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Kultur: Meine Hütte ist ein Sarg

Die Berliner Kunst-Werke zeigen die Raumkapseln des früh verstorbenen Minimalisten Absalon

Die Geschichte endet tragisch: Eigentlich ist Abschalom ein Lieblingssohn König Davids, doch er rebelliert gegen den Vater, zieht gegen ihn in den Krieg. Seine Truppen werden geschlagen, er selbst verfängt sich mit seinen Locken im Baum und wird vom Hauptmann König Davids getötet. Absalon, das klingt nach nom de guerre, doch für den jungen Israeli, der 1987 noch als Meir Eshel zum Studium an der Ècole Nationale Supérieure d’Arts nach Paris kam, wurde er zum Künstlernamen. Lange Locken besaß auch der Kunststudent aus Aschdod, einer Stadt südlich von Tel Aviv, ebenso die Entschlossenheit, gegen die Tradition aufzubegehren. Was der 23-Jährige nicht ahnen konnte: dass auch für ihn dieser Kampf tödlich enden würde. Mit 28 Jahren stirbt er an Aids.

Absalon, das ist heute in der Kunstwelt ein Name, der aufhorchen lässt. Wer seine Arbeiten einmal gesehen hat, wie auf der Documenta 9 Anfang der neunziger Jahre, der vergisst sie nicht. In Berlin sind sie dauerhaft präsent: Durch die Flick Collection gelangte eine seiner begehbaren Zellen, die wie die Eremitenklause eines Bauhäuslers wirken, in den Hamburger Bahnhof, außerdem das Video „Bruits“, bei dem der Künstler so lange in die Kamera schreit, bis ihm die Stimme versagt. Zuletzt wurden beide Arbeiten zusammen mit Werken Bruce Naumans gezeigt, denen sie ebenbürtig sind.

In ihrer Klarheit, ihrem Minimalismus wirken diese Werke wie aus der Zeit gefallen. Die blendend weißen „Cellules“ könnten aus den Zwanzigern und Dreißigern stammen, ebenso aus den Sechzigern und Siebzigern, aber auch aus der jüngsten Gegenwart. Absalon, der Name steht für ein ebenso rätselhaftes wie luzides Oeuvre, das schon im Moment seiner Entstehung die Strenge und Schönheit eines Klassikers besaß. Fast zwei Jahrzehnte nach seinem Tod hat sich Susanne Pfeffer, Kuratorin der Berliner Kunst-Werke, an die Aufarbeitung gewagt und sein vornehmlich auf französische Museen verteiltes Werk zu einer ersten Retrospektive zusammengetragen. Vermutlich wird es auch die letzte große Ausstellung sein, denn die aus Pappe, Kistenholz und Kork gefertigten Arbeiten sind so fragil, dass sie kaum mehr entliehen werden dürften.

Scheinbar spielerisch findet Absalon seinen künstlerischen Weg. Er wohnt zunächst mit dem Onkel in einer winzigen Wohnung, deren Möbel er weiß übermalt und umarrangiert. Dieser Ansatz kehrt in allen künftigen Arbeiten wieder, immer weiter abstrahiert und doch nah am alltäglichen Leben. Der Bezug zur Praxis steckt in sämtlichen Werken des jungen Künstlers, der mit seinen Zellen in gewisser Hinsicht neue Wohnformen ausprobiert: fern aller Überladenheit, spartanisch im lichten Weiß, als wär’s die Behausung eines Einsiedlers der Moderne.

Sechs solcher „Cellules“ hat Absalon gebaut, mit denen er mitten in sechs Städten wohnen wollte: Zürich, New York, Tel Aviv, Frankfurt, Tokio und Paris. „Sie sind keine Lösungen für Isolation. Sie sind gemacht, um das Soziale zu leben“, hat der Künstler gesagt. Ihm gelang es nur, die Modelle zu vollenden. In der großen Ausstellungshalle der Kunst-Werke sind sie nun wieder aufgebaut und wirken wie eine Mischform aus Architektur und Skulptur. Rechteck, Dreieck, Kreis wiederholen sich in diversen Kombinationen, mal groß, mal klein. Doch sind die abstrakten Formen nie zweckfrei zusammengestellt, sondern dienen bestimmten Funktionen, die im Inneren der Gehäuse verborgen sind.

Wer die kleinen, in ihrer Deckenhöhe 175 Zentimeter großen Wohneinheiten betritt, findet in allen Bett, Tisch, Waschbecken, Dusche, Schrank und Bücherregal, nur unterschiedlich kombiniert. Etwas Unheimliches haftet ihnen an: Eigentlich wirken sie weniger wie Wohnräume als wie Grabkammern, ein Eindruck, der sich im zweiten Obergeschoss der Kunstwerke noch verstärkt, wo mit Deckeln verschließbare „Cellules“ aufgebaut sind. Von innen sind sie mit Neonröhren beleuchtet, was ihnen ein überirdisches Strahlen verleiht.

Absalons Zellen sind transitorische Räume, Kapseln, die in einen anderen Seinszustand überführen. Vor dem Hintergrund seiner Krankheit gewinnt diese Bestimmung weitere Bedeutung. Seit jeher fasziniert das Werk eines Künstlers, der früh verstorben ist, um sein nahendes Ende weiß. Das Existenzielle wirkt ihrem Schaffen noch intensiver eingeschrieben. Bei Absalon verdichtet sich dieser Eindruck noch einmal. Sein Werk entfaltet sich innerhalb von gerade drei Jahren, der Großteil entsteht in den letzten Lebensmonaten. Die Ernsthaftigkeit, Disziplin der Arbeiten zeugt davon, dass er ahnte, wie wenig Zeit ihm blieb.

Allerdings sollte man Absalons Schaffen nicht vom Ende, sondern vom Anfang her betrachten: Als 14-Jähriger geht der älteste Sohn einer sechsköpfigen Familie auf ein Militärinternat in Haifa, die Offizierslaufbahn scheint vorherbestimmt. Doch nach drei Jahren bei der Luftwaffe bricht er die Ausbildung ab, baut sich eine Holzhütte am Strand von Aschdod, wo er eine Teestube betreibt. Die Erfahrungen des Krieges im Libanon haben ihn zutiefst erschüttert. Mit der Ausreise ins ferne Paris scheint er möglichst viel Distanz zwischen sich und die Erinnerung bringen zu wollen.

Seine systematischen Untersuchungen abstrakter Formen wirken wie ein Purgatorium. Alles wird neu erdacht, erfunden, befreit vom Ballast vergangener Zeit. Es ist kein Zufall, dass die „Zellen“ auch an Bauhaus-Architektur erinnern. In Tel Aviv steht eine Vielzahl von Villen, die von emigrierten Bauhäuslern entworfen wurden. Auch diese Bauten verkörpern eine Sehnsucht nach der neuen Zeit, ohne wilhelminische Überformungen. Auch sie sind eine Huldigung an Licht, Luft und Freiheit.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 20. 2.; Di-So 12-19, Do bis 21 Uhr.

Nicola Kuhn

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