Goldener Bär für Mohammad Rasoulof: „There Is No Evil“ findet starke Bilder gegen das iranische Regime
Regisseur Mohammad Rasoulof ist mit seinem autobiografischen Drama in den Wettbewerb eingeladen, darf aber nicht ausreisen. Der Bären-Gewinner.
Ein Gefängnisangestellter auf seiner täglichen Route durch Teheran. Nach der Nachtschicht holt er seine Frau von der Arbeit ab, dann die Tochter von der Schule, zwischendurch halten sie bei der Bank. Ein junger Soldat in der Nacht vor seinem ersten Tötungsbefehl; seine Gewissensbisse verstricken ihn und die Kameraden in eine moralische Diskussion.
Ein anderer junger Soldat unternimmt einen Kurztrip in die Provinz, weil er um die Hand seiner Freundin anhalten möchte. Die Trauer um einen befreundeten Dissidenten, der vom Regime hingerichtet wurde, überschattet jedoch das Wiedersehen. Und zuletzt eine iranische Studentin, die aus Hamburg ihren Onkel im Iran besucht. Dort erwartet sie ein Familiengeheimnis.
„There is No Evil“ des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof besteht aus vier Episoden, die sich in 150 Minuten zu einer manchmal auch wortgewaltigen Meditation über Moral, Schuld und Zivilcourage verdichten. In vier Variationen geht es um die Frage, welchen Preis das Individuum innerhalb eines totalitären Staates für den persönlichen Frieden – und ein reines Gewissen – zu zahlen bereit ist. Wie bewegt sich ein Mann, der beruflich per Knopfdruck Menschen exekutiert, durch den Alltag mit seiner Familie? Oder: Sind drei extra Tage Freigang ein Menschenleben wert?
Eine wütende Stimme des iranischen Kinos
Rasoulof gehört zu den nachdrücklichsten Stimmen im iranischen Kino – darum bleibt sein Stuhl bei der Weltpremiere am Freitagabend demonstrativ leer. Er hat keine Reiseerlaubnis erhalten. Das weckt Erinnerungen an die Berlinale 2011, als Rasoulofs Landsmann Jafar Panahi der Jury fernbleiben musste, nachdem ihn das Regime zu sechs Jahren Haft verurteilt hatte. Sein leerer Platz war während des Festivals ein Mahnmal für die Menschenrechte.
Allein die Existenz von „There is No Evil“ ist ein mittleres Wunder, woran auch die undurchsichtige iranische Justiz ihren Anteil hat. 2017 wurde dem zwischen Hamburg und Teheran pendelnden Rasoulof der Pass abgenommen, „There is No Evil“ ist – trotz staatlicher Repressalien – seine Rückkehr auf die Bühne des Weltkinos. Und ein Stinkefinger in Richtung Regime, wenn auch der Tonfall bei aller Deutlichkeit weniger wütend ist als im Vorgängerfilm.
Die Schwierigkeiten, die Rasoulof in seiner Heimat hat, lassen sich gut an seinem Werk der vergangenen zehn Jahre ablesen. Ähnlich wie seine Kollegen Abbas Kiarostami, Mohsen Makhmalbaf und Bahman Ghobadi machte er sich international einen Namen durch seinen poetischen Wirklichkeitszugang – nichts beschönigend, aber universal und metaphorisch.
Seit seiner ersten Festnahme 2010 (gemeinsam mit Panahi) sind seine Filme wie "Manuscripts don't Burn" politischer, radikaler geworden. Unverhohlen. Diese Doppelrolle als Künstler und Aktivist thematisiert Rasoulof in der vierten und stärksten Episode, die trotz ihres Manifest-Charakters nahe geht.
Jahrelang pendelte Rasoulof zwischen Hamburg und Teheran
Die Tochter des Arztes, der zurückgezogen in den Bergen lebt (auch für den Regisseur die einzige Möglichkeit, weiter unbeobachtet zu arbeiten), wird von Rasoulofs Tochter Baran gespielt. Die junge Frau klagt ihren Vater an, ob seine politische Überzeugungen es wert seien, fern von der Familie zu leben.
Baran Rasoulof lebt mit ihrer Mutter seit fast zehn Jahren in Hamburg, in Sicherheit vor dem Regime. Damit Vater Mohammad in der Heimat weiter regimekritische Filme drehen kann. In der zweiten Episode wird der junge Soldat von seinen Kameraden dafür kritisiert, dass er sich von dem Tötungsbefehl freizukaufen versucht. Der Verurteilte würde trotzdem sterben, sein Gewissen sei dadurch nicht reiner.
Carlo Chatrian hatte vor der Berlinale davon gesprochen, dass man Filme bei Preisverleihungen anhand vergleichbarer Kriterien bewerten müsse. Aber wie will man ein politisches Werk, das ohne Rücksicht auf das eigene Leben realisiert wurde, mit Filmen vergleichen, die im Schutz einer Filmindustrie entstanden? In der Kosslick-Ära wäre ein Film wie „There is No Evil“ ein sicherer Bären-Kandidat gewesen; Chatrian setzt dessen Tradition dissidenter iranischer Filme fort.
Am heutigen Samstag wird sich zeigen, ob auch er das Politische über die Kunst stellt. Kosslick wurde teilweise dafür kritisiert, dass Panahi 2015 mit „Taxi Teheran“ den Goldenen Bären gewann. Ungerechtfertigterweise: „Taxi“ ist – mehr als „There is No Evil“ – auch erzählerisch und künstlerisch überzeugend.
Viele Bären-Kandidaten drängen sich nicht auf
Chatrian hat es der Jury um Jeremy Irons aber auch nicht gerade leicht gemacht. Die „Altmeister“ Philippe Garrel, Hong Sangsoo, Abel Ferrara und Rithy Panh brachten nicht ihre stärksten Filme mit nach Berlin, auch das deutsche Kino hat schon bessere Jahrgänge erlebt.
Christian Petzolds „Undine“ macht noch einmal schmerzlich bewusst, wie ungerecht es war, dass er 2018 mit „Transit“ leer ausging. Welket Bungué, der Hauptdarsteller aus „Berlin Alexanderplatz“ hat dagegen berechtigte Aussichten auf den Preis für den besten Darsteller.
Kein Bauer-Preis mehr für die Filmkunst
Interessant dürfte werden, wie die Jury die Streichung des Alfred-Bauer-Preises für „neue Perspektiven der Filmkunst“ kompensieren wird. Die zwei möglichen Kandidaten „Dau.Natasha“ (wie immer man persönlich auch zu Khrzhanovskiys Film steht) und Tsai Ming-Liangs „Days“ – so elegisch und berührend wie „Slow Cinema“ nur sein kann – drängen sich für den Hauptpreis nicht gerade auf.
Bleiben fast nur, allerdings hochverdient, zwei Regisseurinnen, die ohne Weltpremieren um Bären konkurrieren: Kelly Reichardt mit „First Cow“ und Eliza Hittman mit „Never Rarely Sometimes Always“. Beides politische Filme, die ihre Botschaft nicht vor sich hertragen.
Eine Gewinnerin zum 70. Jubiläum wäre auch die Fortsetzung einer anderen Kosslick-Tradition. Dem allerdings hätte die Presse wohl kaum eine Siegerin ohne Weltpremieren-Status durchgehen lassen. So eine kritische Entscheidung könnte auch ein Gradmesser dafür sein, ob Carlo Chatrian die Berliner mit seinem Charme schon für sich eingenommen hat.
29.2., 10 Uhr (HdBF) und 12.30 Uhr (FSP), 1.3., 21.30 Uhr (HdBF)