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Bono in Aktion: "U2" im Berliner Olympiastadion
© dpa/Britta Pedersen

"Joshua Tree "-Tour in Berlin: U2 singen Wüstensongs im Dauerregen

Zum 30. Geburtstag ihres Hitalbums "Joshua Tree" spielen U2 eine nasse, aber packende Show im ausverkauften Berliner Olympiastadion.

Der Baum ist tot. Schon vor 17 Jahren kippte der "Joshua Tree" um. Jenes Gewächs mit den pittoresk in den Himmel ragenden Ästen, das dem fünften Studioalbum von U2 seinen Namen gab. Fans, die in die kalifornische Mojave-Wüste gepilgert waren, um den Baum zu besuchen, haben das dokumentiert. Neben seinen Überresten soll es sogar eine Gedenkplatte im Boden geben.

Das wäre eigentlich nicht nötig. Denn dieser Baum, dessen Sorte man hierzulande Josua-Palmlilie nennt, ist unsterblich. Schließlich hat Anton Corbijn ihn für das Rückcover des U2-Albums fotografiert - und jetzt findet in seinem Namen sogar eine Europa- und Nordamerika-Tour der Band statt. Nicht schlecht für ein Wüstengewächs.

Das Berliner Olympiastadion ist der einzige Deutschland-Stopp der irischen Band, wobei sich der Umriss des Baumes schon während Noel Gallaghers Vorband-Auftritt auf und über der riesigen Bühnenleinwand abzeichnet. Doch bevor er aufleuchten darf, kommt das Quartett um Punkt neun erstmal Mann für Mann auf die vorgelagerte kleine Bühne. Rot angestrahlt knallen sie "Sunday Bloody Sunday" ins Oval. Das Stück von ihrem 1983er-Album "Boy" sorgt schon während des militärisch anmutenden Schlagzeug-Intros für Begeisterung und hat bei den ersten Tönen von The Edges Gitarre alle in den Bann geschlagen. Ein Stadion aus dem Stand heraus mitreißen - auch 40 Jahre nach Bandgründung eine leichte Übung für U2.

Von Nieselregen und Pfützen lassen sich U2 nicht beeindrucken

Als es nach dem zweiten Song wieder zu regnen beginnt, stimmt Bono gut gelaunt "Singin' In The Rain" an, und fordert das Publikum zum Mitmachen auf. Vom einsetzenden Dauernieselregen lassen sich U2 nicht beeindrucken. Schließlich kommen sie von einer sehr feuchten Insel. Nur Drummer Larry Mullen Jr. hat einen kleinen Regenschutz, die anderen werden nass und stampfen später durch ansehnliche Pfützen. Aber was ist schon ein bisschen Regen, wenn man wieder in Berlin spielen darf! Bono seufzt schon nach wenigen Minuten angesichts der vielen Erinnerungen, die die Band mit der Stadt verbindet. Wie alle hier wissen, hat sie 1990 ihr Album "Achtung Baby" in der Stadt aufgenommen und ist immer wieder aufgetreten. Zuletzt vor nicht einmal zwei Jahren als U2 vier Konzerte in der Großarena am Ostbahnhof gaben.

Bono singt "Heroes" - auf Deutsch

Genau wie damals nennt Bono Berlin einige Male "das Herz von Europa". Damit meint er vor allem Deutschlands Rolle während des Sommers, in dem die Flüchtlingszahlen in Europa besonders stark anstiegen. Vielleicht als Dankeschön lässt er den Song "Bad" in David Bowies "Heroes" übergehen - und singt den Text zum Teil auf Deutsch. Im Meer der Mobiltelefonlämpchen entsteht Gänsehaut-Atmosphäre.

Nach einer halben Stunde kommen U2 dann zu "Joshua Tree", diesem mit Hits vollgepumpten Album, das vielen als ihr bestes gilt und sie 1987 in eine andere Liga katapulierte. Waren die Iren zuvor bereits eine erfolgreiche, respektierte Rockband gewesen, bewegten sie sich von nun an in Superstargefilden. "Joshua Tree" erreichte in vielen europäischen Ländern die Chartspitzen und war das erste U2-Album, dem das auch in den USA gelang. Die Band schaffte es dort sogar aufs "Time"-Cover. Das von Daniel Lanois and Brian Eno produzierte Werk, in dem sich die Amerika-Faszination der Band sowohl textlich als auch musikalisch niedergeschlagen hat, wurde bis heute über 25 Millionen Mal verkauft.

U2 bei ihrem Auftritt im Olympiastadion Berlin.
U2 bei ihrem Auftritt im Olympiastadion Berlin.
© Britta Pedersen/dpa

Die Songs haben sich gut gehalten - die Band auch

Für den Hymnen-Auftakt mit "Where The Streets Have No Name" geht die Gruppe rüber auf die große am Marathontor aufgebaute Bühne. Vor blutrotem Hintergrund ist die Silhouette des Joshua Trees zu sehen. Die Jubiläumsausgabe kann beginnen. Die elf Stücke von 1987 haben sich gut gehalten, wie auch die Bandmitglieder, inzwischen alle Mitte 50. Alle sind schlank, wirken fit, nur Bonos blonder Schopf ist immer noch gewöhnungsbedürftig.

Spannender als Live-Evergreens wie "With Or Without", bei dem sich sowohl The Edge als auch Bono anfangs etwas mühen, sind seltener gespielte Nummern wie "Red Hill Mining Town". Es erinnert an den großen britischen Bergarbeiterstreik Anfang der Achtziger. Bono sagt, dass die Band 30 Jahre gebraucht habe, um herauszufinden, wie sie es live spielen soll. Sie haben es gut hinbekommen: The Edge am Piano statt an der Gitarre, dazu eine getragene Bläserbegleitung und ein extrem konzentrierter, engagierter Lead-Gesang über den zuspielten Background-Chören.

Bono der Feminist

Ähnlich berührend: "One Tree Hill", bei dem Larry Mullen Glocken-Synkopen schön nach vorne streben. U2 spielen den Song für ihren einstigen Roadie Greg Carroll. Er kam 1986 bei einem Unfall ums Leben, seinem Andenken ist das "Joshua Tree"-Album gewidmet.

Im Zugabenteil gibt Bono dann wie gewohnt den Prediger und Mahner. Dass er das Publikum an die Bundestagswahl erinnert und aus dem Grundgesetz zitiert, dessen erster Artikel auch noch eingeblendet werden, hätte vielleicht nicht unbedingt sein müssen. Aber so ist er nun mal, der Weltverbesserungspopstar Nummer eins. Und man verzeiht es ihm dann auch gleich, wenn er sich in weiteren Ansagen dezidiert feministisch äußert und bei "Ultraviolet (Light My Way)" Frauen wie Simone de Beauvoir, Alice Walker, Patti Smith und Grace Jones auf der Leinwand gefeiert werden. Zum Mitsing-Finale mit "One" sind sowieso alle selig - und der Regen vergessen.

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