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Freispruch durch die Zuschauer: Der Angeklagte Pilot Lars Koch (Florian David Fitz)
© dpa/Julia Terjung/ARD Degeto Moovie
Update

Fast sieben Millionen Zuschauer: "Terror - Ihr Urteil": Zuschauer sprechen Kampfpiloten frei

Das TV-Experiment ist geglückt: 6,88 Millionen haben "Terror - Ihr Urteil" in der ARD verfolgt. Und 87 Prozent der Zuschauer sprechen den Piloten Koch frei

Es ist fast eine Sensation: 6,88 Millionen Zuschauer haben am Montag von 20 Uhr 15 die TV-Verhandlung "Terror - Ihr Urteil" im Ersten verfolgt. Die Quote ist deutlicher höher, als ein Wochenprogramm im deutschen Fernsehen sonst erreichen kann. Auch die anschließende Diskussion "Hart aber fair" inklusive Abstimmung bleibt im Fokus des Publikums - 6,31 Millionen Zuschauer. Selbst die "Tagesschau" um 20 Uhr kommt mit 5,65 Millionen nicht an die Zahlen des TV-Experiments heran.

Die Entscheidung des Fernsehpublikums fällt überdeutlich aus. 87 Prozent der Zuschauer der ARD-Gerichtsfiktion "Terror - Ihr Urteil" nach dem Theaterstück von Ferdinand von Schirach entschieden am Montagabend, dass der Kampfjetpilot Lars Koch die richtige Entscheidung getroffen hat. Der Pilot hatte entgegen seiner Befehle eine Passagiermaschine mit 164 Fluggästen an Bord abgeschossen, um einen terroristischen Anschlag auf ein Fußballstadion in München zu verhindern, bei dem höchst wahrscheinlich 70.000 Menschen getötet worden wären.

Nur 13 Prozent der Zuschauer, die sich per Televoting sowie online an der Abstimmung beteiligt hatten, erklärten den Bundeswehrmajor, der von Florian David Fitz gespielt wurde, somit für schuldig im Sinne der Mordanklage. Wie viele Zuschauer sich an der Abstimmung beteiligt hatten, wurde zunächst nicht mitgeteilt. In den weiteren Rollen des TV-Stücks spielten Martina Gedeck, Burghart Klaußner und Lars Eidinger.

Eine überaus emotionale oder populistische Entscheidung der Zuschauer, die nur zeigt, dass leider das Grundgesetz auch nach 68 Jahren von der Mehrheit der Bevölkerung nicht wirklich verstanden wird.

schreibt NutzerIn Perleberger

Der Film wurde in Österreich und der Schweiz ebenfalls ausgestrahlt, auch hier konnten die Zuschauer über das Urteil entscheiden. Das ORF-Publikum stimmte exakt so ab wie in Deutschland, in Österreich waren ebenfalls 87 Prozent des TV-Publikums, das sich an der Abstimmung beteiligte, der Meinung, dass Koch freizusprechen sei. Auch in der Schweiz fiel die Entscheidung sehr deutlich aus, obwohl hier der Anteil der Freisprüche mit 84 Prozent etwas geringer ausfiel.

Technische Probleme bei der Abstimmung

In Deutschland hatte die ARD bei der Abstimmung mit technischen Problemen zu kämpfen. Die Internetseite www.IhrUrteil.hartaberfair.de war schwer erreichbar, die beiden Telefonnummern meist besetzt, oder es kam einfach die Ansage: „Ihr derzeit gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar.“ In den sozialen Netzwerken wie Twitter äußerten sich einige User deswegen spöttisch, andere lobten aber auch die Qualität des Films: „TV ist alles andere als tot.“

In dem Gerichtsprozess wurden die Zuschauer zu Schöffen ernannt. Sie mussten im Kern darüber entscheiden, ob in diesem Fall der Angeklagte für schuldig befunden werden sollte, weil er wissentlich gegen seine Befehle und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2006 gehandelt hatte, das eine solche Abwägung von Leben als unvereinbar mit dem Grundgesetz und der Würde des Menschen bewertet hatte. Oder ob er freizusprechen sei, weil er bei seiner Entscheidung das so genannte kleinere Übel wählte, da die Passagiere der Terrormaschine ohnehin nicht mehr zu retten waren.

Die Entscheidung des TV-Publikums erfolgte nach der TV-Gerichtsverhandlung per Telefon und online. In der anschließenden, äußerst lebhaften Talksendung "hart aber fair" mit Frank Plasberg wurde sowohl über das Urteil der Fernsehzuschauer als auch über die rechtliche Ausgangslage diskutiert.

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) sah sich in seiner Haltung bestätigt. Er hatte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesagt, er würde in einem vergleichbaren Fall den Abschuss eines Passagierflugzeuges befehligen und beruft sich dabei auch heute noch auf einen übergesetzlichen Notstand.

Der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum erwiderte, die Verteidigung der Menschenwürde durch das Bundesverfassungsgericht sei keine Prinzipienreiterei, vielmehr handele es sich dabei um den Kern der Verfassung.

Die Politik lässt die Piloten im Stich

Für den ehemaligen Kampfflieger Thomas Wassmann besteht der eigentliche Skandal darin, dass zehn Jahre nach dem Karlsruher Urteil die Entscheidung und Verantwortung in einer solchen Situation noch immer allein beim Piloten liege. "Die Politik lässt die Piloten im Stich", sagte Wassmann unter dem Beifall des "hart aber fair"-Publikums.

Ähnlich wie der ehemalige Verteidigungsminister hatte sich auch der FDP-Politiker quasi selbst eingeladen. Baum hatte das TV-Format im Vorfeld scharf kritisiert. Bei den Theatervorführungen hätte das Publikum vor der Abstimmung darüber diskutiert, ob der Abschuss gerechtfertigt war oder nicht. Im Fernsehen finde hingegen eine Volksabstimmung über das Grundgesetz vom Wohnzimmer aus statt, sagte Baum. Die Diskussion sei wichtig und notwendig, nur die Abstimmung sei falsch. Die Kontroverse zwischen dem FDP-Politiker Baum und dem CDU-Mann Jung wurde besonders heftig bei der Frage der persönlichen Schuld des Piloten. Jung verwies darauf, dass die Verfassungsrichter die strafrechtliche Frage explizit ausgeklammert hätten. Genau dies wurde jedoch von Baum bestritten.

Im Ernstfall wäre das Grundgesetz nur ein Stück Papier. Jeder Mensch ist zunächst seinem Gewissen verpflichtet und die Anständigen werden danach handeln, wenn sie die Kraft dafür aufbringen. Und notfalls eben mit den Konsequenzen leben müssen und können.

schreibt NutzerIn ehemfreierblick

Petra Bahr ist als evangelische Theologin und designierte Regionalbischöfin in Hannover mit einem Verfassungsrechtler verheiratet und hatte vor der Sendung mit ihrem Mann ausgiebig über das Thema diskutiert. „Das TV-Publikum hat über den Film entschieden, nicht über die Verfassung“, sagte sie. Bahr erkannte in der Darstellung von Pilot Koch eine Ähnlichkeit zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Aber selbst die Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur hätten bewusst gesagt, mit dem Attentat auf Hitler machen wir uns schuldig. In der der Konstellation des Films sind hingegen alle Beteiligten Opfer, also sowohl die Passagiere der entführten Maschine, die Besucher des Fußballspiels, aber eben auch der Pilot, der die Suppe auslöffeln musste, die die Politik ihm eingebrockt hat. Allerdings habe er sich bewusst schuldig gemacht, um größeres Unheil zu verhindern.

Ein Urteil wollte Petra Bahr allerdings nicht abgeben, sie bezeichnete das als Amtsanmaßung. Für einen Schuldspruch sprach sich somit in der „hart aber fair“-Sendung ausschließlich Gerhart Baum aus. Bei der Bemessung des Strafmaßes könne der Pilot sicherlich Gnade oder ein mildes Urteil erwarten, aber es müsse klar sein, dass er ein Täter sei. „Im Krieg mag das anders sein. Aber wir haben noch keinen Kriegszustand, sondern bekämpfen nur gefährliche Kriminelle“, so Baum. „Die Terrorangst greift um, wir müssen diese Angst moderieren und dürfen uns nicht davon leiten lassen“, sagte er außerdem.

Eine öffentliche Kontroverse dürfte Jungs Einlassung auslösen, dass er in einem Gespräch mit dem Inspekteur der Luftwaffe vor der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland über die Frage gesprochen hatte, ob in den Maschinen der Alarmrotten tatsächlich Piloten säßen, die im Ernstfall nicht von vornherein einen Abschussbefehl verweigern würden.

Erfahrene und gefestigte Piloten

Ex-Kampfpilot Wassmann, der zugleich Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr ist, bestätigte, dass solche Gespräche mit den Piloten geführt wurden. Es seien damals Piloten eingesetzt worden, die erfahren und in ihrer Haltung zu diesem Thema bereits gefestigt gewesen seien. Wassmann forderte zudem, dass die Verfassung an die geänderten Gegebenheiten angepasst werden müsse. „Das Grundgesetz wurde nicht vom lieben Gott in den Berg gemeißelt“, sagte der ehemalige Kampfpilot. „Die Verfassung ist klüger als wir. Wir sollten uns daran halten“, hatte Baum zuvor gesagt.

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