Bücher zu den Auschwitzprozessen und den Folgen der NS-Zeit: Vater, wo warst du?
Wie der Kunsthistoriker Martin Warnke als Reporter die Auschwitz-Prozesse begleitete. Und wie die NS-Zeit sich nach 1945 im Unbewussten fortsetzte.
Asketisch“ nannte ein Kollege von Martin Warnke dessen Berichte zu den Frankfurter Auschwitzprozessen. Das trifft zu. Die jetzt aus dem Archiv hervorgeholten Texte des europaweit bekannten Kunsthistorikers Warnke, erschienen von Februar bis Mai 1964 in der „Stuttgarter Zeitung“, sind wirklich trocken. Fast bestürzend wirkt die Zurückhaltung, die kaum Parteinahme erkennen lässt und womöglich die Überforderung und Überwältigung des jungen Reporters belegt. 21. April 1964: „Frau Schaner kam nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo in einem Transport von etwa 1000 Menschen im Juli 1942 nach Auschwitz. Dort wurde sie zuerst einem Außenkommando zugeteilt, in dem sie zusammen mit anderen Frauen Grabungsarbeiten zu verrichten hatte.“ 18. April 1964: „Gelegentlich des Aufstandes im Krematorium will der Zeuge ferner gesehen haben, wie Boger etwa 150 aufsässige Häftlinge der Reihe nach durch Genickschuss tötete.“
Seit Kriegsende hatten die SS-Aufseher, Blockführer und Ärzte des Lagers, in dem eine Million Menschen ermordet wurden, unbehelligt gelebt, als Lehrer, Mediziner, Apotheker, Handwerker. Dass sie – im dann größten Strafprozess der Geschichte der Bundesrepublik – doch noch zur Rechenschaft gezogen wurden, verdankte sich Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Dessen Widerstand gegen die Tabuisierung schildert der eben ins Kino gekommene Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ von Regisseur Giulio Ricciarelli. Das Buch mit Warnkes Texten, hervorragend ediert durch drei jüngere Kunsthistoriker und Schüler, kommt zum richtigen Zeitpunkt. (Martin Warnke: Zeitgenossenschaft. Zum Auschwitz-Prozess 1964. Mit einem Vorwort von Pablo Schneider; mit einem Nachwort von Barbara Welzel. 128 S., 17,95 €.)
Martin Warnke, 1939 als Sohn eines deutschen Pastors in Brasilien geboren, kam erst Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland, studierte Geschichte und gelangte durch einen Zufall an den Job als Gerichtsreporter. Sein Kommilitone Tilmann Moser, später ein viel gelesener Dissident der Psychoanalyse, hatte den Auftrag nicht ertragen und an Warnke abgegeben. Als freier Mitarbeiter übermittelte Warnke per Fernschreiber Berichte im Protokollstil. Es sei ihm, erklärt er, nicht zugestanden, eigene Emotionen einfließen zu lassen. Im langen, aufschlussreichen Gespräch mit Warnke im Anhang suchen die drei Jüngeren diese frühen Texte des Professors an dessen spätere Aufklärungsarbeit zur Aufarbeitung der NS-Kunstgeschichte und an seine Positionen zur Ästhetik und Repräsentation der Macht anzuknüpfen. Eine klare, historische Einordnung der Prozesse steuert Norbert Frei dem erstaunlichen Band bei.
Enorm lesenswert ist auch der von Jan Lohl und Angela Moré herausgegebene Sammelband zum Fortwirken der NS-Ära in der Bundesrepublik, Resultat einer Tagungsreihe der Evangelischen Akademien. (Jan Lohl, Angela Moré (Hg.): Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus. Psychoanalytische, sozialpsychologische und historische Studien. Psychosozial-Verlag, Gießen, 2014. 315 S., 29,90 €.) Zahlreiche Beiträge wollen die traumatischen Folgen des Nationalsozialismus und dessen transgenerationales Erbe fassbarer machen. Neben persönlichen Darstellungen wie Ruth Waldecks Auseinandersetzung mit dem Ausweichen ihres Vaters vor der Wahrheit auf die Frage: „Vater, wo warst du?“, stehen Studien etwa zu Briefzeugenschaft aus Auschwitz, zu Neonazismus und Antisemitismus. Herausragend ist der mit 120 Seiten längste Aufsatz des Bandes von Hannes Heer, Kurator der ersten Hamburger Wehrmachtsausstellung.
„Der Skandal als vorlauter Bote“ ist ein Buch im Buch. Heer begibt sich auf eine Forschungsreise in den „tiefen Graben der Opfer-Täter-Erinnerung“ zu den öffentlichen Debattenschlachten um Protagonisten wie Ernst Nolte, Günter Grass, Martin Walser oder Philipp Jenninger.
In dieser Dichte, mit Verve und Detailtreue dargelegt, lesen sich die Allianzen, Pakte und Manöver sämtlicher Akteure neu und überraschend. Die beste Geheimhaltung, so Walser einmal, sei „das Vergessen“. In beiden genannten Büchern wie in dem Film zu Fritz Bauer wird aktuell Notwendiges dagegen unternommen.
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