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Weiß um die Mechanismen des Berlinale-Wettbewerbs: Harald Martenstein.
© Britta Pedersen/dpa

Martensteins Berlinale (I): Und der Goldene Bär geht an ...

Da können die Amerikaner noch so gut sein: Harald Martenstein durchschaut das Prinzip Berlinale und weiß bereits, wer den ersehnten Goldenen Bären bekommt.

Ich traf eine bekannte Filmkritikerin, und wir fragten uns, welcher Film im vergangenen Jahr den Goldenen Bären gewonnen hat. Wir kamen beide nicht drauf. „Moment mal – ah ja, es war ein Chinese“, sagte die Kollegin. „Der war recht gut.“

Im vergangenen Jahr lief im Wettbewerb allerdings ein echtes Meisterwerk. Mit diesem Wort soll man vorsichtig sein. Aber „Boyhood“ von Richard Linklater ging schon relativ stark in die Meisterwerkrichtung. Der Regisseur Linklater hat zwölf Jahre lang beschrieben, wie aus einem Kind ein Erwachsener wird. Das Team traf sich jedes Jahr, die Darsteller alterten oder wurden groß, echt, ohne Maske, so etwas gab es in dieser Form, als Spielfilm, angeblich noch nie. Alle Kritiker, die ich kenne, halten „Boyhood“ für einen der besten US-Filme der letzten Jahre, bei den Oscars gehört er jetzt zu den Favoriten. Publikum und Kritiker lieben den Film, alle sind sich endlich mal einig. Bei der Berlinale reichte es nur für den Silbernen Bären.

Amerikanische Filme haben keine echte Chance auf den Hauptpreis. Zwar liegt nach 64 Berlinalen das wichtigste Filmland der Welt mit 13 Siegen vorn, alles andere wäre irre. Aber der letzte Sieg war 2000. „Magnolia“ hieß damals der Gewinner, mit Tom Cruise. Der Film ist toll, Tom Cruise hat dafür den Oscar bekommen. Aber eine Berlinale- Jury, die irgendwas mit Cruise geehrt hat, kann nur unter Drogen gestanden haben. Daher verstehe ich es, wenn die Amerikaner dem Berliner Festival hin und wieder die kalte Schulter zeigen. Wenn heute so was wie „Citizen Kane“ bei der Berlinale laufen würde, dann bekäme der bestenfalls den Alfred-Bauer- Preis. Bei „Casablanca“ würde ich auf eine lobende Erwähnung für die Filmmusik tippen.

Den Goldenen Bären bekommt immer der chinesische Film, der recht gut ist. Es ist völlig klar, dass „Boyhood“ 2014 gewonnen hätte, wenn der Film „Bai Ri Yan Huo“ heißen würde und wenn das Kind ein Chinese gewesen wäre. Falls ich ein amerikanisches Regietalent wäre, das auf den Goldenen Bären spekuliert, dann würde ich mir ein chinesisches, uigurisches oder nagaibaktisches Pseudonym zulegen und vor der Pressekonferenz eine ansteckende Krankheit vorschützen, damit ich nicht auffliege. Also, darum geht es in den kommenden Tagen: Berlin sucht den chinesischen Film, der recht gut ist.

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