zum Hauptinhalt
Bewegte Geschichte. Die Traditionsmarke Ufa war während des Nationalsozialismus Propagandainstrument für Goebbels & Co.
©  Nestor Bachmann/dpa

Bernd Schroeders Roman „Warten auf Goebbels“: Um uns tobt das Meer

Filmisches Endspielszenario: Bernd Schroeders Roman „Warten auf Goebbels“ zeichnet den grotesken Dreh zum letzten Nazi-Propagandafilm nach.

Wer Bernd Schroeders Roman „Warten auf Goebbels“ zu lesen beginnt, bekommt zunächst nicht das Gefühl, es mit einem literarischen Werk zu tun zu haben – sondern vielmehr mit dem Drehbuch für einen Film. Der Prolog, der aus genau zehn Zeilen besteht, zeigt die Geburt von Joseph Goebbels am 29. Oktober 1897 an. Schnitt. Im ersten Kapitel, das nicht viel länger ist, erfährt man, wie ein Ufa-Filmteam am 25. August 1944 auf dem Weg in die Lüneburger Heide ist, und dass am selben Tag Paris von den Allierten befreit wird. Schnitt. Und im zweiten, dann doch längeren Kapitel geht es mitten in die „gutdeutsche Wohnküche“ der Familie Weimar, zu Hilde, Hans und Hänschen. Hans ist gerade aus dem Krieg heimgekehrt, und plötzlich ruft jemand „Stopp“, und ein Regisseur namens Konrad Eisleben gibt Anweisungen an seine Schauspieler und Statisten. Schnitt.

Diese Vorgehensweise des Schriftstellers und Elke-Heidenreich-Ehemanns Bernd Schroeder kommt nicht von ungefähr. Zum einen ist Schroeder selbst Autor zahlreicher, unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneter Fernseh- und Hörspiele. Zum anderen erzählt sein Roman die Geschichte des letzten Films, der im „Dritten Reich“ gedreht wurde. In Schroeders Roman heißt der Film „Krahwinkel“ und handelt von einer Familie nach dem „totalen Sieg“. Gedreht wird ausschließlich in der Heide, in den Örtchen Altenburg und eben Krahwinkel.

Goebbels will auch selbst mitspielen

In der Wirklichkeit hieß dieser letzte Nazi-und Ufa-Film „Das Leben geht weiter“. Er sollte die Geschichte einer Zehlendorfer Hausgemeinschaft während der alliierten Bombenangriffe auf Berlin im Jahr 1943 erzählen. Regie führte Wolfgang Liebeneiner, die Hauptrollen hatten Gustav Knuth, Marianne Hoppe, Hilde Krahl, Heinrich George und Viktor de Kowa. „Das Leben geht weiter“ wurde in großen Teilen in Babelsberg gedreht. Nach den immer heftiger werdenden alliierten Bombenangriffen auf Berlin und wegen ständiger Stromsperren ging jedoch auf dem Ufa-Gelände Ende Februar 1945 nichts mehr, weshalb die Nazis die weitere Produktion in den Fliegerhorst nach Lüneburg verlegen ließen, wo am 18. April 1945 die Briten einmarschierten. Der Film konnte nicht abgedreht werden. Produktionstagebücher und Story-Boards blieben erhalten, doch das Filmmaterial ist bis heute verschollen.

Bernd Schroeder hat sich der wahren Geschichte dieses letzten Nazi-Propagandafilms kongenial angenommen und ihr einen dezenten fiktiven Anstrich gegeben. „Warten auf Goebbels“ heißt sein Roman, weil Goebbels den Film seinerzeit nicht nur in Auftrag gegeben, sondern wohl höchstselbst am Treatment mitgeschrieben hatte – und weil er, in Schroeders Roman, selbst darin auch auftreten will: „Höhepunkt des Films“, dichtet Schroeder das Treatment um, „wird ein großes Siegesfest sein, mit allen verfügbaren Vereinen und Formationen und der Ehrung der Helden, mit Musik und einem Gastredner aus der Spitze der Partei. Wer das sein wird, teilt man rechtzeitig mit.“

Opportunismus und künstlerischer Ehrgeiz

Immer wieder platziert Schroeder deshalb Zitate und Redenauszüge von Goebbels in die 122 Kapitel seines gerade einmal 236 Seiten umfassenden Romans. In diesem finden sich – ebenfalls dokumentarisch anmutend – die fiktiven Biografien der Mitglieder des Filmteams, dazu „Krahwinkel“-Szenen, die das Filmteam dreht, sowie die Nachrichten von den Ereignissen des Krieges und den Zahlen der Toten durch die Bombenangriffe.

Überdies hat Schroeder längere Dialoge und Szenen geschrieben, um der Stimmung im Team auf den Grund zu kommen. Regisseur Eisleben arbeitet etwa bewusst langsam. Doch dieses Mal weiß er: Umso länger der Dreh dauert, desto sicherer sind er und das Team, schließlich naht das Kriegsende. Oder der Produktionsleiter Kurt Reiter, ein strammer Nazi, beginnt einzusehen, dass alles verloren ist. Ihm geht es darum, die eigene Haut zu retten: „Wir sind auf einer Arche Noah, wie Eisleben sagt, um uns tobt das Meer, wir aber sind sicher und halten Kurs auf ein friedliches Ufer.“

Schroeder geht es in seinem Roman um Opportunismus, der sich bei seiner, wenn man denn will, Hauptfigur, dem Regisseur Konrad Eisleben, mit einem gewissen künstlerischen Ehrgeiz paart. Und zudem arbeitet er heraus, wie grotesk dieses filmische Endspielszenario anmutete, gerade vor dem Hintergrund der Kriegsbrutalität und nicht zuletzt dem undurchdringlichen Wahnsinn und den jeder Realität nur Hohn spottenden Durchhalteparolen eines Joseph Goebbels.

Ein irrsinniges Vorhaben

Schroeder hat sich auch bei der Zeichnung seiner Figuren sehr an die Wirklichkeit gehalten. Wenn man zum Beispiel Hans-Christoph Blumenbergs 1993 veröffentlichtes, rein dokumentarisches Buch über „Das Leben geht weiter“ kennt, weiß man, wie sehr diese den realen Vorbildern nachempfunden sind: von Regisseur Wolfgang Liebeneiner über dessen Ehefrau Hilde Krahl oder Produktionsleiter Karl Ritter bis hin zu dem auch nach dem Krieg überaus erfolgreichen Schauspieler Viktor de Kowa.

Das Buch über diesen letzten Nazi-Film hat es also schon lange gegeben. Bernd Schroeder gelingt es jedoch mit seinem Roman, den Irrsinn dieses Vorhabens in seiner ganzen Deutlichkeit zu zeigen, ihn jenseits der historischen Fakten gewissermaßen zu konturieren, inklusive der Motivation aller Beteiligten. Jetzt fehlt nur noch die Verfilmung dieses Romans.

Bernd Schroeder: Warten auf Goebbels. Roman. Hanser Verlag, München 2017. 236 Seiten, 22 €.

Zur Startseite