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In der Schraubzwinge. Sonst leisten Restaurator Michael Wintjen (links) in seiner Friedenauer Werkstatt nur Möbel wie diese alte Truhe aus Myanmar Gesellschaft. Sonnabend lassen sich auch die Lesenacht-Organisatorin Sabine Würich und Schriftsteller Bernd Schroeder in seiner von Patina überzogenen Werkstatt blicken. Und natürlich die Zuhörer.
© Paul Zinken

Berlin literarisch: Werkstatt der Worte

Am nächsten Sonnabend findet zum zweiten Mal die Friedenauer Lesenacht statt, mit über 40 Veranstaltungen an 23 Orten. Sogar in Kaffeeröstereien, Dessousgeschäften oder Tai-Chi-Schulen wird rezitiert

Glückliches Friedenau. Hier sind die verwunschenen Remisen im Hinterhof mit Efeu bewachsen. Hier werden die Holzscheite anmutig im Gärtchen gestapelt. Hier sehen Werkstätten aus wie zu Zilles Zeiten. Hier kommt schon um fünf Uhr nachmittags goldglänzender Weißwein auf den Tisch. Toll. So soll es sein, das Leben der Boheme, auch wenn Michael Wintjen kein Künstler, sondern Handwerker ist. Allerdings mit einem Händchen für Literaten, was auch gar nicht anders sein kann, wenn man im niedersächsischen Dorf Nartum, der Heimstatt des verstorbenen Schriftstellers Walter Kempowski, aufgewachsen ist. Für den habe er früher Möbel aufgearbeitet, sagt der Restaurator, der 2002 nach Berlin zog und seit 2009 die Werkstatt in Friedenau führt. Na, wenn das nicht genau die richtige schöngeistige Prägung ist, um Gastgeber der Friedenauer Lesenacht zu sein.

Die versammelt am kommenden Sonnabend schon zum zweiten Mal Literaten zu mehr als 40 Lesungen an 23 verschiedenen Orten. Darunter sind stinknormale Buchhandlungen genauso wie exotische Locations, etwa ein Dessousgeschäft oder eine Kaffeerösterei. Ungewöhnliche Leseorte, die mit dem Inhalt der dort präsentierten Bücher korrespondieren, seien denn auch das Konzept der Lesenacht, sagt Sabine Würich vom Kunstverein Südwestpassage. Der veranstaltet bereits seit 2008 eine Tour durch Künstlerateliers in Friedenau – dieses Jahr am 22. und 23. September – und macht jetzt sommers auch in Literatur. Der diesjährige Schwerpunkt ist das Spiel mit der Sprache, deswegen gibt es im braven Friedenau auch mal so was Freches wie einen Poetryslam im Schuhladen „Ganzkörperschuh“ und was Experimentelles wie die Lyrikbühne im S-Café Friedenau oder die Textperformance der Schriftstellerin Yoko Tawada in einer Tai-Chi-Schule in der Stubenrauchstraße. Ein so hehres Ziel, wie den Mythos vom Schriftstellerbezirk wieder zu beatmen, führe der Verein Südwestpassage zwar nicht im Schilde, sagt Sabine Würich. „Aber wir wollen Leben in den Bezirk bringen und mit Selbstbewusstsein zeigen, dass hier weiter Autoren leben.“ Dass ist nicht zuletzt seit dem Nobelpreis 2009 für die hier ansässige Herta Müller bekannt.

Sie ist bei der Lesenacht nicht dabei. Dafür aber Schriftsteller wie Sabine Ludwig, Helmut Krausser, Cornelia Becker, Larissa Boehning, Michael Wildenhain oder Bernd Schroeder. Der im heutigen Tschechien geborene und in Oberbayern aufgewachsene Lakoniker Jahrgang 1944 lebt erst seit einem guten Jahr in Friedenau. Im ersten Leben war Schroeder ein mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneter Drehbuchschreiber und der Ehemann von Elke Heidenreich. Im zweiten verlegte er sich auf Romane und zog einer neuen Liebe wegen nach Berlin. Wohin genau? „Na, in die Niedstraße, wie es sich für einen Schriftsteller gehört“, flachst der keinesfalls zu übertriebenem Redefluss neigende Mann. Okay, also in die örtliche Dichtermeile, wo einst Erich Kästner, Uwe Johnson, Max Halbe oder Günter Grass residierten.

Schroeders Leseort – die nach Holz und Leim duftende Werkstatt von Michael Wintjen in der Schmargendorfer Straße 5 – hat er sich selber ausgesucht. Er kennt den 38 Jahre alten Kunsttischler vom Italiener, wie man sich halt kennt in Friedenau. Und der Ort sieht aus wie die Raum gewordene Welt seiner Bücher „Handwerken“ und „Auf Amerika“, einer im Frühjahr erschienenen oberbayerischen Dorfskizze, in der sich die Alten noch ihre eigenen Särge bauen. „Es gibt zwei wichtige Orte für mich“, sagt Bernd Schroeder, „die Kneipe und die Werkstatt“. Letztes Jahr las er der leidenschaftliche Lampenbastler bei der Lesenacht in seinem Stammlokal „Sponholz“, jetzt liest er beim Restaurator. Warum er als Neuzugang gleich bei der ersten Friedenauer Lesenacht dabei war? Tja, zuckt er die Achseln und sagt: „Support your local reader.“ Außerdem habe er sich schnell in der Gegend eingelebt, erzählt er. Neue Leute kennenzulernen, sei ja in seinem Alter nicht mehr so üblich, aber hier habe das sofort geklappt. Weil man sich überall trifft, wie früher auf dem Dorfe. „Das tut mir gut und dem Schreiben.“ Das macht er übrigens auch oft in seiner Stammkneipe. „Und da wird das respektiert.“ Mit seinem Hausnachbarn, der Cellist bei den Philharmonikern ist, hat er dort auch schon selbst eine Lesung mit Musik organisiert. Quasi als kulturelle Kneipengängerinitiative im glücklichen Friedenau.

Friedenauer Lesenacht, Sonnabend 18.8., 18-24 Uhr, 10 Euro (Führungen extra, bitte anmelden), Programminfos: www.suedwestpassage.com. Bernd Schroeder liest um 20.40 und 22.20 Uhr. Vorverkauf: Ganzkörperschuh, Bundesallee 87, Bio Company, Bundesallee 88, Aktiviale Gesundheitszentrum Hauptstraße 78-79.

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