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Kultur: Ein Haus, ein Königreich für ein Haus

Roland Emmerich überlässt der Shakespeare Company ein Theater – wie sie es nutzen kann, ist unklar

Das Theater stand in einer übel beleumdeten Gegend, im Bermudadreieck der pubs, prisons & prostitutes, der Kaschemmen, Knäste und Kokotten. Wenn gerade kein Stück gespielt wurde, fanden hier vermutlich Hahnenkämpfe statt, und auch während der Vorstellungen ging es rund. Vor allem auf den billigen Plätzen, dort wo die groundlings standen, jenes Theaterfußvolk, das einen Penny Eintritt zahlte, bei Missgefallen gerne mal mit Picknickresten nach den Schauspielern warf und deshalb permanent bei Laune gehalten werden musste. Shakespeares originales Londoner Globe Theatre am Themseufer, so wie es die Kenner des elisabethanischen Zeitalters schildern, muss ein herrlich unheiliger Amüsierbetrieb gewesen sein.

Die Theaterzwanglosigkeit des frühen 17. Jahrhunderts ist heute nicht mehr wiederzubeleben, Shakespeares Bühne schon. Rund um die Welt existieren etliche Globes, als Rekonstruktion oder Replik, das berühmteste besitzt London, allein in Deutschland stehen drei Nachbauten. Bloß die Hauptstadt hat noch keins. Christian Leonard, der künstlerische Leiter der Shakespeare Company Berlin, ist der Mann, der das zu ändern versucht. Seine Truppe steht für ein international ausgerichtetes Volkstheater, das Gegenwart ohne Dekonstruktion will, das in Leonards eigene Bearbeitungen mit wenigen Schauspielern, freudvollem Geschlechterrollentausch und live gespielter Musik die Essenz der Shakespeare-Stücke zu fassen versucht. Er sagt, sie sähen sich in der Tradition des Thespiskarrens, des Markplatztheaters, das unmittelbar für den Moment funktionieren muss. Der ideale Geist für Shakespeares „wooden O“, diesen mehrstöckigen Rundbau mit maximaler Nähe zwischen Spielern und Zuschauern und minimalem Dynamikverlust. Christian Leonard, der nach Berlin kam, weil ihn die „Energie des Möglichen“ anzog, kämpft seit über zehn Jahren für sein Globe. Und so, wie er es sieht, könnte er bald am Ziel sein.

Über einen symbolischen Spatenstich ist das Projekt bis dato nie hinausgekommen. Auf einer Brache an der East Side Gallery fand der statt, anno 2004, am 23. April, Shakespeares Geburtstag. Vorausgegangen war eine aufwendige Standortsuche, die Klaus Wowereit persönlich unterstützt hatte, aber statt des Globe kam dann nur das Shake!, ein Zelt, das der Company einige Jahre als Hauptspielort diente, während sie Sponsoren für ihr Vorhaben suchte. Schon das erste Stück der Berliner, „Shakespeare Love Songs“, 2001 vor der Alten Nationalgalerie aufgeführt, war im Grunde nichts anderes als ein bunt kostümierter Spendenaufruf, es handelte von einer Theatergruppe, die Geldgeber für ein eigenes Haus sucht.

Die frühen Globe-Pläne, räumt Leonard ein, waren teils allerdings eine Spur zu ehrgeizig. Die Statik-Koryphäen Schlaich, Bergermann und Partner etwa hatten einen Glastempel entworfen, der 7,2 Millionen Euro verschlungen hätte. Also schraubte man die Ansprüche zurück. Aus einem Architektenwettbewerb an der TU gingen die Blaupausen für ein moderates 500-Plätze-Haus hervor, Kosten: eine Million Euro, es ist das Globe, das die Shakespeare Company noch heute zu realisieren beabsichtigt – für das aber ebenfalls nie die nötigen Mittel akquiriert wurden. „Wir hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert“, seufzt der künstlerische Leiter.

Christian Leonard, am Max-Reinhardt- Seminar ausgebildeter Schauspieler, bezeichnet sich selbst halb scherzhaft als „Unternehmerpersönlichkeit der fünfziger Jahre, nur ohne dicken Bauch und Zigarre“. Er hat eine Viertelmillion eigenen Geldes in die Company investiert, er hat in den Anfangstagen sein fast neues Auto verkauft, um die Schauspieler bezahlen zu können. Seine Gruppe erhält bis heute keinen Cent Subventionen, unter der Hand wird ihm beschieden, man fördere schon genug Shakespeare in der Stadt.

Die Gruppe, die eine Handvoll Produktionen mit jeweils eigenen Ensembles im Repertoire hat, überlebt trotzdem. Ihr Geld verdient sie zumeist auswärts, auf Tourneen, eine Produktion wie „Romeo und Julia“, Leonards erste eigene Regie, ist bis ins Jahr 2012 verkauft. „Wenn wir nur Gastspiele hätten, könnten wir sogar reich werden“, sagt Leonard, aber in Berlin, wo die Company zuletzt zwischen Shake! und Komödienhaus im Pfefferberg nomadisierte und mittlerweile im Heimathafen Neukölln verankert ist, müssen sie nicht geringe Summen in Werbung investieren, und in Mieten. Bislang.

Nun schlägt die Gunst der Stunde. Roland Emmerich, der schwäbische Katastrophenfilm-Regisseur („Independence Day“, „2010“), hat in Babelsberg den Shakespeare-Thriller „Anonymous“ gedreht, für den auch ein Globe Theater gefertigt wurde. Leonards Company, zu Teilen im Cast vertreten, könnte die Kulisse übernehmen (siehe Tsp vom 8.7.). Sony Pictures würde den Ab- und Wiederaufbau finanziell unterstützen. Um die 400 000 Euro würde das kosten, Leonard rechnet mit dem Doppelten, denn die Filmstraße, die zum Globe führt, will er gleich mitnehmen und in ein interaktives Museum verwandeln. Er hat überhaupt große Pläne: Ihm schwebt eine Bespielung von Mai bis September vor. Warum nicht? Zumindest im Sommer ist Berlin weitgehend Theaterdiaspora, Konkurrenz hätte das Globe allein durch das Hexenkessel Hoftheater mit seinem Amphitheater im Monbijoupark. Die beiden Gruppen sind sich nicht sonderlich gewogen, unter anderem hatten sie mal einen Streit um den Namen Shakespeare Company. Aber ihre Spielweisen und Programme sind unterschiedlich und die Stadt ist groß genug.

Leonard plant bereits Partner-Companys ein, die er mit ins Globe holen will, er hat Ideen für Festivals, auch dem „European Shakespeare Festival Network“ würde er gern beitreten, das Rainer Wiertz mitgegründet hat, der künstlerische Leiter des Globe Theaters in Neuss, dem der potenzielle Kooperationspartner „hochwillkommen“ wäre.

Es war CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer, der vorschlug, das Babelsberger Globe doch auf den Schlossplatz zu stellen. Eine Idee, der augenblicklich allseitige heftige Ablehnung entgegenschlug, obwohl Christian Leonard verspricht, drei Spielzeiten würden ihm ja genügen, um die Marke Globe zu etablieren und genügend Mittel für den eigenen Bau an anderer Stelle zu gewinnen. Im Zweifel aber legen die Berliner Politiker das Schellack-Schätzchen von Jupp Schmitz auf, „Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld“, wogegen Leonard hält: „Es kostet die Stadt nichts, es schafft Arbeitsplätze, und Berlin wäre um eine Attraktion reicher.“

Kulturstaatssekretär André Schmitz will sich zur Causa Shakespeare Company derzeit überhaupt nicht äußern, aus seinem Büro ist auch nicht zu erfahren, wer eigentlich die letzte Entscheidungsgewalt über die Nutzung des Schlossplatzes hat, der ja zu Teilen dem Bund und zu Teilen dem Land Berlin gehört. Sicher hingegen ist man sich in der Verwaltung der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer: Erstens ist sie zuständig, zweitens wird es „eine private, kommerzielle Nutzung“ des Platzes nicht geben. Ein klares Nein zum Globe.

Christian Leonard sagt, im September werde eine Sponsoren-Gala in dem Babelsberger Bau stattfinden, er spricht davon, dass die Bürger sich überlegen müssten, was ihre Kultur ihnen wert sei und dass beispielsweise die New Yorker Met ohne Fundraising-Galas gar nicht existieren könnte. Er ist nicht nur Unternehmer, sondern auch Idealist alter Schule. Nach der Sommerpause will er mit den Politikern sprechen. Im Februar, wenn „Anonymous“ auf der Berlinale gezeigt werden soll, könnte das Globe seiner Ansicht nach stehen und im April eröffnet werden – am 23. natürlich.

Patrick Wildermann

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