Kino-Komödie „Das perfekte Geheimnis“: Unsere Herzen in der Tafelmitte
Nach seinen „Fack ju Göhte“-Filmen schickt Bora Dagtekin in der Komödie „Das perfekte Geheimnis“ eine Abendgesellschaft in die digitale Selbstentblößung. Sonderlich witzig ist das nicht.
Rocco steht in der Design-Küche seiner großen Design- Altbauwohnung, vor ihm die noch unverarbeitete Wochenproduktion eines Biobauernhofs. Er kocht. Die Gäste kommen gleich, zwei Freunde mit Freundinnen, einer ohne. Der Vorteil, wenn der Mann kocht, ist klar: Der ganze Stress fällt weg.
Eigentlich ist der von Wotan Wilke Möhring gespielte Rocco in einer aussichtslosen Situation, strahlt aber dennoch die Ruhe eines Kartoffelackers bei Sonnenuntergang aus, seine Frau bemerkt das auch: „Du bist so provokant ausgeglichen!“ Sätze wie dieser fallen allerdings bereits leicht aus dem Rahmen des „Fack ju Göhte“-Nachfolgers von Bora Dagtekin, der auch hier das Drehbuch schrieb und Regie führte. In der Regel sprechen fast alle noch immer Pennäler-Deutsch, obwohl sie schon Ende 30 sind, Möhring ist der Alterspräsident.
Vielleicht müssen wir an dieser Stelle noch einmal kurz rekapitulieren, was die drei „Fack ju Göhte“-Filme für das deutsche Kino bedeuteten. Teil 1, 2013: 5,6 Millionen Zuschauer, im Juli 2014 schon über 7 Millionen. Teil 2, 2015: 7,7 Millionen. Teil 3 schaffte 2017 immerhin noch über 6 Millionen, während die Kritik allmählich verstummte. Und das alles wegen eines kleinen Bankräubers, dessen Freundin seine Beute ausgerechnet auf einer werdenden Baustelle vergraben hatte, weswegen der Haftentlassene das Geld unter der neuen Turnhalle der Münchner Goethe-Gesamtschule suchen musste. Diese Ausgangslage war nicht unkomisch. Hier ist das anders.
Eigentlich werden wir über mehr als zwei Stunden lediglich Zeugen eines Abendessens, zu dem wir nicht eingeladen sind. Und da es sich um ein Jetztzeit-Dinner handelt, sind alle mit ihren Mobiltelefonen erschienen, denn niemand kann es sich leisten, während eines Abends mit Freunden den Kontakt zur Welt zu verlieren.
Eine Probe unbedingter Aufrichtigkeit
Was ein Mobiltelefon für den modernen Menschen bedeutet, ist klar: Es ist sein Nächster, sein Alter Ego. Es ist der Flugschreiber unseres Lebens, definiert bündig Roccos Frau Eva (mit deutlicher Neigung zum Hochsprachlichen: Jessica Schwarz), die schon die merkwürdige Gemütsruhe ihres Mannes angesichts des üppigen Bioguts auf dem Küchentisch bemerkt hatte. Und dann hat die Abendgesellschaft die ultimative Party-Idee: Alle legen ihre Handys auf den Tisch. Alle eintreffenden Anrufe werden laut gestellt, jede SMS, jede Mail vorgelesen. Ist es nicht so, als legten sie ihr Herz in die Tafelmitte? Eine Probe unbedingter Aufrichtigkeit, ein Spaß mit Abgründen.
Das elfte Remake des italienischen Originals
Es war nicht Dagtekins Idee. 2016 kam die Komödie „Perfetti Sconoscuiti“ („Perfect Strangers“) ins italienische Kino, wurde zu einem unglaublichen Erfolg, sodass kaum drei Jahre später mit identischer Szenerie bereits elf Remakes gedreht wurden. Dagtekins „Das perfekte Geheimnis“ ist das elfte. Fast alle bei diesem Jetztzeit-Essen mit Jetztzeit-Equipment haben auch Jetztzeit-Berufe oder Jetztzeit-Interimsberufe. Sie sind Therapeutin wie Eva oder Werbefrau und Antidiskriminierungsbeauftragte wie Charlotta oder befinden sich gerade in Elternzeit wie Leo.
Leo ist kein anderer als Elyas M’Barek, der Kleinganove ohne Abitur mit der beachtlichen pädagogischen Karriere aus „Fack ju Göhte“. Und seine Frau Charlotta ist Karoline Herfurth, die junge Lehrerin ebendort, deren pädagogische Visionen sich umgekehrt proportional zu ihrem Durchsetzungsvermögen verhielten. Und hier?
Hier sind sie ein latent überfordertes Paar mit Kleinkind, von dessen Liebesleben mehr im Präteritum zu reden wäre, weshalb sie oft erotische SMS-Ratschläge ihrer besten Freundin bekommt, wohingegen der Elternzeit-Vater eine neue Sandkastenliebe gefunden hat, also eine am Rande des Sandkastens seines Sohnes. Und die schickt jeden Abend um neun eine Sprachnachricht. Aber doch nicht heute! Das klingt ziemlich nach der Verwechslungskomödie von vorvorgestern fürs digitale Zeitalter, und genau das ist es auch. Nichts mehr zu spüren von Bora Dagtekins anarchischem Witz aus „Türkisch für Anfänger“.
Der Film ist ein Exerzitium, aber kein gelungenes
Am Tisch wird anfangs ungemein gelacht, im Kinosaal eher nicht. Zumindest war das bei der Pressevorführung so. Wenn aber auf der Leinwand mehr gelacht wird als im Zuschauerraum, dann ist das kein wirklich gutes Zeichen. Man muss an dieser Stelle auch keine Grundsatzbetrachtungen über den Niedergang der deutschen Komödie anstellen, denn vielleicht ist „Das perfekte Geheimnis“ gar keine.
Es ist ein Exerzitium, aber kein gelungenes. Das Genre Andere-Leute-essen-und- wir-schauen-zu gehörte noch nie zu den dankbarsten des Kinos, obwohl schon große Filme daraus entstanden sind, man denke nur an „Das große Fressen“ von Marco Ferreri oder Thomas Vinterbergs „Das Fest“. In beiden Fällen handelte es sich um für alle Beteiligten recht unbekömmliche Mahlzeiten, und akute Verdauungsbeschwerden treten auch hier ein – bei Essern wie Zuschauern gleichermaßen.
Die Eigendynamik der Entgleisung eines Abends bekommt mitunter fast etwas Eindringliches, die unfreiwilligen Entblößungen voreinander könnten erschüttern, doch leider zählen die Beteiligten nicht näherhin zur Spezies der Erwachsenen, was die Voraussetzung wäre. Bis auf Pepe vielleicht (Florian David Fitz), der nicht zufällig keine Freundin hat, wie alle jetzt erfahren. Die Kamera gleitet immer wieder über die Bücherregale des gastgebenden Ehepaars. Warum glaubt man in keinem Augenblick, dass beide auch nur eins davon gelesen haben? Ja, wenn die Runde nun bis an die Ränder des Universums auseinanderfliegen würde! Aber das macht sie nicht.
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