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Der Bestsellerautor Frank Schätzing.
© dpa

Frank Schätzings Roman "Breaking News": Ein Mann flieht vor einem Plot

Geschichtsstunde und Geheimdienstthriller: Frank Schätzing kommt mit „Breaking News“ zurück aus der Zukunft und legt eine Bruchlandung in der israelisch-palästinensischen Vergangenheit hin.

Wer Frank Schätzings Öko-, Sci-Fi- und Wissenschaftsthriller „Der Schwarm“ und „Limit“ kennt, was nach deren Verkaufserfolgen einige Millionen Menschen sein müssten, dürfte bei der Lektüre des neuen Schätzing-Romans „Breaking News“ spätestens auf Seite 85 etwas irritiert sein. Mit der Jahreszahl 1929 ist das hier beginnende Kapitel überschrieben, es spielt in dem Dörfchen Kfar Malal in Palästina. Jüdische Siedler fürchten sich vor Übergriffen ihrer arabischen Nachbarn, haben Angst um ihr Leben. Die Frauen verstecken sich mit den Kindern in einem Stall, die Männer versuchen mit Gewehren das Dorf zu schützen. Ihnen allen steht vor Augen, wie Tage zuvor in Jerusalem und insbesondere in Hebron der arabische Mob gewütet hat.

Aus der Zukunft zurück in die Vergangenheit

Frank Schätzing, das demonstriert dieses Kapitel, ist aus der Zukunft zurückgekommen und tief in der Vergangenheit gelandet, der israelisch-palästinensischen zumal; die folgenden Kapitel mit den Jahreszahlen 1934, 1935, 1937 und 1939 lassen daran dann keinen Zweifel mehr. Nach und nach erzählt Schätzing, was den Familien Kahn und Scheinermann widerfährt, nachdem sie aus Berlin und Weißrussland ins Land gekommen sind, wie ihre Kinder aufwachsen, was sich politisch und sonst noch in Palästina tut. Und die ganze Zeit fragt man sich, was eigentlich aus dem Kriegsreporter Thomas Hagen geworden ist, mit dem „Breaking News“ beginnt, und zwar im Afghanistan des Jahres 2008. Hagen, Starreporter eines Hamburger Magazins, ist hier unterwegs, um drei europäische Taliban-Geiseln zu interviewen. Als die Geiseln ein paar Tage später von der Bundeswehr befreit werden sollen, kommt es zu einem Desaster, an dem Thomas Hagen nicht ganz unschuldig ist.

Ein chronologisches Hin und Her

Hin und Her geht es im Folgenden, jeweils schön chronologisch: zwischen Hagen, seinen weiteren Einsätzen in Libyen, Syrien und schließlich in Israel, als Reporter eines nur noch „drittklassigen Online-Magazins“ – und dem Leben der Kahns und der Scheinermanns, mit dem Schätzing die Geschichte Israels fast ohne Auslassungen spiegelt. Von der Staatsgründung über Sechs-Tage-und Jom-Kippur–Krieg, erster Intifada, dem Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila bis hin zu Ariel Scharons Abkehr von der aggressiven Siedlungspolitik Israels, seinem Plan, sich ohne Gegenleistung aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland zurückzuziehen. Wobei eine der Hauptfiguren dieses Erzählstrangs von „Breaking News“ tatsächlich Israels 2006 ins Hirmkoma gefallener und im Januar 2014 verstorbener ehemaliger Premierminister Ariel Scharon ist: geboren 1928 als Ariel Scheinermann in eben jenem Dorf Kfar Malal.

Die Skyline von Jerusalem, im Vordergrund der Felsendom auf dem Tempelberg.
Glaube und Gegenwart. Die Skyline von Jerusalem, im Vordergrund der Felsendom auf dem Tempelberg.
© AFP

Auf der Suche nach dem Plot

Nun dauert es geschlagene 500 Seiten, also gut die Hälfte des Romans, bis überhaupt ein Plot erkennbar wird; bis sich herausstellt, dass das Hirnkoma von Scharon womöglich ein gezielter Anschlag war und Thomas Hagen zwischen die Fronten von verschiedenen israelischen Geheimdienstgruppierungen gerät.

Diese überaus gemächliche Plotentwicklung ist vor allem deshalb problematisch, weil es zwischen beiden Erzählsträngen einen enormen Spannungsabfall gibt. Während man sich Thomas Hagens Werdegang und Treiben in der arabischen Welt und dann eben Israel gerne gefallen lässt, da diese Abschnitte Tempo und eine gewisse Spannung haben, sorgt die von Schätzing vorgenommene Geschichtsschreibung Israels sehr lange für Irritationen; auf der sprachlich-formalen Ebene, aber auch inhaltlich.

Dass der Nahostkonflikt, die Siedlungs- und Geheimdienstpolitik Israels und der Umgang des Landes mit den orthodoxen Hardlinern eine Herausforderung für einen Thrillerautor darstellen können, versteht sich. Jede Krisenregion der Welt eignet sich ja auch als Schauplatz für Kriminalliteratur. Und noch jeder politische oder gesellschaftliche Konflikt ist dafür ein ideales Sujet, wie John Le Carré, Michael Crichton oder Don Winslow bewiesen haben. Anstatt sich aber zu konzentrieren, versucht Schätzing der Komplexität Israels und dessen Problemen gerecht zu werden (sieht man einmal davon ab, dass seine Perspektive primär eine israelische ist und die Palästinenser eher Statistenrollen einnehmen). Nur wird nicht ganz klar, warum er das eigentlich tut.

Schätzing verweist auch auf Amos Oz und David Grossman

Einerseits ist das durchaus gewinnbringend, lehrreich: Warum nicht einmal im Schnelldurchgang die Geschichte Israels erzählt bekommen? Andererseits sind die Israel-Passagen mitunter eine recht zähe Angelegenheit. Manchmal haben sie etwas arg Dokumentarisches, wenn etwa Scharons Libanon-Kriegsplan in fünf Schritten aufgelistet wird; anderes wiederum kann schneller und zielführender auch bei Wikipedia eingesehen werden. Manchmal führen die Figuren Dialoge, wie man sie aus der „Lindenstraße“ kennt, wenn brisante gesellschaftliche Debatten oder politische Diskussionen transportiert werden sollen. Und als Schätzing einmal den Namen Amos Oz fallen lässt, dessen „Geschichte von Liebe und Finsternis“ eine neu angeworbene Agentin des Schin Bet liest („komplexes Zeug“, laut Erzähler); oder er David Grossmans Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ als Zitat mit einbaut (auch bei den Kahns hat Mutter Phoebe Angst um ihren Sohn Uri, der im Libanon-Krieg kämpft), weiß man wieder, wo Israels komplizierte, leidvolle Geschichte besser, literarischer, nachhaltiger ihren Niederschlag gefunden hat.

Nun erwartet man von Frank Schätzing auch keine Hoch- und Feinstliteratur, sondern genretypische Prosa, und da lässt sich der 56-jährige Kölner Autor nicht lumpen. Am problematischsten sind die Kahn-Scharon-Kapitel immer dann, wenn Schätzing sie genauso schnell machen will wie die Hagen-Kapitel. Da werden die Sätze kurz und kürzer und der Sprachsound gerät insgesamt stakkatohaft; da werden Worte zwecks Verstärkung in Versalien gesetzt („Es ist UNSER LAND“) oder der Ton wird unangemessen schnoddrig, flapsig. Zum Beispiel, als Scharon sich denkt: „Sadat will die Rückgabe bis ’82 abgewickelt sehen. Spätestens. Tun wir ihm den Gefallen.“ Oder es heißt:  „Ist Arik am Ende religiös geworden? Klar. Und der Papst pilgert nach Mekka.“ Das wirkt seltsam unangemessen, so wie es fragwürdig ist, den Sechs-Tage-Krieg oder noch mehr das Sabra-und-Schatila-Massaker als Actiongeschichte zu erzählen.

Nur gut, dass Thomas Hagen immer wieder seine Auftritte hat und sich Schätzing hin und wieder seiner eigentlichen Aufgabe besinnt, einen Spannungsbogen zu erzeugen. Natürlich ist Hagen ein einziges Kriegsreporterklischee: ein wenn auch gefallener Draufgänger, ein Frauenheld, der einmal sogar für einen Callboy gehalten wird, ein Verdrängungstrinker, der auch ohne Alkohol kann. Und er hat das Glück, immer wieder in letzter Sekunde seinen Häschern vom israelischen Geheimdienst zu entkommen, den guten wie den bösen.

Das geht auch gar nicht anders, denn irgendwann müssen beide Handlungsstränge zusammenfinden, mit durchgehendem Plot. Nach gut Dreivierteln des Romans ist das endlich der Fall. „Breaking News“ wird da wirklich noch atemberaubend und belohnt den Leser für sein Durchhaltevermögen. Was nichts daran ändert, dass der Roman als Ganzes ein missglücktes Zwitterwesen aus Geschichtsstunde und Geheimdienstthriller bleibt.

Frank Schätzing: Breaking News. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 961 Seiten, 26, 99 €

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