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Verschleppt. Der Dichter Kiran wird entführt, er soll verraten, wo das Manuskript eines Freundes versteckt ist. Die Namen der Schauspieler bleiben anonym, alles andere wäre zu gefährlich.
© Peripher Filmverleih

Iranischer Film "Manuscripts Don’t Burn": Der Mensch ist des Menschen Hölle

Nach Jafar Panahis "Taxi Teheran" noch ein heimlich gedrehter iranischer Film: Mohammad Rasoulofs erschütternd stiller Politthriller „Manuscripts Don’t Burn“, basierend auf einer wahren Geschichte.

Folterszenen im Kino sieht man nicht gerne. Diese hier ist bei Weitem nicht so grausam wie das, was man aus Agentenfilmen oder von George Clooney im Politthriller „Syriana“ kennt. Aber sie verfolgt einen bis in den Schlaf. Mit Plastiktüte über den Kopf geht dem Opfer langsam die Luft aus; die dünne schwarze Folie schmiegt sich an das Gesicht an, immer enger und enger, an Mund, Nase, Augen, bis sich Plastik-Hasenohren an der Seite bilden, ein unerträglich banaler Anblick. Die Grausamkeit liegt im lächerlichen Anblick des Opfers. Fast bis zum Schluss hält der Film seine Identität geheim .

Die beiden Folterer sind selber arme Schlucker. Der eine, Khosrow, hat einen kranken kleinen Sohn und kann die Klinik nicht bezahlen. Stoisch erledigt er seinen Job, womit soll er sonst Geld verdienen. Immer wieder checkt er den Kontostand am Geldautomaten, aber sein Honorar trifft nicht ein, und dem Sohn geht es täglich schlechter. Khosrow und sein Kollege Morteza hantieren mit Seil, Heftpflaster, Wäscheklammer, einem kleinen Taschenmesser. Sie sind niedere Schergen.

Wie Jafar Panahi wurde auch Rasoulof zu sechs Jahren Haft verurteilt

„Manuscripts Don’t Burn“ ist – nach Jafar Panahis „Taxi Teheran“ – ein weiterer iranischer Film ohne Namen im Abspann. Es wäre zu gefährlich, die Beteiligten zu nennen. Nur der Regisseur bleibt nicht anonym: Mohammad Rasoulof wurde wie Panahi 2010 verhaftet, auch er wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, auch er musste die Haftstrafe bis heute nicht antreten. Rasoulof, Jahrgang 1972, kann sogar wieder reisen und pendelt zwischen Hamburg und Teheran. „Manuscripts Don’t Burn“ ist sein fünfter Spielfilm.

Eine schlichte Erzählung, eine Rückblende in die 90er Jahre. Ruhige Kamera, karge Landschaft, verlebte Wohnungen, fast keine Filmmusik. Rasoulofs Film entfaltet seine Kraft aus der Stille, dem Understatement, mit einer Wucht, die einen wie aus dem Hinterhalt trifft. Es ist ein Ausreiseantrag, so stellt sich nach und nach heraus, der das Drama in Gang setzt. Kasra, ein alter Schriftsteller, will weg aus dem Iran, er hat lange gekämpft, sich gewehrt, jetzt ist er resigniert, will zu seiner Tochter ins Ausland. Seinem früheren Freund aus Gefängniszeiten, jetzt ein hohes Tier beim Geheimdienst, schlägt er einen Deal vor, einen Tausch: das Manuskript seiner Memoiren gegen die Ausreise.

Denn in Kasras Memoiren mit dem sarkastisch-selbstironischen Titel „Vom ereignislosen Leben eines gefeuerten Lehrers“ wird eine wahre Geschichte geschildert, aus der Zeit der sogenannten Kettenmorde. Dutzende iranische Intellektuelle und Dissidenten kamen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auf mysteriöse Weise ums Leben, viele davon ausgerechnet unter dem Reform-Präsidenten Khatami. Kasra war bei einem der frühen Anschläge dabei, dem Bus-Attentat im August 1996. 21 Autoren, Übersetzer und Journalisten fuhren mit dem Bus zu einem Schriftsteller-Kongress nach Armenien. In den Bergen im Norden des Landes steuerte der Fahrer den Bus auf eine Schlucht zu, um in letzter Sekunde hinauszuspringen. Der Versuch misslang, der Fahrer entschuldigte sich mit angeblicher Müdigkeit – und versuchte es gleich wieder. Einmal konnten Insassen die Bremse betätigen, einmal verhinderte offenbar ein Felsbrocken den Absturz. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

"Manuscripts Don't Burn" ist auch eine Parabel über systematische Isolation

Kasra hat Kopien seines Manuskripts bei zwei Freunden versteckt, bei dem aufbrausenden Schriftsteller Forouzandeh, der im Rollstuhl sitzt, sowie bei Kiran, dem depressiven Dichter, der verbotenen Wodka zu Forouzandeh in die Wohnung schmuggelt. Kasra denkt, er ist clever. So viele Augenzeugen, das Regime kann sie nicht mundtot machen. Aber er unterschätzt dessen Kaltblütigkeit, die verheerenden Folgen von totaler Überwachung, Paranoia, Verrat, Verschleppung, Totschweigen. Im Film ist es der frühere Busfahrer, der mit der diskreten Beseitigung der Zeugen betraut ist. So viel ist bekannt: Der Fahrer von 1996 hieß Khosrow Barati und war tatsächlich Geheimdienstler.

„Manuscripts Don’t Burn“ ist eine Parabel über Entfremdung und Isolation – Ton und Bild stehen oft disparat zueinander –, teilweise heimlich gedreht. 2013 wurde der Film in Cannes uraufgeführt. Dort war 2011 bereits Rasoulofs „Good Bye“ gelaufen, ein ebenfalls in schlichten Bildern erzähltes, offen regimekritisches Politdrama über eine angehende Anwältin, die genau wie Kazra ausreisen will. Lieber fremd in der Fremde als fremd im eigenen Land, sagt sie einmal, wird eigens schwanger – weil das die Ausreisegenehmigung angeblich befördert – aber vergeblich. Das Visum wird ihr verweigert.

Morteza und Khosrow, die beiden Geheimdienstler, erledigen "Aufträge": Sie entführen, foltern, morden - und sind selber arme Schlucker. Die Namen der Schauspieler werden im Abspann nicht genannt, aus Sicherheitsgründen.
Morteza und Khosrow, die beiden Geheimdienstler, erledigen "Aufträge": Sie entführen, foltern, morden - und sind selber arme Schlucker. Die Namen der Schauspieler werden im Abspann nicht genannt, aus Sicherheitsgründen.
© Peripher Filmverleih

Der Mensch ist des Menschen Hölle, wenn die Unfreiheit überhand nimmt. Die Gutgläubigkeit der Schriftsteller, ihre innere Emigration mit den heimlichen Trinkgelagen mögen für den Zuschauer eine Erlösung sein, als kurzer humorvoller Lichtblick in der Finsternis. Den Protagonisten wird sie jedoch zum Verhängnis.

Eigentlich geschieht nicht viel in diesem Männergesellschafts-Kammerspiel. Zwei Männer fahren in einem klapprigen Auto durch die Gegend und erledigen ihre „Aufträge“, auch wenn den einen manchmal Skrupel befallen: Ob sein Sohn für seine Taten bestraft wird? Drei weitere hocken zu Hause und hadern mit ihrem Vergessensein: Der Held der Jugend heißt jetzt Steve Jobs. Aber es gibt keinen Ausweg. Es ist die unerbittliche Logik der Diktatur, die Rasolouf dem Vergessen entreißt. Ein bedrückender, mutiger, schrecklich wahrer Film.

Ab Donnerstag im fsk am Oranienplatz (OmU und OmenglU)

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