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Vor dem Vergessen bewahren. Ai Weiwei hat sich lange auch als Sammler betätigt. Im Hof seines Studios im Nordosten Pekings finden sich zahlreich antike Objekte und chinesische Vasen.
© C.Peitz

Zu Besuch bei Ai Weiwei (2/3): Vasen oder Das Schweigen der Gegenwart

Sammeln, Twittern, Fotografieren und die Kunst des Dialogs: Zu Besuch bei Ai Weiwei in Peking, vor seiner Berliner Ausstellung – Teil 2 der großen Tagesspiegel-Reportage.

Ein Löwenkopf, ein Reliefstein mit Weinlaub, Säulenkapitelle, chinesische Vasen. Auf dem Hof von Ai Weiweis Studio in Peking wähnt man sich in einem Skulpturenmuseum. Der Künstler mag es nicht, dass China seine Geschichte systematisch zerstört, die alten Stadtteile abreißt und vor lauter Zukunft die Vergangenheit vergisst.

In der Berliner Ausstellung stellt er im Lichthof des Martin-Gropius-Baus 6000 alte chinesische Hocker auf, von oben werden sie wie ein Pixelbild aussehen. Stühle sammelt Ai Weiwei seit Jahrzehnten. Er ist kein Nostalgiker, erklärt er der deutschen Besucherin an diesem Morgen in Peking. Er rettet die Dinge nur gern vor dem Verschwinden. Vor dem Schweigen der Geschichte, in China, dem Land des Schweigens.

Ai Weiwei: „Wir leben in einer Zeit, in der alle Formen und Materialien zur Verfügung stehen. Ich will wissen: Was wurde früher verwendet, im Alltag, in der Kunst? Materialien haben ihre je eigene Sprache, ihr Vokabular, ihre Sensibilität – die chinesische Kunst war einmal reich an Wissen darum. Ich habe sechs Jahre lang als Sammler gearbeitet und mit klassischen chinesischen Kunstobjekten gehandelt, mit Objekten aus Seide, Holz, Jade, Keramik, Bronze. Aus dieser Zeit habe ich noch viele Freunde, die Experten sind. Auf ihre Kenntnisse greife ich gerne zurück, damit das historische Wissen nicht verloren geht.“

Die Hocker wurden in Containern verschifft und sind wohlbehalten in Berlin eingetroffen. Auch die Überwachungskamera aus Marmor. Weiwei nutzt kostbare Materialien, um mit Chinas Kulturgeschichte zu kommunizieren. Der Marmor stammt aus jenen Steinbrüchen, in denen sich schon die Kaiserhäuser und die Kommunistische Partei für ihre Paläste bedienten. Ein Akt der Aneignung, eine freundliche Übernahme.

Ai Weiweis Suche nach der Wahrheit

Ai Weiwei lässt die Zeiten kollidieren und überzieht 2000 Jahre alte Han-Vasen mit Autolack. Er hasst Keramik, gestand er vor Jahren, deshalb muss er etwas mit ihr anstellen. Das Foto, auf dem er Han-Vasen fallen lässt, ist längst sein Markenzeichen. Seine größte, vielleicht wichtigste Arbeit, die „Sunflower Seeds“ in London 2010, versammelte100 Millionen handbemalte Sonnenblumenkerne aus Keramik. 1600 Arbeiter hatte er für das traditionelle Keramikhandwerk bezahlt.

„Die Berliner Ausstellung heißt ,Evidence’, weil ich nach der Wahrheit suche, nach Beweisstücken für unsere Zeit und unser Denken. Deshalb recherchiere ich gern, sammle, archiviere. Ich werde neue Werke zeigen und solche, die noch nie in Deutschland zu sehen waren. Ich mag Berlin, die Stadt liegt auf halbem Weg zwischen Peking und New York, sie hat etwas von beiden Welten. Auch der Gropius-Bau ist ein außergewöhnlicher Ort. Er wurde als Kunstgewerbemuseum errichtet, ausgebombt und repariert, man sieht die Wunden.“

Nördlich von Peking liegt die Ruinenstadt des Alten Sommerpalasts, das Sanssouci der Kaiserzeit. Ein bewegender Schauplatz für den Dialog und für den Krieg der Kulturen. Für dessen Errichtung hatte Kaiser Qianlong im 18. Jahrhundert europäische Künstler nach China geholt. Im Opiumkrieg plünderten Franzosen und Briten den Gartenpalast – ein nationales Trauma. Als Jugendlicher trieb Ai Weiwei sich oft zwischen den Trümmern herum, auch dort, wo die Zodiac-Skulpturen europäischer Jesuiten einst einen Brunnen zierten. Die Büsten sind als Raubkunst in alle Welt zerstreut, Peking kauft sie nach und nach zurück. Im Gropius-Bau sind sie friedlich im Tierkreis vereint: Ratte, Schwein, Schlange, Affe, Botschafter eines einst lebhaften Ost-West-Dialogs, von Ai Weiwei mit Gold überzogen.

Was Ai Weiwei Staatspräsident Ji Xiping zu sagen hat. Und warum er zur Zeit nicht mehr aktiv twittert.

Beliebtes Fotomotiv. Die Ruinen des Alten Sommerpalasts, dem Sanssouci der Kaiserzeit. Ein hochsymbolischer Ort für den Dialog wie den Krieg der Kulturen. Von europäischen Architekten errichtet, wurde der Palast im Opiumkrieg von britischen und französischen Truppen zerstört. Ein nationales Trauma. Ai Weiwei hat sich in jungen Jahren oft auf dem Ruinenfeld herumgetrieben - einige seiner Arbeiten beziehen sich darauf.
Beliebtes Fotomotiv. Die Ruinen des Alten Sommerpalasts, dem Sanssouci der Kaiserzeit. Ein hochsymbolischer Ort für den Dialog wie den Krieg der Kulturen. Von europäischen Architekten errichtet, wurde der Palast im Opiumkrieg von britischen und französischen Truppen zerstört. Ein nationales Trauma. Ai Weiwei hat sich in jungen Jahren oft auf dem Ruinenfeld herumgetrieben - einige seiner Arbeiten beziehen sich darauf.
© C.Peitz

China kann auch heute nicht alleine leben.", sagt Ai Weiwei. "Es handelt mit dem Westen, sein Image ist ihm nicht egal. Wer miteinander Geschäfte macht, muss die Meinung des anderen respektieren. Wenn Chinas Staatspräsident jetzt nach Deutschland kommt, spricht Angela Merkel die Menschenrechte hoffentlich wieder an. Sie ist zum Glück sehr sensibel gegenüber dem Thema.“

Staatspräsident Xi Jinping, der am Freitag nach Berlin kommt, könne ja schon mal in die Ausstellung schauen und sich mit seinem Werk auseinandersetzen, sagte Ai Weiwei am gestrigen Mittwoch. Und wies darauf hin, dass sein Vater, der Dichter Ai Qing, und Vizepremier Xi Zhongxun enge Freunde waren. Trotz aller politischen Petitionen: Ai Weiwei darf nicht reisen. Aber wie viel Austausch braucht seine Kunst?

„So verschieden wir Künstler auch sind, wir alle wollen uns mitteilen, uns einmischen, verstanden werden. Das ist mein Beruf, ich tue das ununterbrochen. Die allerersten Sätze, die ich je im Leben in einen Computer tippte, waren für meinen Blog, der damals offiziell von der staatlichen Internetplattform Sina eröffnet wurde: ,To express yourself needs a reason. But expressing yourself is the reason.’ “

Der Künstler als Kommunikator

Ai Weiwei bloggte mit Leidenschaft, Hunderttausende lasen ihn täglich, diskutierten, kommentierten. Der Künstler als Kommunikator, der auch das Schweigen der Gegenwart bricht und verbreitet, was in China nicht kursieren darf. Endlich eine demokratische Plattform, dachte Ai Weiwei, aber dann versuchten die Kommunisten, ihn mit der 81-tägigen Haft 2011 mundtot zu machen. Sein Name ist im Internet tabu, er kann nur noch twittern, Fotos auf Instagram einstellen – und ausländischen Medien Interviews geben. So nutzt er sie als Sprachrohr, in der Hoffnung, dass etwas nach China zurückschallt. Und auf Twitter veröffentlicht er täglich die Namen toter Kinder, die heute Geburtstag hätten und beim Sichuan-Erdbeben 2008 ums Leben kamen.

Auch das gehört zu seiner Sammelleidenschaft: Tausende Stahlstreben trug Ai Weiwei aus den von korrupten Baubehörden schlampig errichteten und über den Kindern zusammengestürzten Schulhäusern zusammen. Etliche Arbeiten mit dem Armierstahl werden auch in Berlin gezeigt. Han-Vasen, Namen, Infos: Der Künstler, Sammler, Dokumentarist, Bürgerrechtler, man kann es nicht trennen. Auch wenn er das rege Diskutieren auf Twitter zurzeit eingestellt hat.

Wenn schon das Original nicht reisen darf, dann wenigstens die Kopie aus Bronze: Ai Weiweis Händeabdruck, ein Werk des russischen Künstlers Anatoly Shuravlev, zur Zeit in der Pekinger Galerie Urs Meile, unweit des Studios von Ai Weiwei.
Wenn schon das Original nicht reisen darf, dann wenigstens die Kopie aus Bronze: Ai Weiweis Händeabdruck, ein Werk des russischen Künstlers Anatoly Shuravlev, zur Zeit in der Pekinger Galerie Urs Meile, unweit des Studios von Ai Weiwei.
© C.Peitz

"Ich fühle mich ein wenig erschöpft. Ich kann aktiv werden, aber eben nur noch mit Worten. Ich stehe auf der Mitte eines Platzes, von der ich am liebsten in alle Richtungen gleichzeitig gehen möchte, aber ich darf mich keinen Zentimeter bewegen. Ich darf nur an der Straßenecke stehen und Hände schütteln. Ich möchte so viel machen, Unterrichten zum Beispiel. Oder eine Schule für Migrantenkinder eröffnen. Eine Bibliothek betreiben, Kurse geben..."

Die Liebe zur Kamera

Während wir reden, macht der Künstler ein Foto mit dem Smartphone, das gehört bei ihm zum Ritual. Noch eine Obsession: Ai Weiwei fotografiert und filmt unentwegt. Will er denen Paroli bieten, die ihn permanent überwachen? Warum die Liebe zur Kamera?

"Wissen Sie, ich traue der Wirklichkeit nicht. Selbst diesen Augenblick, in dem wir hier sitzen, begreife ich nicht ganz. Filme und Fotos zeichnen auf, aber sie sind nicht die Wirklichkeit. Aber ich kann sie als Tagebuch nutzen, als Erinnerungsspeicher, so wie Andy Warhol das tat. Warhol war seiner Zeit um ein halbes Jahrhundert voraus."

Ai Weiwei hält die Geschehnisse fest, um sie weiterzugeben. Auch seine Haftzeit, über die er nicht sprechen darf. Trotzdem gibt es inzwischen ein Interviewbuch darüber und Nachbildungen seiner Zelle, auch in der Berliner Schau. Ein Meister der Mitteilung: Er spricht im Frage-Antwort-Modus, formt jeden Monolog zum Zwiegespräch. Das dialogische Prinzip ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

Fünf Minuten von seinem Studio entfernt, in der von Ai Weiwei entworfenen Galerie Urs Meile, findet sich sein Händeabdruck auf einer Stele, ein Werk des russischen Künstlers Anatoly Shuravlev. Wenn schon das Original nicht reisen kann, dann wenigstens die Kopie aus Bronze.

Der letzte Teil der Reportage-Serie erscheint am 31.3.: Die nachgebaute Gefängniszelle, die Katzen im Garten oder Was ist politische Kunst? Teil 1 finden Sie hier.

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