Doku-Musiktheater über den Wald: Unter den Wipfeln
Romantischer Fluchtpunkt und Schauplatz des Klimawandeln: „Waldesruh“ in der Tischlerei der Deutschen Oper erkundet Baumgemeinschaften.
„O Täler weit, o Höhen“ klingt es aus den Fenstern der Tischlerei auf das im Innenhof wartende Publikum herab. Dass der Jugendchor der Deutschen Oper nicht jede verzwickte Intonation von Mendelssohns Eichendorff-Vertonung trifft, dass die geforderten Abstände Lücken in die Homogenität reißen, gibt dem Corona abgetrotzten Arrangement etwas Rührendes. Und es passt ins Konzept des „dokumentarischen Musiktheaters'“ von Anna-Sophie Mahler: Dieser „Abschied vom Walde“ kuschelt sich nicht mehr in die romantische Idylle ein, hat etwas Brüchiges, Doppeldeutiges wie der gesamte Titel „Waldesruh“, der ebenso den Wald als vergangenen Zufluchtsort wie sein Sterben im Trockenstress des Klimawandels meint.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Mahler bezieht sich in ihrer musikalisch untermalten Versuchsanordnung vor allem auf ein Langzeitexperiment der TU München, das Extremsituationen ausgesetzte Bäume untersucht. Mischungen sind immer gesund, unter Pflanzen wie Menschen, legt der Vortrag des „Versuchsleiters“ Thomas Douglas nahe. Auf der kargen Bühne von Sophie Krayer, einem „Zeltlager ohne Wald“, können die Bäume nur noch vertrocknete, verkabelte Holzstutzen sein. Aus mobilen Lautsprechern rotieren die von Philipp Jekal und Rebecca Pedersen famos live gesungene Schubertlieder quasi als Erinnerungsfetzen.
[Weitere Vorstellungen am 12., 13., 15., 16., 17., 18. Oktober in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin]
Nicht „über“, sondern „unter allen Wipfeln ist Ruh“, prägt sich unter immer engeren, lebensabschnürenden Versuchsbedingungen nachhaltig ein. Die nostalgisch wie prophetisch wirkende Musikfolge reicht von „Karl der Käfer“ bis zu Richard Strauss. Man erfährt viel über die symbiotischen Verflechtungen von Pilz- und Pflanzenwelt, die ein anthropomorphes Baumbewusstsein nahelegen. Dem entspricht Morton Feldmans Klavierstück „Triadic Memories“, in seinen vielfältigen Verästelungen klangschön erfüllt von Stefan Wirth. Schuberts „Nebensonnen“ imaginieren unterm jegliche Feuchtigkeit verhindernden Zeltdach völlige Hoffnungslosigkeit. Ein Ambivalenzen aufzeigender, ein Wut und Mut machender Abend.