Zum Ende der Wehrmachtsausstellung: Und sie hatte doch Recht
Keine Geschichts-Schau war so umstritten und bewegend. Nach neun Jahren schließt die „Wehrmachtsausstellung“ Ende nächster Woche
„Das ist ein Buch über ein Verbrechen“. Lakonisch fasste Ingeborg Bachmann 1966 so ihr Romanfragment „Der Fall Franza“ zusammen, ein Teil des Zyklus „Todesarten“. Inkognito und versteckt im maghrebinischen Exil begegnet hier ein ehemaliger NS-Arzt einer Frau namens Franza, die seine wahre Identität erfahren hat. „Ich weiß, wer Sie sind“, sagt sie zu ihm. „Der Satz war gefallen, nicht mehr rückgängig zu machen. Für Franza: Eine Detonation.“
„Ich weiß, wer Sie sind“. Das bedeutete: Ich weiß, was Sie getan haben. Vor solcher Erkenntnis wollte sich nach 1945 eine ganze Gesellschaft schützen. Strategische Amnesie bestimmte das Verhältnis zur Vergangenheit. Erst als eine neue Generation alt genug war, die vorige zu konfrontieren, begannen die Debatten. Zu denen, die damals politisch aufwachten, gehört auch der Leiter und Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philip Reemtsma. Als das Team des Instituts vor neun Jahren die Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht auf den Weg schickte, ahnte kaum jemand, wie sehr der Mythos der „sauberen Wehmacht“ noch zum Fundus des Selbstverständnisses im Land gehörte, welches kulturpolitische Erdbeben, welche Diskussionen, welchen Streit man auslösen würde.
Jetzt haben an die 850000 Besucher die Ausstellung gesehen, in 34 Städten hat sie gastiert, darunter Wien und Berlin, aber auch Schwäbisch Hall und Peenemünde. Sie endet nun da, wo sie im März 1995 begann, in der Hamburger Kampnagelfabrik – und wandert dann in die Magazine des Deutschen Historischen Museums Berlin . „Es ist schön, Recht zu behalten“, erklärte Jan Philipp Reemtsma bei der Eröffnung der letzten Station. Verdiente Genugtuung: Die Wehrmachts-Ausstellung war ein zentraler Aufklärungsschub für Deutschland, eine breitenpädagogische Großleistung.
Dass auch gewöhnliche Wehrmachtssoldaten Kriegsverbrechen begangen hatten, etwa in der Sowjetunion, in Griechenland oder Serbien, diese unter Zeithistorikern längst etablierte Einsicht, war bis zum Beginn der Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ auf ein Fachpublikum beschränkt. Daher wirkte die unter der Leitung von Hannes Heer mit Hilfe der Historiker Bernd Boll, Walter Manoschek und Hans Safrian von 1992 bis 1994 erarbeitete Wanderausstellung mit Dokumenten aus Archiven ganz Europas bald als Schock, als Tabubruch.
Es waren vor allem die Bilder, 1433 Fotografien von Hinrichtungsstätten, Gräueltaten, ermordeten Zivilisten, die das kollektive Gedächtnis reizten und aufwühlten. Bilder waren zu sehen, wie es sie auch in deutschen Haushalten gab – oder gegeben hatte. Etwa im zensierten Kriegsalbum bei einem meiner Schulfreunde, dessen Vater „im Osten“ gekämpft hatte. Neben Fotos von Vati in Uniform klebten auf der grauen Pappe leere Fotoecken. „Da waren solche Sachen“, bemerkte die Mutter beim Blättern. „die waren nicht schön.“ Eine ins Unbewusste weggedrängte Bilderlandschaft wurde durch die Wehrmachts-Ausstellung zur dramatischen, politischen Ikonografie des deutschen Weltkrieges.
1997 in München kulminierten die Proteste, als die CSU Einspruch erhob und Kultusminister Hans Zehetmair sein „Nicht empfehlenswert!“ rief. Hunderte Neonazis marschierten und randalierten für die Ehre der Wehrmacht. Das Ausland staunte. Am Ende zählte man in München 90000 Besucher – ein Rekord. „Millionen von Deutschen“ argwöhnte damals der „Bayernkurier“, wolle man hier „die Ehre absprechen“. Zwar ging es den Kuratoren der Ausstellung nie um Kollektivschuld, doch schmerzhafte Wahrheiten kamen eben ans Licht.
Die Führung der Wehrmacht, so steht es im Vorwort des Katalogs, „stimmte Hitlers Kriegszielen grundsätzlich zu. Sie erließ im Mai und Juli 1941 zentrale Befehle, um die vom ,Führer’ geforderte ,unerhörte Härte’ im Osten zu gewährleisten“. Sechs „Dimensionen des Vernichtungskrieges“ dokumentiert die Ausstellung: Den Genozid an den sowjetischen Juden, das massenhafte Sterben sowjetischer Kriegsgefangener, die gezielte Kriegsführung durch Hunger, Deportationen, Zwangsarbeit, und den Terror gegenüber „Partisanen“, also widerständigen Zivilisten, in den besetzten Gebieten. Wie viele Soldaten an Verbrechen beteiligt waren, dazu nennt die Ausstellung bewusst keine Zahlen, sondern vertraut auf die Kraft der Dokumente. Insbesondere bei den Pogromen in der UdSSR, so Reemtsma, hat die Wehrmacht im Osten einen Vernichtungskrieg geführt. Dort war sie, sagt er, „aktiv und passiv, arbeitsteilig und selbstinitiativ“ beteiligt, was „zur Anlage dieses Krieges“ gehörte.
Die Wehrmacht wehrte sich nicht. Sie attackierte. Bei Hitlers Armee handelte es sich ab dem Überfall auf Polen 1939 um eine Angriffsstreitmacht, deren Handeln durch die berühmte Lüge, es werde „zurückgeschossen“, retrospektiv legitimiert werden sollte. Angriffs- und Vernichtungskrieg, so die These der Ausstellung, gingen dann ineinander über. Dennoch, so die Fama, seien die 18 Millionen deutsche Soldaten anständige Männer in preußischer Armeetradition gewesen, als habe es ein institutionelles Vakuum gegeben, zwischen dem „Führer“ und den Ausführenden seiner Feldzüge: Nazis? Das waren die anderen. Ja, die SS war schlimm, der Rest war sauber. Auf kriminelle Gewalt allerdings hielt keineswegs allein eine kleine Clique das Monopol. Für jeden erschossenen Deutschen, so beschloss Generaloberst Maximilian Freiherr von Weich 1942 in Serbien, sollten je 100 Geiseln getötet werden. Auch Tausende von Zivilisten griff sich die deutsche Truppe für solche „Sühnemaßnahmen“. All das dokumentierten die „Hamburger Horrorclips“, wie der Autor Jörg Friedrich („Bombenkrieg“) die Exponate erzürnt bezeichnete.
Die Kritik riss nie ab. 1999 dann, zwei Jahre nach dem Eklat in München, bemängelten die Historiker Bogdan Musial und Krisztian Ungvary die falsche Zuschreibung oder Echtheit von etwa einem Dutzend Fotografien. Wer zuvor Alarm gerufen hatte, sah sich bestätigt. Das Institut räumte Fehler ein und schloss die ganze Ausstellung, deren Kurator Hannes Heer entlassen wurde.
Eine Phalanx von Koryphäen sitzt nun im Beirat und hat am neuen Konzept mitgewirkt. Seit ihrer Wiedereröffnung 2001 trägt die Ausstellung den Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1945“. Mehr Textdokumente und weniger Fotos bestimmen den Stil. Den damals entlassenen Hannes Heer stört das. Er hat eben ein Buch veröffentlicht, das der neuen Ausstellung freiwilligen Ikonoklasmus vorwirft. Heer glaubt mit dem sachlicheren Konzept und dem Verzicht auf viele der Fotografien, das „Verschwinden der Täter“ zu erkennen.
Doch Ausstellung und Katalog wirken immer noch enorm eindrucksvoll. So berichtet Martin Schwartz, ein Museumspädagoge, der Besuchergruppen begleitet, von der Erschütterung Jugendlicher vor den Fotos der Stätte einer Massenerschießung in der Schlucht von Babi Jar, um 1941. Man sieht Kinderschuhe, eine Beinprothese, Mäntel verstreut auf lehmigem Grund liegen. Vornüber gebeugte Wehrmachtsoldaten suchen unter den Sachen nach Wertgegenständen. „Sie sehen, dass das Wirklichkeit war.“ Mit jedem Jahrgang allerdings rückt die NS-Zeit weiter weg. Die Wehrmachts-Ausstellung fiel in eine Epoche, in der Zeitzeugen wie Eltern und Großeltern den Schülern Auskunft geben konnten. Auch darum war sie ein Glücksfall, für das Gedächtnis und Gespräch einer Gesellschaft.
In ihrem nachgelassenen Typoskript zum „Fall Franza“ sagt die Dichterin Ingeborg Bachmann über den Nationalsozialismus: „Durch die gesellschaftliche Oberfläche, die Vorsichtsmaßregeln der Beteiligten, die Besorgnisse und die Heucheleien, sieht man die Verbrechen zwar hin und wieder schimmern, ohne sich aber ihre Häufigkeit und ihr Ausmaß bewußt zu machen.“ Dreißig Jahre später haben die Initiatoren der Wehmachtsausstellung genau das versucht. Im Widerstand, auf den sie stießen, spiegelten sich eindrucksvoll noch einmal jene „Vorsichtsmaßregeln der Beteiligten.“
Hamburger Institut für Sozialforschung: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944. Ausstellungskatalog und DVD-ROM zur Ausstellung. Verlag Hamburger Edition (Verlag@his-online.de) und im Buchhandel. DVD-ROM (2004): 48 Euro. Katalog (2002): 765 Seiten. 30 Euro.
Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main, 2002, 246 Seiten, 10 Euro.
Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Aufbau-Verlag, Berlin, 2004. 393 Seiten. 22,90 Euro
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. März in der Hamburger Kampnagelfabrik zu sehen.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität