Frank Schätzing im Interview: "Wer nicht polarisiert, ist nicht relevant"
Frank Schätzing spottet im Tagesspiegel-Interview über elitäre Feuilletonisten und die US-Serie „Mad Men“. Warum er seine Sexszenen gelungen und die „Buddenbrooks“ langweilig findet, sagt der Bestseller-Autor auch.
Herr Schätzing, Ihre Romane wurden allein in Deutschland mehr als vier Millionen Mal verkauft. Was macht einen Stoff aus, der so erfolgreich wird?
Es gibt da keine Formel. Wenn Sie glauben, ein Erfolgsrezept gefunden zu haben, wird es wahrscheinlich ein Flop.
Ebola ist zurzeit sehr bedrohlich. Hat die Seuche Thriller-Potenzial?
Wahrscheinlich. Ich würde trotzdem keinem Autor raten, auf fahrende Züge aufzuspringen. Die Leute spüren das Kalkül.
Der amerikanische Thriller-Autor Dan Brown erklärt sein Gespür für Bestseller mit seiner „Durchschnittlichkeit“ – so beschreibt er sich selbst. Er habe festgestellt: Wenn er etwas spannend finde, fänden das viele andere ebenfalls. Sind Sie auch durchschnittlich?
In vielem bin ich Mainstream.
Und als Autor können Sie sich auf Ihre Durchschnittlichkeit verlassen?
Ich verstehe nicht, was genau das sein soll: durchschnittlich. Ich habe noch keine Familie mit zweieinhalb Kindern getroffen. Was Unterhaltung angeht, ist mein Geschmack gehoben populär. Mit gut gemachten Hollywood-Blockbustern kann man mich kriegen. Das habe ich mit der Mehrheit gemeinsam, vielleicht ein Grund, warum viele mich lesen.
Gerade Hollywoodfilme sind konstruiert nach vermeintlichen Erfolgsformeln.
Was passiert denn mit Filmen, bei denen alle Stein und Bein schwören, der Erfolg sei vorprogrammiert? Sie gehen unter. Seelenloses Zeug. Schwarzeneggers Comeback-Filme – Mega-Flops. Zu viel Kalkül, zu wenig Wagnis. Wirklich kreativ ist nur, wer bereit ist, zu scheitern
Ihr aktuelles Buch spielt in Israel und …
... hat auch kein Bestseller-verdächtiges Thema zum Inhalt. Die Idee kam mir, als ich bei einem Frühstück mit Freunden über den Nahost-Konflikt diskutierte: Was, wenn Scharons Hirnschlag 2006 Resultat eines Attentats gewesen wäre? Es gibt nicht viele plausible Verschwörungstheorien, aber die passte nun wirklich.
Zusammen mit Ihrem Verleger Helge Malchow haben Sie drei Wochen lang Israel zu Recherchezwecken bereist. Saß er am Steuer und Sie hatten die Karten auf dem Schoß?
Robbi Waks hat uns gefahren, ein pensionierter Historiker aus Tel Aviv. Superknuffiger Typ. Ich habe mit meiner Handkamera gefilmt, was mir vor die Linse kam. Im Buch gibt es eine Verfolgungsjagd durch die Altstadt von Nablus. Als ich die schrieb, lag meine Reise schon über ein Jahr zurück. Das Hirn kann nicht alle Details speichern, aber gerade die sorgen für atmosphärische Dichte.
Hat der Historiker Sie auch in den Technoclub „Haoman 17“ in Jerusalem geführt? Der Club spielt in Ihrem Buch eine Rolle.
Ich wollte da unbedingt rein. Guter Techno, aber lange kann ich das Gehämmere nicht mehr ab.
Ohne Ihnen zu nahetreten zu wollen: Drei bereits gesetztere Herren in dieser Szene – dachte da keiner, jetzt wird jemand vom Vater abgeholt?
Der Altersschnitt in solchen Clubs ist höher, als die Propagandavideos vermitteln. Die Techno-Pioniere sind fast alle in Ehren ergraut.
Waren Sie auch im Gazastreifen, der in diesem Sommer wieder zum Kriegsschauplatz wurde?
Für Gaza bekamen wir keine Einreisegenehmigung. Wir sind bis an den Checkpoint Erez rangefahren und haben uns das Ganze von außen angeguckt. Der Gazastreifen ist umzäunt wie ein gut bewachter Zoo.
Ist das Ihrer Erfahrung nach die Wahrnehmung seitens der Israelis: Gaza als ein Zoo voller Raubtiere?
Schon. Ich habe im Sommer mehrfach mit Freunden in Tel Aviv telefoniert, die politisch links stehen. Sie finden es furchtbar, dass da palästinensische Familien aus ihren Häusern gebombt wurden, doch die meisten Israelis schauen einfach weg. Symptomatisch übrigens für beide Parteien: Empathie für die Gegenseite ist praktisch nicht mehr vorhanden. Das Leid des anderen wird verdrängt. Nicht, weil man grausam wäre, sondern weil das eigene Leid so groß ist.
Ihr Buch birgt völkerverständigende Botschaften
Ich habe nie Botschaften. Ich bin ja nicht der Messias. Ich will unterhalten und informieren.
Viele israelische Siedler in Ihrem Buch haben gute Freunde unter den Palästinensern.
"Scharon nenne ich den Darth Vader des Nahen Ostens"
So ist es auch. Die Israelis reichten mich an palästinensische Freunde weiter und umgekehrt. Das ist das Paradoxe: Die Systeme sind verfeindet, im Privaten versteht man sich oft überraschend gut.
Über den früheren Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes, Avi Dichter, schreiben Sie: „Menschenrechtler kriegen Schnappatmung, wenn sie den Namen Dichter hören. Egal, er hat Israel vor noch Schlimmerem bewahrt.“
In der israelischen Wahrnehmung hat er das.
Die Passage ist aus der Erzählerperspektive geschrieben und liest sich wie Ihre Einschätzung. Avi Dichter ist eine äußerst umstrittene Figur. Seinerzeit fuhr er nicht nach Großbritannien, weil er dort mit einer Anklage wegen Kriegsverbrechen rechnen musste.
Das interpretieren Sie falsch. Mein Buch ist immer nur aus den Blickwinkeln der Handelnden geschrieben. Avi Dichter brauchte ich lediglich als Stichwortgeber für Scharon.
Ariel Scharon ist bei Ihnen ein tragischer Held.
Ich nenne ihn den Darth Vader des Nahen Ostens. Den hatte man im letzten Teil von „Star Wars“ plötzlich auch lieb. Spaß beiseite, natürlich war Scharon ein höchst kontroverser Charakter. Nur: Was immer er getan hat, im Schlechten wie im Guten, entsprang einer ungeheuren inneren Stärke, einem leidenschaftlichen Handlungs- und zuletzt Veränderungswillen. Heute wird der Konflikt nur noch verwaltet.
Offenbar mögen Sie Machos. Ihr Held in „Breaking News“, der Journalist Tom Hagen, zeichnet sich aus durch wenig Skrupel und viel Sex.
Ich brauchte diese Figur. Privat hab ich es nicht so mit Machos.
Nur sagt die „Süddeutsche Zeitung“: „Schätzing kann keine Sex-Szenen.“
In den Feuilletons waren die Reaktionen auf „Breaking News“ gespalten. Von der Lobpreisung bis zum Verriss war alles dabei. Ist doch gut. Wer nicht polarisiert, ist nicht relevant.
Sie schreiben in „Breaking News“: „Er küsst sie. Liebkost ihren Bauch, ihre Brüste, küsst sie so, wie sie ihn geküsst hat, saugt das alte Gift aus ihr heraus, nimmt ihren Schmerz in sich auf. Stürzt in ein reinigendes Feuer. Ist in ihr. Sie kommen gleichzeitig.“ Waren Sie mit sich zufrieden, als sie das so formuliert hatten?
Ist Ihnen keine andere Szene aufgefallen, die es wert wäre, zitiert zu werden? Mit Sexszenen ist es wie mit Sex selbst. Jeder hat seine Vorlieben. Was dem einen zu schwülstig ist, ist dem anderen noch zu nüchtern. Im Kontext der Szene ist es genau richtig.
Sie finden es unfair, wenn man aus Ihrem dicken Buch fünf Zeilen herausnimmt?
Eher unverhältnismäßig, wie sich mancher Kritiker die halbe Kritik lang an einer einzigen, aus seiner Sicht misslungenen Formulierung abarbeitet. Bloß um mir zu zeigen, dass ich nicht in seinen Klub gehöre. Ich hab kein Problem mit ernsthafter Kritik, doch bei einigen merkt man allzu deutlich die Absicht: Wir picken uns jetzt aus 950 stilsicher geschriebenen Seiten die drei Sätze raus, die wir nicht mögen, und blasen sie als repräsentativ fürs Buch auf. Das ist albern und destruktiv. Letztlich aber auch nicht wichtig.
Den größten Erfolg, den Ihr Tom Hagen als Journalist hat, ist eine Geschichte, die er erfunden hat. Ist das Ihr Bild vom Journalismus?
Nicht doch! Würde jemand Thomas Harris unterstellen, der kannibalische Psychiater Hannibal Lecter aus „Schweigen der Lämmer“ repräsentiere sein Bild von Psychiatern?
Über Feuilletonisten urteilten Sie allerdings einmal recht pauschal: „Das selbstbesoffene Kulturgequatsche hierzulande ist mir ein Gräuel.“
Der Satz stammt aus einem Interview mit einem von mir sehr geschätzten Feuilletonisten. Da haben wir es spaßeshalber krachen lassen, ein Spiel mit der Provokation. Ich sage Ihnen was zum Feuilleton: In Zeiten der Demokratisierung von Kritik, da Kritik zum Mehrheitsvotum verkommt, bräuchten wir es als wegweisende Instanz dringender denn je. Und es gibt ja exzellente Feuilletonisten. Das Problem sind die selbst ernannten Kulturverwalter. Die Publikumsverächter, die jede Grenzverwischung zwischen E und U am liebsten rückgängig machen würden. Fakt ist, das Feuilleton hat mehr denn je ums Überleben zu kämpfen. Sich im Elitären abzuschotten, ist der falsche Weg.
"Ich habe mich durch die Buddenbrooks gequält"
Sie inszenieren sich für einen Schriftsteller betont unintellektuell.
Ich glaube eher, andere inszenieren sich betont intellektuell. Ich bin, wie ich bin. Ob das intellektuell rüberkommt oder nicht, ist mir offen gestanden so was von schnurzegal.
„Erbärmlich unbelesen“. So nannten Sie sich mal.
Bezogen auf den Reich-Ranicki’schen Kanon. Von dem, was er als Klassiker ansah, habe ich tatsächlich wenig gelesen. Und ich gestehe, dass ich mich als Schüler durch die „Buddenbrooks“ gequält habe wie durch Morast. Kunst und Musik interessierten mich mehr.
Unter Schriftstellern scheint es zwei Lager zu geben: die Bestseller-Autoren dort, die Literaten hier …
Diese Lager gibt es nicht. Eine Erfindung der Publikumsverächter.
Michael Crichton, der unter anderem „Jurassic Park“ geschrieben hat, beschrieb seine Rolle mit einer „ersten Stufe einer Rakete“. Er könne „eine große thematische Last auf eine relativ geringe Höhe bringen und einer Menge Menschen eine Einführung in ein wissenschaftliches Thema geben.“ Danach müssten andere übernehmen. Erkennen Sie sich in dem Anspruch wieder?
Absolut. Ich kann mir und anderen komplexe Inhalte mit den Möglichkeiten des Romans verständlich machen. Dann übernehmen die echten Experten.
Aus der Aussage Crichtons spricht doch auch eine Ahnung von eigener literarischer Beschränktheit.
Quatsch. Er spricht von Wissensvertiefung. Warum sollte Crichton über literarische Beschränktheit reden? Wie ich ihn kannte …
... er ist vor sechs Jahren verstorben. Sie haben ihn auch persönlich erlebt?
Ich hatte das Vergnügen, ihn kennenzulernen. Zwei Meter zehn groß, trockener Humor. Michael hat seinen Stil sehr konsequent eingesetzt. Vielleicht hätte er hochliterarisch schreiben können, aber wozu? Für ihn war Sprache ein Transportmittel. Er war nie der Ansicht, dass er deswegen ein minderbegabter Schriftsteller ist.
Begreifen Sie Sprache genauso wie Crichton?
Sprache ist der Diener der Handlung, abgesehen von Lyrik natürlich. Ein Thema wie „Breaking News“ in eine stilverliebte Sprache zu packen, hätte manieriert gewirkt. Vielleicht erzähle ich ja demnächst mal was im Stil des 19. Jahrhunderts.
Hemmen Sie mitunter Ihre großen Verkaufserfolge?
Nur einmal. Als ich mich an „Limit“ setzte …
… Ihr Roman, der zum Teil auf dem Mond spielt und 2009 erschien ...
… da lastete plötzlich ein Druck auf mir, den „Schwarm“-Erfolg wiederholen zu müssen. Fühlte sich schrecklich an. Als müsse ich gegen diesen Typ, der den „Schwarm“ geschrieben hatte, in den Ring steigen. Ich wurde mein schlimmster Gegner. Also habe ich erst mal ein paar Wochen Gitarre gespielt, um mein Hirn zu entknoten.
Sie planten einmal eine Musiker-Karriere.
Ich mache immer noch Musik. Gerade nehme ich mit Freunden Songs auf. Ohne den Ehrgeiz, mit Ende 50 einen Nummer-eins-Hit zu landen
Immerhin touren Sie zurzeit mit Ihrem Buch „Breaking News“ durch Deutschlands große Hallen.
Ich stehe gern auf der Bühne. Mit herkömmlichen Literaturlesungen hat das übrigens wenig zu tun. Es geht darum, die Geschichte mit anderen dramaturgischen Mitteln weiterzuerzählen. Als Hybrid zwischen Buch und Verfilmung.
Bei ihren letzten beiden Bestsellern inszenierten Sie bildgewaltige Multimedia-Shows.
Diesmal gibt es gar keine Bilder. Die Hälfte des Abends sitzen die Leute im Stockdunkeln. Die Lesepassagen sind inszeniert wie Live-Hörspiele, meine Stimme ist eingebettet in atmosphärische Soundtracks. Ein Mix aus Originaltönen, die ich vor Ort aufgenommen habe, und Musik. Sehr suggestiv. Wir spielen das Ganze über ein spezielles Surround-System ab, man hat das Gefühl, mitten in der Szenerie zu sitzen.
Israel, die Raumfahrt und die Tiefsee wie beim „Schwarm“ – haben Sie sich eigentlich bei Ihren Büchern durch die Themen Ihrer Kindheit gearbeitet? In den 60ern, in denen Sie aufwuchsen, zählten zu den prägenden Ereignissen die Mondlandung, aber auch der Sechs-Tage-Krieg. Und Jules Vernes Tiefseeabenteuer war ein populäres Jugendbuch.
Ich bin immer noch in meiner Kindheit. Der Spieltrieb ist ungebrochen.
Gleichzeitig waren Sie als früherer Chef einer Werbeagentur Geschäftsmann. Auch heute als Autor strahlen Sie etwas Businessmäßiges aus.
Wirklich? Dabei denke ich beim Schreiben eines Buches nie über Vermarktbarkeit nach. Wenn’s fertig ist, schon. Ich lebe schließlich davon.
Umberto Eco sagte einmal, er sei ein Mann des Buches, deshalb stünden Bücher im Zentrum seiner Romane. John Grisham war Anwalt und schrieb über Anwälte. Warum schreiben Sie als langjähriger Werber nicht mal über das Werbeagentur-Milieu?
Der Beruf ist längst nicht so abenteuerlich wie oft dargestellt.
Die preisgekrönte US-Serie „Mad Men“, die in einer Agentur spielt ...
… hat mich zu Tode gelangweilt. Die Gags sind schal und die Schauspieler schlecht. Für mich war die Werbung eine Spielwiese, um mich auszutoben. Nur dass am Ende aller Kreativität immer ein Auto, ein Knabberriegel oder ein Inkontinenzmittel zu stehen hatte. Irgendwann wollte ich mein eigenes Ende schreiben.
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