Schaubühne als Globe Theater: Der Narr in dir
Die Schaubühne wird zum Globe Theater: Thomas Ostermeier und Lars Eidinger zur Inszenierung von Shakespeares „Richard III“.
Theater wie zu Shakespeares Zeiten? Klingt nach Kostümen der Epoche und parfümierten Versen. Tatsächlich würde es aber bedeuten, dass sich zu ebener Erde besoffene Schlachter, Matrosen und andere derbe Gesellen drängen, die Groundlings, die einen Penny Eintritt gezahlt haben, über frivole Anspielungen johlen und auch gern mal mit fauligem Gemüse werfen. Während oben, auf den Galerien, die feinen Herrschaften sich an den kunstfertigen Metaphern und Bildern ergötzen, die der Dichter ihnen zuliebe ins Stück gewoben hat. So ging’s wohl zu in William Shakespeares Zwei-Klassen-Globe an der Themse. Selbst Sex im Theater war kein Tabu. Unter die Groundlings mischten sich als Orangenmädchen verkleidete Prostituierte, die bei laufender Vorstellung zu Werke gingen.
„Können wir leider nicht bieten“, scherzt Thomas Ostermeier.
Der Intendant der Schaubühne am Lehniner Platz steht auf der obersten Galerie des elisabethanischen Theaters, das der Bühnenkünstler Jan Pappelbaum in den kleinen Saal C des Hauses gebaut hat. Die übereinandergestaffelten, mit metallenem Geländer versehenen Sitzreihen umschließen im Halbkreis eine sandbedeckte Bühne. Die Arena, in der bald Ostermeiers Shakespeare-Inszenierung „Richard III.“ mit Lars Eidinger in der Titelrolle Premiere haben wird.
„Es geht nicht darum, eine Stimmung wie zu Shakespeares Zeiten zu schaffen. Wir können ja nicht das Publikum inszenieren“, sagt der Regisseur. Auch an historischer Genauigkeit ist ihm nicht gelegen. Er will eben nicht die Touristenfolklore, die beispielsweise in London geboten wird. „Dieses Globe konzentriert die Energie ganz anders als eine Guckkastenbühne und zwingt den Spieler in die Konfrontation mit dem Publikum. That’s all“. Man soll von jedem Platz aus das Gefühl haben: „Wenn ich die Hand ausstrecke, kann ich die Schauspieler anfassen“. Ostermeier schaut hinab, aus mehr als sechs Metern Höhe. „So ein Raum hat doch Drama. Steil, abgründig, monumental, majestätisch“.
Ganz wie das Stück also, das dieses Schaubühnen-Globe einweihen wird, „Richard III.“. Die Tragödie eines verkrüppelten Außenseiters, der sich auf den Thron mordet.
Das Gespräch wird in Ostermeiers Intendanzzimmer verlagert, Lars Eidinger stößt dazu. Fotos von den Proben werden gezeigt. Eidinger in Strumpfhosen, mit umgeschnalltem Buckel, die Haltung schief. Im Grunde wie bei Shakespeare beschrieben. „Wir waren uns schnell einig, dass der größte Reiz ist, Richard auch tatsächlich behindert zu zeigen“, sagt Eidinger. Weil es etwas erzählt über diesen Mann, der sich benachteiligt glaubt, von der Natur und den Emporkömmlingen um ihn herum, für die er in den Rosenkriegen die Drecksarbeit erledigen durfte.
Das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, kenne im Grunde jeder, beschreibt Thomas Ostermeier den emotionalen Andockpunkt fürs Publikum bei Richards Rachefeldzug. „Ich habe mich früher auch zurückgesetzt gefühlt. Ich fand mich zu groß. Ich hatte nicht das Motorrad, das man brauchte, wenn man in Niederbayern auf dem Land etwas gelten wollte. Meine Eltern konnten mir nicht die Markenklamotten kaufen, die andere hatten“. Nur trage Shakespeares Titelheld die Ressentiments eben schon im Körper.
Ostermeier und Eidinger haben den Schaubühnen-Hit "Hamlet" geschaffen
Er habe, erzählt Eidinger, ein Zitat von Charles Manson gelesen, das er für die Figur sehr treffend finde: „Schau auf mich hinab, und du siehst einen Narren. Schau zu mir auf, und du siehst einen Gott. Schau mich an und du siehst dich selbst“.
„Richard III.“ steht unter einem besonderen Stern. Weil Ostermeier und Eidinger ja zusammen diesen „Hamlet“ gemacht haben, der seit 2006 in über 230 Vorstellungen gelaufen ist, rund um die Welt zu sehen war und quasi zum Schaubühnen-Emblem geworden ist.
„Kennen Sie das Foto der Frau, die sich Lars Eidinger als Hamlet auf den Unterarm hat tätowieren lassen?“, fragt Ostermeier. Holt sein Mobiltelefon raus und zeigt’s. „Sie war bestimmt 15 Mal in der Vorstellung. Sie hatte mich übers Internet kontaktiert, ob ich ihr Fotos schicken könne, die sich anbieten würden“, erzählt Eidinger über die Verehrerin. „Ich habe ihr abgeraten, sie sollte sich doch lieber einen Spruch aus ‚Hamlet’ tätowieren lassen, der ihr gefällt“.
Wie geht man um mit den Erwartungen, die auf der Shakespeare-Fortsetzung liegen? „Uns war klar, wenn wir jetzt ‚Richard III.’ machen, wird uns unterstellt, dass es eigentlich ‚Hamlet II’ ist“, sagt Lars Eidinger. „Ich sehe die Erfahrung von ‚Hamlet’ aber nicht als Hürde, sondern als Vorsprung.“
„Während der ‚Hamlet’-Proben dachten wir ja auch nicht fortwährend: wow!“, wirft Ostermeier ein.
Der Saal hat jetzt knapp 300 Plätze statt bisher 170
Das, was diese Inszenierung berühmt gemacht hat – die unberechenbaren Ausstiege Eidingers als paranoider Dänenprinz im Nahkampf mit dem Publikum – entstand zum größten Teil auch erst nach und nach, während der Vorstellungen.
Wobei es Eidinger wichtig ist zu betonen, dass seine Hamlet-Eskapaden eben nicht gegen eherne Werktreue-Gesetze verstoßen: „Die Improvisationen, die Freiheit, auch auf den Zwischenruf eines Zuschauers zu reagieren, sind im Geiste Shakespeares.“
Abwarten, ob „Richard III.“ ein ähnlicher Trip wird. Eidinger ist klug genug, sich das offenzuhalten.
Eine Woche später, Probe im Schaubühnen-Globe. Knapp 300 statt wie bisher 170 Plätze hat der Saal C jetzt. Der Umbau hat eine sechsstellige Summe gekostet, zu einem guten Teil privat finanziert, unter anderem durch den Freundeskreis der Schaubühne. Thomas Ostermeier plant weitere Shakespeare-Inszenierungen hier, auch andere Regisseure werden das Globe nutzen, nicht nur für Klassiker.
Und für Gastspiele werden einige internationale Partner der Schaubühne den Raum wohl nachbauen. Die Sponsoren des Pariser Odéon Théâtre de L’Europe schauen sich die dritte Aufführung in Berlin an und entscheiden dann, ob es das Geld wert ist. Für Ostermeier keine Frage. „Von einigen Literaturwissenschaftlern wird ja die These vertreten, dass wir viel von der dramatischen Literatur erst verstehen, wenn wir wissen, für welche Architektur sie geschrieben wurde. Beim griechischen Theater trifft das zu. Und auf jeden Fall beim elisabethanischen“.
Auftritt Eidinger und Kollegen. Party gleich zu Beginn. Während die Aufsteiger und Parvenüs aus dem Hause York zu Elektro-Artrock und Live-Schlagzeug das rauschende Fest ihres Sieges feiern, wandert Außenseiter Richard ruhelos im Rund. Schnappt sich dann das von der Decke herabhängende Mikrofon und spricht den berühmten ersten Satz in der Neuübersetzung des Schaubühnen-Autors Marius von Mayenburg: „Jetzt wurde der Winter unserer Erniedrigung zu strahlendem Sommer durch diesen Sohn der Yorks …“. Der Raum funktioniert, keine Frage. Das hat Kraft. Nah dran an Shakespeare.
Schaubühne, „Richard III.“: Premiere am 7.2., 19.30 Uhr, nächste Vorstellungen: 9./10.2 und 28.2., weitere im März
Patrick Wildermann
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