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Der frische Strauß im Fahrradkorb als Protest. Das Haus von Ai Weiwei wird Tag und Nacht überwacht. Sein Reisepass wurde ihm vor drei Jahren weggenommen.
© Peitz

Zu Besuch bei Ai Weiwei (1/3): Blumen oder Ich bin ja noch da

Ein Besuch bei Ai Weiwei in Peking, vor seiner großen Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau. Erste Folge einer dreiteiligen Serie über das Leben und Arbeiten des berühmtesten Künstlers Chinas.

Ai Weiwei besuchen? Kein Problem: Das Studio von Chinas berühmtestem Künstler und Regimekritiker liegt im Nordosten Pekings, im Stadtteil Chaoyang. Wer am Tor klingelt, wird freundlich hereingebeten. Aber so einfach ist es dann doch wieder nicht. Die Gegend liegt am Rande der Schnellstraße zum Flughafen in einer ehemals ländlichen Region, die auf dem Stadtplan nicht genau verzeichnet ist. Also bekommt man einen detaillierten Routenplan und den Rat, sich besser einen Wagen mit Fahrer zu mieten. Nicht jeder Taxifahrer will einen gern zur Adresse Chaochangdi 258 bringen.

Der Märzmorgen ist kühl und klar. Der Wind hat den Smog weggepustet. Das Gesicht des Dolmetschers erstarrt, als er erfährt, was heute sein Job ist. Er dürfe nicht übersetzen, sagt er, nicht ohne schriftliche Genehmigung. Ai Weiwei kann fließend Englisch, als junger Künstler lebte er 12 Jahre in New York. Aber hier und da möchte er gern Chinesisch sprechen, der Genauigkeit halber. Der Dolmetscher ist ein freundlicher, aufgeschlossener Familienvater, freimütig zeigt er die Smog-App auf dem Handy, gibt Auskunft über die Luftverschmutzung, die Wohnungsmisere in Peking und die Wahnsinnskosten für die Schule seiner kleinen Tochter. 25 000 Euro hat ein Freund kürzlich allein als Aufnahmegebühr bezahlt. Den Namen Ai Weiweis spricht er nicht ein einziges Mal aus.

Man besucht Ai Weiwei und ist auf der Stelle mit der Angst konfrontiert. Als Ai Weiwei im Frühjahr 2011 knapp drei Monate inhaftiert war, wurden auch fünf seiner Mitarbeiter verschleppt. Ai Weiwei kommt aus seinen Privaträumen zum Büro, er trägt einen blauen Kittel, Arbeitskleidung. Kein Problem, soll der Dolmetscher warten, sagt er. Die Angst der anderen ist er gewöhnt, in seinem Studio versucht er, eine angstfreie Zone zu schaffen.

Wo hört die Politik auf, wo fängt die Kunst an?

„Meine Mitarbeiter wurden viel schlechter behandelt als ich. Sie waren ununterbrochen mit Handschellen an ihren Stuhl gekettet, wenn sie auf die Toilette gingen, mussten sie den Stuhl mitnehmen, auch im Schlaf blieben sie angekettet. Ich durfte wenigstens unter den Augen meiner Bewacher duschen, das durften sie nie. Sie wurden entsetzlich schmutzig, es gab keinerlei Grund, sie so zu behandeln. Man hat ihnen schreckliche Angst gemacht, aber sie sind alle wieder hier. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir versuchen hier, ein normales Leben zu führen, ein Leben ohne Angst. Wenn die Angst gewinnt, haben sie gewonnen.“

Nächste Woche, exakt drei Jahre nachdem der Künstler, Architekt und Menschenrechtsaktivist am 3. April 2011 am Pekinger Flughafen festgenommen und an einem bis heute unbekannten Ort 81 Tage lang rund um die Uhr unter Beobachtung stand und mehr als 50 Mal verhört wurde, wird im Berliner Martin-Gropius-Bau nun die bislang größte Einzelausstellung von Ai Weiwei eröffnet. Eines der präsentierten Werke: Handschellen aus kostbarer Jade.

Wo hört die Politik auf, wo fängt die Kunst an? Rings um das ummauerte Eckgrundstück des Studios hängen ein gutes Dutzend Überwachungskameras. Ai Weiwei hat rote Lampions daran angebracht, sie schaukeln lustig im Wind. Hier wird das Theaterstück der Macht und der Ohnmacht gegeben, ein heiterer Akt der Anarchie. Die Aufhebung der totalen Kontrolle in der Komik, ganz China als Readymade: Das ist die Methode Ai Weiwei, der sich gern auf Marcel Duchamp beruft. Die inzwischen auch in Deutschland zu hörende Schutzbehauptung, Ai Weiwei sei politisch wichtig, aber vielleicht nicht als Künstler, straft schon der Anblick dieser Lampions Lügen. Als ob sich das trennen ließe. Vor dem breiten Tor steht auch das Fahrrad mit den Blumen im Korb: noch eine Protestnote, noch eine Performance, die einzige Ausstellung des Konzeptkünstlers, die China zur Zeit duldet.

Heute ist der 103. Tag der Blumen-Installation. Jeden Morgen um neun wird ein frischer Strauß in den Fahrradkorb gelegt, so lange bis Ai Weiwei seinen Reisepass wiederbekommt. Bilder davon stellt er seit Ende November täglich auf seine Website, ein Manifest der Schönheit in hässlichen Zeiten. Auch in seinem Foto-Tagebuch auf Instagram sind sie zu sehen. Es ist jetzt punkt neun, ein junger Mann bringt die Blumen nach draußen, Nelken, Chrysanthemen, Löwenmäulchen. Im Hof huschen Katzen zwischen den flachen Backsteingebäuden herum, im Büro kuschelt sich eine auf der Aktenkiste vor der wandhohen Namensliste der Toten, die Ai Weiwei mit einem Rechercheteam nach dem Erdbeben in Sichuan 2008 erstellt hat. Einige Mitarbeiter sind schon da, alles geschieht in familiärer, konzentrierter Atmosphäre. Leute aus China, Amerika, Europa arbeiten hier, Studenten, Fachleute, Honorarkräfte. Ein eingespieltes Team, eine Werkstatt, eine Factory. Chinesen mögen lieber Essbares als Gastgeschenk, Blumen bringt man den Toten mit. Warum also Blumen?

Ai Weiwei: "In diesem Land gibt es keine Kommunikation."

„Als Mitglied der chinesischen Gesellschaft ist man sehr oft frustriert, denn es gibt in diesem Land keine Kommunikation. Weder kann man sich mit den staatlichen Autoritäten oder Politikern verständigen noch darf man sich zu Dingen äußern, die jeden betreffen, zur Luftverschmutzung, zum Bildungs- oder Gesundheitswesen. Seit 65 Jahren, seit die Kommunistische Partei 1949 die Macht übernahm, gibt es keinerlei Verständigung über öffentliche Angelegenheiten. Das ist ein Wesenszug unserer Gesellschaft: Jede noch so grundlegende Kommunikation ist blockiert. Entweder, du gehörst zur Elite derer, die alles unter Kontrolle haben, oder du bist ein Niemand, der nur zuhören darf. Es gibt keine Religionsvielfalt, keine Nichtregierungsorganisationen, keine Gewerkschaften, keine Opposition, keinerlei Gruppierungen, die nicht genauestens von der Partei überwacht werden.“

Wir sitzen an einem großen Tisch mit schlichten, schönen Holzstühlen, morgens, nachdem er getwittert und Mails bearbeitet hat. Der 56-Jährige spricht bedächtig. Schmale Augen, leise Stimme, kein Guru, nur einer, der sich beim Denken zuschauen lässt. Die Antwort auf die Blumenfrage dauert acht Minuten. Schließlich geht es um die Kunst, in China menschlich zu bleiben.

„Was ist das für eine Gesellschaft, in der man nach mehrtausendjähriger Menschheitsgeschichte nicht einmal Fragen stellen darf? In der man nie eine Antwort bekommt auf einfache Fragen wie ,Wo ist mein Reisepass?’ Seit drei Jahren: keine Reaktion. Also fragte ich anders: ,Wann kann ich ihn denn wiederhaben? In fünf Jahren, in zehn? Sagen Sie es mir ungefähr, dann frage ich nicht mehr.’ Wieder keine Antwort. Sie sind es gewohnt, das Spiel nach ihren Regeln zu spielen. Worum geht es bei dem Spiel? Darum, die Menschlichkeit zu reduzieren. Es gibt im heutigen China einen Totalitarismus der Macht wie ihn nicht einmal der Kaiser von China hatte. 80 Millionen Chinesen sind Parteimitglieder, die Armee hat 2,3 Millionen Soldaten, sämtliche Ressourcen gehören der Partei, auch unser Denken und unsere Fragen.

Deshalb die Blumen. Es ist das Einzige, was ich tun kann. Sie haben ihr eigenes Leben, wenn auch nur kurz, es sind ja Schnittblumen. Wenn Sie nachher wieder aus dem Tor treten, sind sie vermutlich schon wieder weg. Nachbarn oder Passanten nehmen sie jeden Tag mit. Es hat etwas Ironisches: Sie tun etwas Verbotenes, aber die Blumen ermöglichen ihnen eine Geste der Koexistenz. Die Blumen besagen: Wir leben gemeinsam auf diesem Planeten.“

Er installiert auch gern eine Kamera über dem Bett

Öffentlich teilen, unter den Augen der Überwachungskameras, das gefällt ihm. Als Geste der Solidarität kann inzwischen alle Welt Sträuße an Ai Weiweis Adresse schicken (www.freundeaiweiweis.de). Ein Blumenmeer vor der Haustür, die schiere Schönheit als Akt des Widerstands, das dürfte der Sicherheitspolizei Unbehagen bereiten.

Nur das Fahrrad sollen die Nachbarn bitte stehen lassen, es ist mit einer starken Kette an einen kleinen Baum gebunden. Der ebenfalls über Monate inhaftierte deutsche Kunstspediteur Nils Jennrich ließ es dem Künstler zukommen, nachdem er 2013 freikam, wohl auf Druck der deutschen Behörden. 14 Monate saß Jennrich im Gefängnis, wegen angeblichen Zollbetrugs. „Auch bei ihm gab es nie eine offizielle Anklage“, sagt Ai Weiwei. Nun steht das Rad auf dem Bürgersteig, als Manifest gegen die Willkür. Räder in China, das ist eine lange Geschichte, fügt er hinzu. In seiner Kindheit waren sie allgegenwärtig, heute ist Radfahren in Peking lebensgefährlich, wegen des Verkehrs und des Smogs. Aber zurück zu den Blumen:

„Drei Jahre nach meinem Arrest befinde ich mich immer noch in einem sanften Arrest. Ich kann nicht reisen, werde streng überwacht, abgehört, existiere nicht in China. Mein Blog ist gesperrt, meine Website in China nicht zugänglich. Es gibt Recht und Gesetz in diesem Land, die Bürgerrechte können vom Staat geschützt oder verletzt werden. Ist der Rechtsstaat ein Wert, der anderen etwas bedeutet? Die Blumen sind ein kleines Zeichen für die Idee der Rechtsstaatlichkeit. Und dafür, dass ich existiere, dass ich noch da bin, trotz allem.“

Im Hintergrund hört man seinen fünfjährigen Sohn Ai Lao, eine junge Frau bringt grünen Tee, der im Sonnenlicht dampft. Unwillkürlich späht der Gast aus Deutschland nach Wanzen im Raum und fühlt sich beschämt. Ai Weiwei sagt, er hat nichts zu verbergen. In the „The Fake Case“, dem Dokumentarfilm über die Steuerbetrugs-Vorwürfe gegen Ai Weiwei und „Fake“, die Firma seiner Frau, duscht er vor laufender Kamera. Sie wollen alles von ihm wissen? Bitte, er installiert auch gern eine Kamera über dem Bett.

Wie es weitergeht, lesen Sie im 2. Teil der Reportage von Christiane Peitz aus Peking.

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