Berlinale 2015: Udo Kier: Der Prinz des Zufalls
Keine Frage, Udo Kier ist der Weltstar unter den Nebendarstellern. Am Freitag bekommt er in der Komischen Oper dafür den Special Teddy.
Potsdamer Platz, Open House vor dem Berlinale-Palast, Teddy-Talk mit Udo Kier. Eine lange Schlange Leute, Radioaufzeichnung, Kamerateams, Platzgedrängel. Ganz schön was los bei unserem Mann in Hollywood. Der zuckt zusammen, als ihn die Moderatorin so nennt. Da gebe es doch ganz andere, winkt der Weltstar unter den Nebendarstellern ab.
Fast 50 Jahre ist er im Geschäft. An die 200 Filme hat er gedreht. Blockbuster, Trash, Arthaus – alles dabei. Mit Rainer Werner Fassbinder, Christoph Schlingensief, Madonna, Quentin Tarantino, Lars von Trier oder Arnold Schwarzenegger. Und spielend beherrscht er das Understatement, mit dem man Herzen gewinnt. „200 Filme, wie das immer klingt! 100 waren schlecht, 50 okay und nur 50 gut.“ Der erste Lacher gehört ihm.
Ob sein Freund von Trier wirklich so ein schwieriger Charakter sei, fragt die Moderatorin. „Ach was, der Lars ist ein ganz lieber Mensch. Er mag nur keine Schauspieler!“ Nächster Lacher. Den Kier mag von Trier nämlich schon. Der ist Familie, den hat er vor 23 Jahren nicht nur zum Stammschauspieler, sondern auch zum Patenonkel seiner Tochter erkoren.
Er ist ein Lustiger, ein Lässiger
Kier habe ja nun wirklich jedes Gerne gedreht, merkt die Moderatorin an. „Außer Porno!“, ruft er. Und was sei mit „Die Geschichte der O.“? 1975 verboten und jetzt wieder neu herausgekommen. „Das ist Erotik!“ Noch ein Lacher. Auch die Geschichte mit der Spucktüte, die 1969 an der Kinokasse zusammen mit der Eintrittskarte zu einem seiner ersten Filme „Hexen bis aufs Blut gequält“ verkauft wurde, kommt prima an. „Die kostet heute 300 Dollar im Internet, unbenutzt.“
Er ist ein Lustiger, der Udo Kier, ein Lässiger. Und sein eigener Mythomane. Wie das so ist als Glückskind, als Mutters Augenstern. 1944 nur eine Stunde nach der Geburt aus einem zerbombten Keller in Köln von helfenden Händen ausgegraben. Mit Schönheit und Entdeckungslust gesegnet, viel geliebt, viel begehrt. Wie das so ist, wenn man arm, als „Generation Schrankbett“ aufwächst und dann als junger Kerl in die Schickeria von Krupp-Erbe Arndt von Bohlen und Halbach gerät.
Ob er glaube, dass sein Aussehen, die berühmten blaugrünen Augen seine Karriere beeinflusst hätten?, fragt die Moderatorin. Jetzt nicht mehr, sagt er. Mit siebzig sei der Lack ab. Früher, da schon. „Na ja, wenn die Männer und die Frauen auf der Straße stehen bleiben, gibt’s wohl einen Grund dafür.“ Andächtiges Nicken. Kaum einer lacht.
Im Film ist er der Seltsame. Im Leben ist er ein Lieber
Potsdamer Platz, Golden Bear Lounge im Hyatt Hotel. Noch zehn Minuten bis zum Treffen mit Udo Kier. Natürlich sitzt er als Erstes da. 25 Jahre in Hollywood haben ihm die Pünktlichkeit nicht austreiben können. Auch nicht den kölschen Zungenschlag. „Setz dich, wat willste trinken?“ Sie, du, das sind Unterschiede, die ein Global Player aus Kölle nicht macht. Im Film ist er der Seltsame, der Böse – Todescampkommandeur, Vampir, Teufel, Nazi. Im Leben ist er ein Lieber. Ein Tierfreund, der sich daheim in Palm Springs kurz vor Weihnachten einen neuen Hund aus dem Tierheim geholt hat. Ein Kunstfreund, der die ihm persönlich gewidmeten Werke von Warhol, Hockney, Polke, Mapplethorpe oder Liechtenstein nie verkaufen würde. Ein dankbarer Preisträger, der den ihm nicht zum ersten Mal angetragenen Wunsch, den Special Teddy der Berlinale anzunehmen, am heutigen Freitag in der Komischen Oper endlich erfüllt.
Udo Kier ist in Partylaune
„Weil ich in Preislaune bin“, sagt er. Im Oktober hat er den „Cinemerit“ in München bekommen, das gefiel ihm. Sie kommen jetzt halt, die Lebenswerk-Ehren für den kultigen Kier. Bis hinauf nach Litauen hängen Filmfestivals in der Wartespur. Jetzt kommen auch die Hauptrollen. Nicht die Filme mit – sondern die Dokus über Kier. So wie letztes Jahr der Kunst-Film „Arteholic“, so wie dieses Jahr ein Werk seiner Freundin Rosemarie Trockel.
Den queeren Teddy Award findet die Schwulenikone wichtig. In den USA sollte in Virginia gerade ein Gesetz erlassen werden, dass es Ärzten aus religiösen und moralischen Gründen ermöglicht, die Behandlung von Homosexuellen abzulehnen, empört sich Kier. „Stell’ dir mal vor! Und das im Januar 2015!“ Deswegen schätzt er die Berlinale, weil sie Themen wie Homophobie reflektiert.
Wer die Laudatio auf ihn hält? „Die Coco, also Nicolette Krebitz, die kennt mich sehr gut, wir wollten ja fast mal heiraten.“ Krebitz musste auch schon in München ran. Den ursprünglich als Laudator auf den Kunstsammler vorgesehenen Direktor des Pariser Centre Pompidou hat er abgelehnt. Dröges Honoratiorengerede, das will Kier nicht.
Den König des Burgtheaters ersetzt
Klar ist der Berlinale-Stammgast mit einem Film vertreten. Auch wenn die neue, hoch gehandelte schwarzhumorige ORF-Serie „Altes Geld“ nicht bei der Serien-Reihe des Festivals zu sehen ist, wie Kier bedauert. Darin spielt er die ursprünglich für den verstorbenen Gert Voss vorgesehene Rolle eines Familienpatriarchen. Ein Part, vor dem er kalte Füße hatte. „Den König des Burgtheaters zu ersetzen, ist schwer, wenn man keine Erfahrung als König hat.“ In dem Forums-Beitrag „The Forbidden Room“, einem exzentrischen Bilderdelirium, setzt der Kanadier Guy Maddin ein weiteres Mal auf Udo Kiers gerade in dieser Sparte unverzichtbare Darstellkunst.
Gedreht wurde öffentlich, in Paris, im Centre Pompidou. Diesmal nicht mit der Isabella wie beim letzten Maddin-Beitrag „Keyhole“, sondern mit der Charlotte und der Geraldine, wie Kier die ihm wohlvertrauten Damen Rossellini, Rampling und Chaplin nennt.
Die Rosemarie, die Coco, der Wieland, der Guy, der Nurejew, der Visconti, der Helmut Berger, der Christoph Schlingensief, der Gus van Sant – ein Name, eine Anekdote nach der anderen perlt aus dem sein eigenes Geschick bestaunenden Prinzen des Zufalls heraus.
Alles in seinem Leben ist irgendwie geschehen
Nie hat er sich jemandem aufgedrängt, alles ist ihm geschehen. Schon der Fassbinder ist ihm ja damals in Kölle mit sechzehn in einer Arbeiterkneipe vor die Füße gelaufen. Den Schlingensief und die Swinton hat er auf der Berlinale kennengelernt. Im „Florian“, unterm Tisch. Und der Gus Van Sant, der ihn für „My own private Idaho“ in die Staaten geholt hat, hat ihn auf einer Berlinale-Party beim Christoph Eichhorn angesprochen. Alle wollten was von ihm, keinem ist er nachgelaufen. „Bringt nichts“, sagt Kier, der es zu gerne noch auf den Besetzungszettel von David Lynch schaffen möchte. „Regisseure wollen immer selbst entdecken.“ Und was wäre das für eine Blamage, wenn er Lynch auf einer Party in L.A. erzählen würde, dass er mit ihm arbeiten möchte und der sagt dann: Wer möchte das nicht? Udo Kier schüttelt sich.
Udo Kier lässt sich entdecken
Viel lieber lässt er sich entdecken. Manchmal zum zweiten Mal. Wie von dem finnischen Regisseur Timo Vuorensola, der im Herbst in Berlin mit ihm die Fortsetzung der Mond-Nazi-Posse „Iron Sky“ dreht. Oder von Dieter Kosslick gleich jetzt und hier. Auf dem Weg zu einem Fernsehinterview steht er plötzlich am Tisch. Großes Hallo und Umarmung der Herren. „Wo bekomme ich denn diese goldenen Bären?“, fragt Kier mit Blick auf Kosslicks Anstecknadel. „Die stecke ich aber nur armen Leuten an“, flachst der. A
ber Kier sei ja in ganz armen Verhältnissen aufgewachsen, mischt sich die von anderthalb gemütlichen Stunden eingelullte Reporterin ein. „Dafür trägt er jetzt aber ein ziemlich teures Hemd“, ulkt Kosslick und heftet ihm sein eigenes Bärchen an die Brust. Hat er’s mal wieder hingekriegt, der Udo Kier. Zufrieden schauen die blaugrünen Augen den Bären an.
Ein schönes Bild: Nimm’ die Einladungen und Gelegenheiten des Lebens so freudig wie die Nebenrollen an – und du wirst die Hauptrolle kriegen. Oder einen Hund aus dem Tierheim.
Im Herbst dreht er in Berlin die Fortsetzung der Nazi-Groteske „Iron Sky“.
Gunda Bartels