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Modell des Haram asch-Scharif nach den Vermessungen des evangelischen Missionars Conrad Schick, Jerusalem, 1879.
© Bijbelsmuseum, Amsterdam

Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin: Warum Jerusalem so eine umkämpfte Stadt ist

Die Ausstellung "Welcome to Jerusalem" wird bis 2019 zur Hauptattraktion des Jüdischen Museums Berlin. Wie fängt man die Bedeutung dieser Stadt in 15 Räumen ein?

Natürlich ist es Zufall, wenn das Jüdische Museum Berlin eine Ausstellung über Jerusalem eröffnet – und der amerikanische Präsident zeitgleich ein diplomatisches Erdbeben und wahrscheinlich eine neue Intifada auslöst, indem er eben diese Stadt als Hauptstadt Israels anerkennt und die US-Botschaft dorthin verlegen will. Andererseits: Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Ereignisse zusammentreffen, ist im Fall Jerusalems nicht gering. Denn ist Jerusalem nicht immer auf der Agenda, seit Tausenden von Jahren?

Diese Stadt besetzt ein Fleckchen im Herzen oder Hirn vieler christlich, muslimisch oder jüdisch geprägter Menschen auf allen Kontinenten. Selbst diejenigen, die gar nicht religiös sind, haben eine Vorstellung von Jerusalem und den Ereignissen, die sich dort abgespielt haben.

Dieser Fleck, wo sich eine Nord-Süd-Route entlang der Berge am Jordangraben mit der Ost-West-Straße vom noch älteren Jericho zum Mittelmeer kreuzt und die Gihon-Quelle bis heute für Wasser sorgt, diese paar Quadratkilometer Stadt haben ein Kapitel im Buch der Menschheitsgeschichte geschrieben, wie die Hochkulturen Ägyptens und Chinas.

Sichtbare und unsichtbare Mauern

Wie fängt man das ein, wie bricht man das runter auf die begrenzten Kapazitäten einer Ausstellung mit 15 Räumen? Denn Jerusalem ist ja auch das: größte Stadt Israels, eine moderne Metropole mit chronischen Verkehrsproblemen und vor allem: ein umkämpfter Ort. Hier das mächtige Israel, das nie wieder Opfer der Geschichte sein will, da die machtlosen Palästinenser, die nie etwas anderes waren als genau das – und die ihr Schicksal oft in die Hände ungeeigneter Führer gelegt haben. Jerusalem ist aber auch Heimat für 800 000 Menschen, die nebeneinander leben, getrennt von sichtbaren und unsichtbaren Mauern, jeder auf seinem Hügel, in seinem Tal, die Topografie der Stadt gibt es vor. Verwaltungsgrenzen werden immer wieder neu gezogen, palästinensisches Land enteignet und damit geraubt, und in der Ferne dräut die Betonmauer zum Westjordanland, die Terrorattacken tatsächlich eingedämmt hat, aber auch eine Wunde ist: ständige Erinnerung daran, dass alle Normalität, die sich in Jerusalem wie durch ein Wunder immer neu bildet, nur ein dünner Firnis ist auf einem Pulverfass.

Die Grenzen von Karten und Kunst verschwimmen

Trotz oder gerade wegen all dem: „Welcome to Jerusalem“ heißt die neue Ausstellung in Berlin. Eine Einladung, eine offenherzige Geste. Schon im Treppenhaus stimmt eine Audio-Installation von Emmanuel Witzhum auf den Sound der Stadt ein. Dann ein Raum mit Leinwänden, das Jerusalem des 21. Jahrhunderts: Kinder in der Schule, die neue Straßenbahn in der Jaffa-Straße, Jugendliche beim Sport, schummrig beleuchtete Gassen in der Altstadt. Es sind Szenen aus der Arte-Dokumentation „24h Jerusalem“ von 2013, die 90 Bewohner der Stadt einen Tag lang begleitet hat. Was folgt, ist ein krasser Schritt zurück: An der Wand hängen historische Abbildungen, aus der Schedelschen Weltchronik (1493), von Matthäus Merian (1645) oder Frans Hogenberg (1571). Die Grenzen von Karten und Kunst verschwimmen – Erinnerung daran, dass es immer zwei Jerusalems gab: das reale, das oft ein elender Ort war, und das imaginäre, das vor allem im christlichen Abendland umso heller strahlte. Weil viele Gläubige nie die Mittel besaßen, nach Jerusalem zu reisen, malten sie es sich in ihrer Fantasie als Weltmittelpunkt aus.

Aus den vielen Strängen, die in der Summe das Knäuel dieser Stadt bilden, haben die beiden Kuratorinnen Cilly Kugelmann und Margret Kampmeyer den dicksten ausgesucht und zum roten Faden der Ausstellung gemacht: Die Heiligkeit, die – so Kugelmann – „hier alles kontaminiert und metaphysisch überlagert“. Eine Heiligkeit, die mit der Ankunft der Israeliten vor 5000 Jahren begann und von den Arabern im 7. Jahrhundert erneuert wurde, als diese ein weiteres Narrativ schufen: Haram asch-Scharif, der Tempelberg, ist der Ort, an dem Mohammed seine Himmelsreise angetreten haben soll. Eine Heiligkeit, die sich vor allem an drei Orten – Tempelberg, Westmauer und Grabeskirche – manifestiert, die jeweils in Modellen vertreten sind.

Modelle verdeutlichen die Topographie

Eindrucksvollstes von ihnen und Prunkstück der Ausstellung überhaupt ist ein Holzmodell des Tempelbergs, vom Architekten und evangelischen Missionar Conrad Schick 1879 für das Amsterdamer Bibelmuseum angefertigt und mit Aufschriften versehe. Interessanterweise ist die Kuppel des Felsendoms hier bereits vergoldet, Vorwegnahme einer Idee, die erst 1962 ausgeführt wurde. Bedenkt man, dass es heute völlig ausgeschlossen ist, auf dem Tempelberg auch nur die kleinste archäologischen Grabung vorzunehmen, ist umso verblüffender, dass Schick – der auch in Jerusalem starb – von der islamischen Tempelberg-Behörde Waqf seinerzeit die Erlaubnis erhielt, das Areal zu vermessen.

Die Modelle der beiden anderen heiligen Orte fallen demgegenüber wesentlich schlichter, fast enttäuschend aus. Die Westmauer, im Deutschen missverständlicherweise Klagemauer genannt, wird in einem idealisierten Zustand gezeigt, der weder Rückschlüsse auf ihr historisches noch ihr aktuelles Erscheinungsbild zulässt. Das kleine Modell der konstantinischen Grabeskirche macht immerhin deutlich, dass der Golgatha-Felsen um 300 herum nicht, wie heute, in die Kirche integriert war, sondern frei im Innenhof stand. Ein weiteres, spektakuläres Modell, eigens für die Berliner Ausstellung von Art+Com Studios angefertigt, bildet den Herodianischen Tempel ab. Allerdings nicht, wie im dem bekannten großen Open-Air-Modell des Israel Museums in Jerusalem, mit fein ausgeführten Details, sondern quasi im Rohbau. Dafür aber mit Hunderten von Pünktchen, die sich bewegen wie Ameisen, jedes steht für einen Menschen. Zusammengenommen zeigen sie, wie die Massen um die Zeitenwende das heilige Areal benutzt haben, welche Eingänge und Wege sie nahmen, wer in welchen Bereich vordringen durfte, um welche Uhrzeit sie das Plateau wieder verlassen mussten. Eine Fiktion, natürlich. Aber eine, die anschaulich zeigt, wie es hätte sein können.

Für Wilhelm II. wurde das Jaffa-Tor aufgebrochen

Der Tempel wurden von Truppen Roms unter Titus im Jahr 70 zerstört – das bis zum Holocaust einschneidendste Ereignis der jüdischen Geschichte, dessen Folgen bis zum heutigen Nahostkonflikt reichen. Damals wurde auch die Menora, der siebenarmige Leuchter, geraubt und im Triumphzug durch Rom getragen, ikonisch festgehalten im Titusbogen am Forum Romanum. In Jüdischen Museum ist ein um 1900 entstandener Gipsabguss dieser Szene zu sehen, der ein viel genaueres Studium der Details ermöglicht als das hoch über dem Betrachter angebrachte Original in Rom. Dazu: Münzen mit einer Ansicht des Kolosseums, dessen Bau durch die Schätze des Jerusalemer Tempels erst möglich wurde.

Ein Zeitsprung: Im 19. Jahrhundert siedelten die ersten Juden außerhalb der Altstadt, woran auch ein Porträt von Moses Montefiore erinnert, Vorfahre des Bestseller-Historikers Simon Sebag Montefiore. Er ließ Mishkenot Sha’ananim anlegen, heute ein teures Wohnviertel. Auch der deutsche Kaiser kam damals zu Besuch und ließ die erste protestantische Kirche in der Altstadt errichten. Die nachhaltigsten Spuren dürfte Wilhelm II. aber hinterlassen haben, als das Jaffa-Tor für seinen Tross aufgebrochen wurde; es ist bis heute der wichtigste Zugang zur Altstadt von Westen her.

Die meisten Objekte sind nicht beschriftet

Die Ausstellung widmet sich auch den Hotels, die für die Pilgerstadt Jerusalem prägend sind – und versucht, sich dem Phänomen der Stadt künstlerisch zu nähern. Die „palästinensische Spur“ sollte, so Cilly Kugelmann sagt, sichtbar gemacht werden. Aber die Zusammenarbeit mit palästinensischen Künstlern war schwierig. Immerhin, ein Werk der palästinensisch- britischen Künstlerin Mona Hatoum ist zu sehen. Sie hat Dutzende von Würfeln zu einem Mosaik arrangiert, auf dem Glasperlen die Konturen jener Palästinensergebiete nachzeichnen, die 1995 beim Oslo-II-Abkommen festgelegt wurden. Ein wirres Knäuel, Karikatur eines Staates. Die Würfel sind aus Seife, ein flüchtiges Material, von kurzer Lebensdauer, wie die Hoffnungen der Palästinenser.

Auch wenn diese Ausstellung – mit der sich Léontine Meijer-van Mensch, die neue Programmdirektorin des Jüdischen Museums, in Berlin vorstellt – vieles nur anreißt und wichtige Facetten Jerusalems wie etwa die Epoche Davids und überhaupt die vorrömische Zeit weitgehend ausspart: Es gelingt ihr doch, eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit der Stadt zu vermitteln, von den vielen möglichen Wegen, auf denen man sich ihr nähern kann. Das tut sie, ohne zu sehr auf die jüdische Perspektive zu setzen. Übrigens sind die meisten Objekte nicht beschriftet. Sie sollen zunächst alleine wirken, durch ihre Präsenz. Wer mehr wissen will, kann in einem kostenlosen Booklet blättern, alle Objekte sind nummeriert.

Da die ständige Ausstellung bis 2019 geschlossen und überarbeitet wird, ist „Welcome to Jerusalem“ nun für ein Jahr die wichtigste Attraktion des Hauses. Sie wäre nicht vollständig, gäbe es nicht auch eine Infotafel über die Spuren Jerusalems in Berlin. Das sind nicht wenige. Die Jerusalemkirche ist zwar verschwunden, aber der dazugehörige Friedhof am U-Bahnhof Mehringdamm existiert bis heute. Nicht weit davon: Die Passionskirche am Marheinekeplatz. Oder die Ölbergkirche am Paul-Lincke-Ufer, die Gethsemanekirche. Jerusalem ist in der städtischen Topografie Berlins präsenter als es manchem Mitte-Hipster bewusst sein mag. Und das nicht nur in sakralen Räumen, wie man am Kunstraum Bethanien sieht. Mit Tempelhof trägt ein ganzer Bezirk Jerusalem im Namen. Darauf stoßen wir an - im Biergarten Golgatha am Kreuzberg.

Jüdisches Museum, Lindenstraße 9–14; Mitte, ab 11.12., täglich 10–20 Uhr

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