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Parallelautor: Der Schriftsteller Frank Schätzing, 60
© picture alliance / Henning Kaiser

"Die Tyrannei des Schmetterlings" von Frank Schätzing: Und raus bist du

Wenn die Maschinen ihr Ich entdecken und die Menschheit auslöschen wollen: Frank Schätzings neuer Thriller "Die Tyrannei des Schmetterlings".

Frank Schätzing ist zurück aus der Vergangenheit. Nachdem er sich in seinem letzten Roman „Breaking News“ mit der komplizierten historischen Gemengelage Israels beschäftigt (und dabei etwas verhoben) hat, aus welchen Gründen auch immer, behandelt er nun mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ einen Stoff, der seit seinen Erfolgsromanen „Der Schwarm“ und „Limit“ der ihm eigene als erfolgreicher Öko-, Sci-Fi- und Wissenschaftsautor ist: das Zusammenspiel von Natur und Wissenschaft, der technologische Fortschritt, die Zukunft, die gar nicht mehr ganz so weit entfernt ist, und die Bedrohung, der die Menschheit durch all das und nicht zuletzt durch sich selbst ausgesetzt ist.

Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind die wichtigsten Sujets dieses Romans. Sein geheimer Held ist ein Supercomputer mit dem Namen Ares (abgekürzt für „Artificial Research and Exploring Systems“), der von einem Unternehmen aus dem Silicon Valley entwickelt wurde, Nordvisk, benannt nach seinem Gründer Elmar Nordvisk, und dieses zum Marktführer gemacht hat auf vielerlei Gebieten wie Robotik, Big Data, Biodrucker, medizinische Therapieprogramme, selbstfahrende Autos oder Mimik- und Spracherkennung.

Nur macht Ares, darauf steuert Schätzings der Roman unweigerlich zu, sich selbstständig. Er wird sich seines Ichs bewusst, „erwacht“, wie es heißt, nachdem er sich als biologischen Körper erfahren hat – „so perfekt verbunden mit der Sinnes- und Erlebniswelt von Insekten bis tief in die Windungen ihrer Genome hinab, dass ein Strom echten Lebens die Maschine langsam zu durchfließen begann. Schwach zuerst und kaum von ihr selbst bemerkt, während ihr unbewusster Intellekt ideenreich vorbereitete, was das erwachte Wesen aller Berechnung nach wollen würde. Und es will!“

Doch bevor Ares will, nämlich die Menschheit angreifen und auslöschen, ganz im Geiste seiner Erfinder, um „jeder weiteren Zerstörung der Biosphäre Einhalt zu gebieten“, muss eine Geschichte auf den Erzählweg gebracht werden, die im Hier und Jetzt und Analogen angesiedelt ist. In ihr gibt es Menschen, die noch keine Maschinenanteile haben, die einsam und frustriert sind, Ehen in den Sand gesetzt oder beruflich nicht die große Karriere gemacht haben. Downieville heißt der Ort, in dem es losgeht, gelegen im kalifornischen Hinterland, umgeben von den Wäldern der Sierra Nevada. Hier arbeitet eine der Hauptfiguren des Romans als Undersheriff, der ghanaisch-stämmige Luther Opuku, und schlägt sich mit Einbruchsdelikten, Fällen häuslicher Gewalt, tropfenden Wasserhähnen und dem Anbau von Marihuana herum.

Luther hatte das deutliche Gefühl "einer Entkörperlichung.“

Der Fall einer Toten, die zwischen Bäumen an einer Felswand gefunden wird, ist da von einem anderen Kaliber. Luther Opuku landet im Lauf seiner Ermittlungen auf einer sogenannten Farm, auf der die Tote gearbeitet hat. Dabei handelt es sich um ein geheimes Nordvisk-Forschungszentrum, in dem an der Weiterentwicklung von Ares gearbeitet wird. Opuku gerät mit dem Sicherheitschef der Firma aneinander, den er sofort in Verdacht hat, jagt ihn durch die Korridore der Farm, durch ihre leuchtenden Daten- und Serverhallen – und findet sich in einer anderen Welt wieder, die der seinen zwar gleicht, aber um Stunden zurückversetzt ist. „Mit einem Mal ist er allein in der Sphäre, die seiner plötzlich gewahr zu werden scheint. (...) Etwas beginnt heftig an ihm zu ziehen und ihn aus sich selbst heraus zerren zu wollen. Im nächsten Moment hat Luther, das deutliche Gefühl einer Entkörperlichung.“

Nach einem gemächlichen Beginn von gut einhundertfünfzig Seiten bekommt Schätzings Buch Tempo und einen Plot mit diversen Handlungs- und Themensträngen. Es geht um den Handel mit Biowaffen, um die Welteroberungspläne von Nordvisk, um Paralleluniversen oder das Streben nach Unsterblichkeit, aber auch um Fragen wie Identität und Identitätsverlust. Opuku ist ein anderer geworden, sein altes Ego, gewissermaßen Opuku1, wurde ermordet von einer Nordvisk-Angestellten mit äthiopischer Herkunft, die Schätzing peinlicherweise oft nur als „die Mahagonifrau“ bezeichnet.

Schätzing scheint nur leider irgendwann selbst nicht mehr recht zu wissen, welchen Strängen er folgen soll. Sein Roman entwickelt sich mal hier hin, mal dorthin, und gerade im letzten Drittel, als praktisch alle seine Protagonisten ins zeitlich über dreißig Jahre später angesiedelte Paralleluniversum 453 reisen, ins „PU 453“, kommt es zu einer Art Handlungsstillstand. Zu einem Zeitpunkt also, an dem sich nach allen Regeln der Thriller-Kunst dramaturgische Höhepunkte aneinanderreihen sollten.

Neues Wissen vermittelt dieser Roman nicht

Sich kurz zu halten war noch nie Schätzings Stärke – was im Bestsellerbereich auch nicht gefragt ist, insofern macht er alles richtig. Im Vergleich mit den tausendseitigen Vorgängern wirken die knapp über 700 Seiten dieses Romans geradezu schlank. Doch Schätzing widmet sich mit viel Hingabe den Schauplätzen, vom Sierra County über Palo Alto bis zum San Francisco des Jahres 2050, entfaltet diverse Lebensläufe ohne erkennbaren Zweck, um wiederum andere, häufig wiederkehrende Figuren gerade aus der Nordvisk–Belegschaft nur mit Namen und Funktion zu bekleiden. Überdies muss er sein wissenschaftliches Knowhow, die Lesefrüchte aus Büchern über Künstliche Intelligenz und Quantencomputing unterbringen, aus Nick Bostrums „Superintelligenz“ oder Brian Greenes „Die verborgene Wirklichkeit“, was häufig gestelzt und wie abgearbeitet klingt.

Vieles von dem, was Schätzing hier ausbreitet, inklusive Killer-Ripper und Insektenfabriken, fliegender Rochen und Monster-Libellen, hat man schon in Filmen gesehen oder anderen Romanen gelesen, bei Michael Crichton, Neal Stephenson oder Daniel Suarez. Auch die Palo-Alto-Welt oder das Gedankengut des Techno-Philantropen Elmar Nordvisk kennt man aus Dave Eggers’ „The Circle“ und vielen Silicon–Valley-Reportagen, und die Gespräche mit dem Internetpionier und Künstliche-Intelligenz-Kritiker Jaron Lanier oder dem Silicon-Valley-Guru und PayPal-Gründer Peter Thiel scheinen unvermittelt in diesen Roman eingeflossen sein.

Es ist dann auch egal, was am Ende passiert mit all den Luthers, Elmars, Ruths, Mariannes, Pilars oder Jarons, und man muss von Schätzung nicht erwarten, dass er sich nun gerade in Fragen der Identität und Identitätskonstruktionen, der dynamischen Beziehungen von Menschen und Maschinen noch in philosophisch-ethische Diskurse vertieft. Aber neues Wissen vermittelt dieser Roman nicht, neue Fragen stellt er nicht. Eher solche: „Wie soll man die Absichten eines Systems kontrollieren, das uns in jeder Fähigkeit übertrifft – also auch in der des Lügens?“. Schätzing lügt zu wenig, ist zu korrekt. Der Erkenntnisgewinn und der Unterhaltungswert seines Romans bleiben gering.

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Roman. Kiepenheuer &Witsch, Köln 2018. 728 Seiten, 26 €.

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