Globe-Theater für Berlin: Traum aus Holz und Stahl sucht Heimat
Mammutprojekt: Christian Leonard und Ingo Woesner haben das Globe-Theater von Schwäbisch-Hall abgebaut, um es in Berlin wiederauferstehen zu lassen.
Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, das weiß man ja. In diesem Fall heißt das: den Abbau und Transport von 250 Tonnen Material. Aber was tut man nicht alles für die Kunst. Konkret: für William Shakespeare und seine Idee von einem Haus, das die Welt bedeutet. Ein Globe Theater.
Hinter Christian Leonard und Ingo Woesner liegen nervenaufreibende Monate. Im Frühsommer hörten sie davon, dass in Schwäbisch-Hall das dortige Globe Theater nach 16 Jahren abgerissen werden sollte. Jetzt, im Herbst, macht sich eben jener Bau auf den Weg nach Berlin. Zerlegt in seine Einzelteile, transportiert mit sechs Tiefladern, die von der Polizei an der Autobahn abgeholt und in die Stadt eskortiert werden. Sowie mit zehn weiteren 40-Tonner-Lkws. Eine logistische Großleistung und eine Idee, die Christian Leonard „verrückt, aber auch berlintypisch“ nennt. Die Stadt hat schließlich immer schon von Künstlern profitiert, die nicht lange fackeln oder auf Förderung warten, sondern Fakten schaffen.
Leonard, der Leiter der Shakespeare Company Berlin, die derzeit im Naturpark Schöneberger Südgelände spielt, verfolgt seinen Traum vom Globe seit mehr als 15 Jahren. Manchmal waren die architektonischen Pläne zu ehrgeizig. Ein anderes Mal kam das Projekt über einen Spatenstich an der East Side Gallery nicht hinaus. Und dann wieder schien bereits alles unter Dach und Fach zu sein.
Für einen Euro wechselte das Theater den Besitzer
Zum Beispiel, als Roland Emmerich 2010 in Babelsberg seinen Shakespeare-Reißer „Anonymous“ gedreht hatte und die Produktionsfirma Leonard danach die Globe-Kulissen aus dem Film überließ. Umsonst. Das Problem war nur: „Der Abbau hat 50 000 Euro gekostet“, erzählt der Theatermacher. Also gründete er eine GmbH, um in den Kulissen ein Globe-Spektakel zu veranstalten, das Sponsoren anziehen sollte. Nur um später festzustellen, dass der Bau kaum zu retten war, weil er sich nicht ohne bleibende Schäden demontieren ließ. Die verwendbaren Teile bilden heute im Südgelände die Freiluft-Bühne, die Zuschauerbänke und das Eingangstor.
Leonard hat sich trotzdem nie von seinem Vorhaben abbringen lassen, das „wooden O“, das hölzerne O, nach Berlin zu bringen. All die Versuche der Vergangenheit sind für ihn keine Erfahrungen des Scheiterns, sondern „organische Zwischenschritte“ auf dem Weg zum verwirklichten Lebenstraum. Und diesmal ist das Globe nicht nur zum Greifen nahe. Sondern schon verpackt.
Für den symbolischen Preis von einem Euro hat die Stadt Schwäbisch-Hall Leonard und seinem Mitstreiter Ingo Woesner das Globe überlassen. Außerdem beteiligte sie sich mit knapp 60 000 Euro an den Abbaukosten – die Summe hätte die Stadt sonst auch für den Abriss mit anschließender Schredderung berappen müssen. Im Schwäbischen soll ein Neubau entstehen, der ganzjährig bespielbar ist. Für das alte Haus lief die Betriebsgenehmigung aus.
Abbau und Transport waren logistisch extrem kompliziert
Weil Leonard zwar in Shakespeares Welt zu Hause und auch in der Akquise von Geldern bewandert ist, in Bauvorhaben aber eher unerfahren, tat er sich mit Ingo Woesner zusammen – in Berlin bekannt als die eine Hälfte der Woesner Brothers, die am Prenzlauer Berg das Pfefferberg Theater betrieben haben. Leonard und Woesner kennen sich lange. Als die Shakespeare Company noch das Zelt „Shake“ an der East Side Gallery betrieb, gastierten die Woesners dort mit ihrer Romeo-und-Julia-Parodie „Chaos in Verona“. Umgekehrt boten die Woesners Leonard und seinen Leuten in ihrem vormaligen Komödienhaus am Pfefferberg Heimstatt für deren Premiere „Zähmung der Widerspenstigen“, als die Shakespeare Company vorübergehend keine feste Bleibe hatte.
Ingo Woesner hat in Schwäbisch-Hall den Abbau des Globe gemanagt. Wobei ihm die Erfahrung mit dem millionenteuren Neubau der Schankhalle Pfefferberg half, den er „von der ersten Idee bis zum letzten Dachziegel“ begleitet hat, wie er sagt. Zwei Zimmererfirmen waren mit der Dekonstruktion des Theaterrunds betraut, außerdem ein Kran-Unternehmen. Das musste unter anderem mit einem 30-Tonnen-Kran über eine 500 Jahre alte Steinbogenbrücke in der denkmalgeschützten, historischen Altstadt Schwäbisch-Halls manövrieren, wo das Globe stand. Was Spezialbegehungen mit Statikern erforderlich machte.
Wo das Globe in Berlin stehen wird, ist noch unsicher
Der Bau ist 14 Meter hoch und hat 26 Meter Durchmesser, 600 Zuschauer finden darin Platz. Die schwersten Teile, die das Grundgerüst des Hauses bilden, wiegen vier Tonnen. Woesner hatte außerdem eine junge Architektin an seiner Seite, deren Aufgabe es war, die vielen tausend Einzelteile zu kartografieren. Insgesamt acht Tage hat der Abbau gedauert. Alles festgehalten mit der Kamera und einer filmenden Drohne. Woesner plant, „eine kinofähige Dokumentation“ aus dem Projekt Globe zu machen.
Wie es nun weitergeht, ist einerseits klar – und andererseits in der Schwebe. Die Shakespeare-Unternehmer werden ihr zerlegtes Theater zunächst im Marienpark zwischenlagern. Ein Gewerbe-Gelände im südlichen Tempelhof-Schöneberg, wo sich unter anderem schon die kalifornische Brauerei Stone Brewing angesiedelt und für 25 Millionen Euro eine beeindruckende Bierfabrik inklusive Gaststätte hochgezogen hat. Ob der Marienpark allerdings auch der endgültige Standort wird, ist noch offen.
„Ein Globe gehört von seiner Geschichte her ans Wasser“, sagt Leonard. Klar, in London stand das Theater schließlich auch an der Themse. „Wir gehen momentan die Ufer durch“, erzählt Woesner. Wo sind geeignete Plätze? Wo wäre eine Baugenehmigung zu bekommen?
Sie waren zehn Tage vor der Frist fertig mit der Demontage
Etwa eine Viertelmillion Euro würden Wiederaufbau und Inbetriebnahme inklusive Marketing kosten, schätzen die beiden. Geld, das sie momentan zu akquirieren versuchen. Ein paar bauliche Details müssen geändert werden, doch bereits im kommenden Frühsommer soll das Shakespeare-Haus stehen. Ambitioniert, aber möglich, betont Woesner. Auch wenn Deutschland mentalitätsmäßig das „Es geht nicht“-Land sei. Schon in Schwäbisch-Hall hätten Teile von Politik und Bürgerschaft mit gelinder Skepsis darauf reagiert, dass zwei Berliner Künstler vorbeikommen wollen, um sich ein Globe einzupacken. Aber dann seien sie zehn Tage vor der vertraglich vereinbarten Frist mit dem Abbau fertig geworden. Zur allgemeinen Verblüffung.
Für die Handwerker rezitierte Christian Leonard einen Monolog
Dass ein Globe Berlin gut zu Gesicht stehen würde, steht für Leonard und Woesner ohnehin außer Frage. Sicher, es gibt das hölzerne Monbijou-Theater. Und das temporäre Globe, das sich die Schaubühne in ihren Saal C gebaut hat. Aber eben kein originales Shakespeare-Erlebnis-Theater.
Den Handwerkern, die in Schwäbisch-Hall das Globe abgebaut haben, trug Christian Leonard zur Feier der vollendeten Arbeit einen Monolog aus „Heinrich V.“ vor, den er gerade übersetzt hat. Mit dem Stück ist seinerzeit Shakespeares Globe eröffnet worden. Damals, als unten die Groundlings soffen und hurten und sich oben der Adel amüsierte, stand das hölzerne O für eine Kunst, zu der Woesner und Leonard zurückwollen: „Volkstheater in seinem besten, ursprünglichen Sinne“.
Mehr über das Berliner Globe-Projekt hier.
Patrick Wildermann