieren.
Der „Dritte Reich“-Hintergrund lockt das Publikum
Tatsächlich ist die Person Cornelius Gurlitt in der Berliner Ausstellung kaum Thema, auch wenn die überdramatisierte Ausstellungsouvertüre ihn noch einmal ins Zentrum rückt, mit seinem auf einer Spiegelfläche inszenierten Koffer. Die zufällige Kontrolle durch Zollbeamte auf seinem Rückweg aus der Schweiz nach München vor mittlerweile acht Jahren stand am Anfang der Affäre. Das Koffer-Szenario suggeriert Geheimnis und Verbrechen. Mag sein, dass genau diese Mischung, dazu das „Dritte Reich“ als Hintergrund, das Publikum anlockt. Rein Wolfs, der Direktor der Bundeskunsthalle, berichtet von 150 000 Besuchern in Bonn, die durchschnittlich drei Stunden geblieben seien, sich in Dokumente vertieft und an der Kunst erfreut hätten.
Hildebrand Gurlitt sah sich als Herold der Moderne
Diese Balance zwischen geschichtlicher Erkenntnis und Kunstgenuss versucht auch die Berliner Ausstellung zu halten. Die Farbkraft der Bilder vor allem der Expressionisten, die seit dem Tod von Hildebrand Gurlitt im Jahr 1956 viele Jahrzehnte in den Schubladen verschwunden und damit auch vor ausbleichendem Licht geschützt waren, ist überwältigend. Noch immer schlägt die Ausstellung so manche Haken, nach denen sich schwer auf die große Spur zurückfinden lässt. Dort ein Exkurs zu Hildebrand Gurlitts Schwester Cornelia, die als expressionistische Künstlerin bislang kaum gewürdigt wurde, dann ein Sprung zu den „Alten Meistern“, die sich bei den NS-Eliten besonderer Beliebtheit erfreuten. In der Gurlitt-Sammlung findet sich die ganze Bandbreite, sie spiegelt das Portfolio eines Händlers. Er selbst sah sich als Herold der Moderne. Dafür wurde er als Direktor des Zwickauer Museums und später des Hamburger Kunstvereins von den Rechten attackiert, nach 1945 am Düsseldorfer Kunstverein hofiert. Denn mit Hilfe der einst verfolgten Kunst ließ sich besser an der Vorkriegszeit anknüpfen und das Dazwischen vergessen.
Mehr als die Kunst fesseln deshalb die erhaltenen Briefe, Dokumente, in denen Gurlitt die Nachfahren, die nach verlorenen Bilder fahnden, mit Ausflüchten abspeist und sich zu rechtfertigen sucht. Wie geschickt er die Spuren verwischte, kommt nur zögerlich ans Licht, manchmal gar nicht, manchmal nur durch Zufall.
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 7. 1.; Katalog (Hirmer) 29,90 €