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Das Jüdische Museum Berlin.
© Jens Ziehe

Reaktion auf Kritik am Jüdischen Museum Berlin: „Verurteile alles, was antisemitisch ist“

Die Kritik am Jüdischen Museum wird lauter, zuletzt kam sie vom Zentralrat. Direktor Peter Schäfer nimmt Stellung - und definiert die Aufgabe seines Hauses.

Das Jüdische Museum Berlin ist erneut Zielscheibe harscher Kritik geworden – von jüdischer Seite. Auf Twitter hat Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Dienstag geschrieben: „Das Maß ist voll. Das Jüdische Museum Berlin scheint gänzlich außer Kontrolle geraten zu sein. Unter diesen Umständen muss man darüber nachdenken, ob die Bezeichnung ,jüdisch’ noch angemessen ist.“ Anlass war ein Retweet des Museums mit einer Leseempfehlung für einen „taz“-Artikel. Dieser berichtet von einem Aufruf von 240 jüdischen Wissenschaftlern aus Israel und den USA, die einen Beschluss des Deutschen Bundestages kritisieren, der die gegen Israel gerichtete BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilt. „Wir lehnen die trügerische Behauptung ab, BDS sei als solches antisemitisch, und wir bekräftigen, dass Boykotte ein legitimes und gewaltfreies Mittel des Widerstands sind“, schreiben die Wissenschaftler.

Herr Schäfer, ist die drastische Kritik des Zentralrats gerechtfertigt?

Ich bedaure den Anlass der Kritik außerordentlich. Das Jüdische Museum Berlin hat seine Aufgabe immer darin gesehen, ein Forum anzubieten für Diskussionen auch über strittige Fragen. Es war nie seine Aufgabe, in politischen Tagesfragen Partei zu sein und Stellung zu nehmen. Unser Tweet war gemeint als Hinweis auf einen Diskussionsbeitrag. Aber man kann ihn auch so verstehen, dass wir Partei ergreifen wollen, was absolut nicht in unserem Sinne ist. Der Beschluss der Parlamentarier hilft im Kampf gegen Antisemitismus nicht weiter – dieser Satz hätte in Anführungszeichen stehen müssen. Denn er ist ein Zitat. Wir haben Konsequenzen im Kommunikationsbereich gezogen.

Herr Schuster wirft Ihnen auch vor, das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft verspielt zu haben. Das klingt nicht wie eine impulsive Äußerung, sondern so, als hätte sich Ärger über einen langen Zeitraum aufgebaut.

Das bezieht sich natürlich auf unsere gerade zu Ende gegangene Ausstellung „Welcome to Jerusalem“. Ich denke nach wie vor, dass es uns hier bei einem sehr schwierigen Thema gelungen ist, eine Balance widerstrebender Meinungen zu wahren. Die Ausstellung hat keine antiisraelische oder pro-palästinensische Propaganda gemacht. Was aber oft missverstanden wurde: Im Zentrum stand nicht die Geschichte Jerusalems – dann hätte es in der Tat entsetzliche Lücken gegeben: David, Salomo, die ganze Antike, die bei uns nur in der Tempelzerstörung und dem Titusbogen präsent war –, sondern es ging um die drei monotheistischen Religionen, die sich nun mal dort zusammenballen und unterschiedliche beziehungsweise dieselben Ansprüche erheben.

Es hieß, die Ausstellung würde die israelische Sichtweise auf Jerusalem zu wenig berücksichtigen. Haben Sie auch positive Reaktionen erfahren?

Massenweise.

Von welchen Seiten?

Etwa aus Israel und Amerika. Der Kanzler der Hebräischen Universität hat mich kürzlich besucht und die Ausstellung zum dritten Mal gesehen. Er meinte: „Großartig. Ich kann die Aufregung gar nicht verstehen.“ Sie war ja sehr erfolgreich, wobei ich zugebe, dass Erfolg allein nicht unbedingt ein Maßstab für Qualität ist. Er ist aber eben auch nicht ganz unwichtig. Über die gesamte Laufzeit gerechnet kamen im Schnitt knapp 1000 Besucherinnen und Besucher pro Tag. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis die Ausstellung in dieser Weise kritisiert worden ist. Wir haben nicht mehr damit gerechnet. Und dann brach es plötzlich los.

Der Brief von Benjamin Netanjahu an die Bundeskanzlerin kam für Sie aus heiterem Himmel?

Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Kritik von Journalisten, vor allem aus Israel. Aber mit Netanjahus Brief hatte das eine Ebene erreicht, die absolut sprachlos gemacht hat: Der israelische Regierungschef legt der deutschen Bundesregierung nahe, die Förderung für das Jüdische Museum Berlin einzustellen.

Peter Schäfer, Leiter des Jüdischen Museums Berlin.
Peter Schäfer, Leiter des Jüdischen Museums Berlin.
© Yves Sucksdorf/JMB

Jetzt kommen neue Vorwürfe. Wie war bisher das Verhältnis des Museums zum Zentralrat?

Der Zentralrat entsendet eine Beauftragte in den Stiftungsrat des Museums. Das Verhältnis war bisher sehr gut, ich habe viel Kontakt mit Herrn Schuster. Im Vier-Augen-Gespräch hat er mir auch gesagt, dass er Vorbehalte habe gegen die Jerusalem-Ausstellung.

Wenn Sie einen Zeitungsbericht über Kritik am BDS-Beschluss des Bundestages retweeten, könnte man denken, Sie unterstützen den BDS.

Nein, absolut nicht. Über den Bundestagsbeschluss kann man diskutieren und auch Veranstaltungen dazu machen, aber nochmal: Wir als Jüdisches Museum sind kein Akteur im politischen Geschehen und beziehen auch keine Stellung in politischen Tagesfragen. Aber wir bieten ein Forum an, um darüber zu diskutieren. Uns dabei selbst zu positionieren, ist nicht unsere Aufgabe.

Das Thema BDS wird immer wieder an das Museum herangetragen, ob Sie wollen oder nicht. Was ist denn nun genau Ihre Position zu dieser Organisation?

Die können Sie ganz klar hören. Ich verurteile alles, was in irgendeiner Weise antisemitisch ist und das Existenzrecht des Staates Israel berührt. Das ist Basis.

Tut das der BDS?

Es gibt sicher Kreise im BDS, die das tun. Ob alle das tun, ob alle antisemitisch sind und Israels Existenzrecht in Frage stellen, weiß ich nicht. Aber wenn jemand inner- oder außerhalb des BDS antisemitische Äußerungen von sich gibt oder propagiert und unterstützt oder das Existenzrecht Israels infrage stellt, hat sie oder er bei uns keinen Ort und wird ihn auch nicht bekommen.

Das Museum verbreitet einen Debattenbeitrag weiter – das entspricht ja im Grunde genau jener Identität als Forum, von der Sie sprachen.

Diese Identität äußert sich nicht in einem unglücklichen Tweet, sondern vor allem in den Veranstaltungen, die wir machen. Etwa in der Akademie, wo wir Gegenwartsfragen, die gesellschaftspolitisch relevant sind, diskutieren und die Leute reden lassen, ohne uns selbst zu positionieren. Wir wollen unterschiedliche Gruppen zum Sprechen bringen.

So war das im Sommer 2018 auch mit dem Vortrag des palästinensischen Friedensforscher Sa’ed Atshan gedacht. Aber es ging schief.

Anscheinend hat sich Sa’ed Atshan bei bestimmten Veranstaltungen in den USA nicht deutlich genug vom BDS distanziert. Es liegt mir fern zu beurteilen, ob er dem BDS nahesteht oder nicht. Darum ging es auch gar nicht. Sein Vortrag behandelte ja ein ganz anderes Thema: „Being queer in Palestinian Jerusalem“. Ich habe den Vortrag im Einvernehmen mit dem Referenten bei uns im Haus abgesagt – er fand ja dann andernorts statt –, weil ich befürchtete, dass er zu einer Pro-und-Contra-BDS-Veranstaltung umfunktioniert werden könnte. Das wollte ich weder uns noch dem Referenten zumuten.

Diskutieren, streiten, Meinungen austauschen ist eine sehr jüdische Eigenschaft. Aber ist die Idee, ein neutrales Forum sein zu wollen, nicht gerade im Zusammenhang mit Fragen, die Israel und Palästina betreffen, eine Illusion?

Der Komplex ist heute extrem aufgeladen. Was immer man sagt, man kann sehr leicht missverstanden werden.

War das nicht schon immer so, seit Gründung des Staates Israel?

Ich habe den Sechstagekrieg miterlebt und kam dann als Student nach Freiburg. Die Begeisterung, mit der die israelischen Siege damals in Studentenkreisen gefeiert wurden, können Sie sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Heute ist das Thema in einer Weise aufgeladen, die es schwer macht, einen sachlichen Diskurs zu führen.

Israels Botschafter Jeremy Issacharoff beklagt: „Das Jüdische Museum soll eine kulturelle Einrichtung sein, ist aber sehr politisch.“ Können Sie sich nicht einfach auf die Geschichte des deutschen Judentums beschränken?

Und schöne Ausstellungen zeigen, die keinen aufregen? Nein, das Jüdische Museum hat seinen Auftrag von Anfang an so verstanden – und das ist von meinem Vorgänger W. Michael Blumenthal mit der Gründung der Akademie auch ganz stark durchgesetzt worden –, dass wir einen gesellschaftlichen Auftrag zu Aufklärung und Diskussion haben. Dazu stehe ich. Wir können uns nicht darauf beschränken, schöne Ausstellungen zu machen, die am Ende todlangweilig sind. In New York sah ich vergangenes Jahr eine Ausstellung zum mittelalterlichen Jerusalem, mit wunderschönen Exponaten. Aber sie hat kaum einen Hund hinterm Ofen hervorgelockt. Wenn es heißt, wir sollen nur Kultur machen, dann ist das ein sehr enger Kulturbegriff.

Was bedeutet dieser Ansatz für die neue Dauerausstellung, die 2020 eröffnet?

Kernaufgabe der Dauerausstellung ist, Geschichte, Kultur und Religion von Askenas, also dem deutschen Judentum, zu erzählen, in einer Abfolge von Epochen- und Themenräumen. Probleme und Themen, die uns heute umtreiben, kommen natürlich auch vor, etwa Antisemitismus: Da zeigen wir keine Bilder aus dem „Stürmer“, sondern präsentieren Fallbeispiele. Besucher und Besucherinnen sollen sie sich anhören und sich eine Meinung bilden: Ist das antisemitisch oder nicht? Am Ende äußern sich Experten. Das ist gesellschaftlich hochrelevant.

Stimmt der Eindruck, dass sich in letzter Zeit die Interventionen von außen gegen das Jüdische Museum häufen? Warum kommt es so häufig zu Konflikten?

Das müssen Sie eigentlich diejenigen fragen, die intervenieren wollen. Aber es stimmt, die Eingriffe häufen sich. Das begann mit der Jerusalem-Ausstellung. Vorher habe ich das nicht so erlebt.

Der Stiftungsrat hat Ihren Vertrag nochmal um ein Jahr bis zum 30.9.2020 verlängert. Welche Hinweise geben Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger?

Auf jeden Fall hoffe ich, dass er oder sie den gesellschaftlichen Auftrag, den das Jüdische Museum schon lange hat, weiterführt. Und das Museum nicht reduziert auf schöne, ansprechende, möglichst wenig kontroverse Ausstellungen.

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