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Ersan Mondtag hat das doppelstöckige Bühnenbild für sein Stück "Das Internat" selbst geschaffen.
© Birgit Hupfeld

Regisseur Ersan Mondtag im Gespräch: „Theater ist Ausnahmezustand“

Regisseur Ersan Mondtag über das Arbeitsklima an der Bühne, die eigene Wut – und warum sein zum Theatertreffen eingeladenes Stück nicht zu sehen ist.

Der junge Berliner Theaterregisseur Ersan Mondtag ist mit der Inszenierung „Das Internat“ vom Schauspiel Dortmund zum dritten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, das am Freitag eröffnet wird. Leider kann die Produktion, für die Mondtag im Rahmen des Festivals am 4. Mai auch den mit 10 000 dotierten 3sat-Innovationspreis erhält, nicht gezeigt werden. Über die Gründe wurde viel spekuliert. Hier schildert Mondtag seine Sicht der Dinge.

Herr Mondtag, herzlichen Glückwunsch zur Theatertreffen-Einladung und zum Preis – für eine Arbeit, die paradoxerweise niemand mehr sehen kann, weder in Berlin noch in Dortmund. Wo liegt das Problem?

Nach allem, was ich mitbekommen habe, war mein Bühnenbild von den Dortmunder Werkstätten von Anfang an so provisorisch konstruiert worden, dass es fünf Tage dauern würde, es in Berlin wieder aufzubauen – was ja für den Normalbetrieb im Theater undenkbar ist. Zwei Aufführungstage dazugerechnet, hätte eine Bühne für ganze sieben Tage blockiert werden müssen.

Was den Berliner Festspielen trotz großer Bemühungen nicht gelungen ist.

Das ist ja auch Wahnsinn! Das weiß man ja, dass es sich kein Haus leisten kann, im laufenden Berliner Betrieb eine ganze Woche dichtzumachen für ein Gastspiel aus Dortmund. Und das HAU hatte sogar schon fünf Tage angeboten.

Der Aufbau wäre auch deshalb aufwendig gewesen, weil die Produktion in Dortmund abgespielt ist und das demontierte Bühnenbild kleinteilig „wie ein Puzzle“ in Containern lagert, sagt Intendant Kay Voges.

Das war schon das erste Ärgernis in dieser Geschichte: Die Produktion wurde sehr früh abgesetzt. Bereits vier Monate nach der Premiere.

Es sollen kaum noch Zuschauer gekommen sein.

Zu vielen Stücken anderer Regisseure kommen auch keine Zuschauer, die bleiben richtigerweise trotzdem im Repertoire. Wo kommen wir hin, wenn wir Inszenierungen absetzen, weil die Zuschauerzahlen niedrig sind? Wenn man Auslastung haben will, setzt man Justin Bieber auf den Spielplan oder lädt Helene Fischer in die Volksbühne. Mit der Argumentation wären auch Christoph Schlingensiefs Arbeiten nicht mehr zu sehen gewesen.

Hätte es denn aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit gegeben, die Produktion trotzdem in Berlin zu zeigen?

Ich verstehe nicht, warum das Bühnenbild nicht einfach neu gebaut wurde fürs Theatertreffen. Das wäre die einzig realistische Lösung gewesen.

Und eine wahnsinnig teure!

Das hätte zwischen 50- und 60 000 Euro gekostet. So etwas ist nicht undenkbar. Frank Castorfs „Faust“ letztes Jahr von der Volksbühne ins Festspielhaus zu holen, hat eine halbe Million gekostet. Es hätten also Alternativen diskutiert werden können. Und vor allem hätte man mich unbedingt einbinden müssen!

Der Theaterregisseur Ersan Mondtag, geboren 1987 in Berlin. Für "Das Internat" gewann er den 3sat-Preis.
Der Theaterregisseur Ersan Mondtag, geboren 1987 in Berlin. Für "Das Internat" gewann er den 3sat-Preis.
© Thomas Schröder

Sie wussten gar nicht Bescheid?

Ich habe erst über das Theatertreffen erfahren, dass die Arbeit nicht gezeigt werden kann. Die Leiterin, Yvonne Büdenhölzer, rief mich an, aber da war alles schon sehr weit fortgeschritten. Das hat mich im Nachhinein tierisch geärgert, weil ich mir sicher bin, dass ich dieses Gastspiel durchgeboxt hätte, vielleicht auch über andere Kanäle. Viele Intendanten haben mich angerufen und angeboten, mit ihren Werkstätten auszuhelfen.

Sie klingen verletzt.

Ich habe das Stück selbst entwickelt, fast über ein Jahr, das ist ja wie ein Kind, was man da entstehen lässt. Außerdem ging mir die Produktion natürlich auch deshalb nahe, weil sie trotz vieler Schwierigkeiten so gut geworden ist.

Apropos Schwierigkeiten: Sie sollen während der Proben Theatermitarbeiter beleidigt und Flaschen geworfen haben.

Es gab Situationen, da habe ich herumgeschrien und schmiss eine Plastikflasche auf mein Bühnenbild, weil ich sauer war, das stimmt. Aber kein Glas – und nicht auf die Schauspieler. Und außerdem muss man sich anschauen, wie es dazu kam.

Erzählen Sie!

Dass ich in Dortmund gearbeitet habe, ist recht kurzfristig entstanden. Kay Voges hat sich sehr darum bemüht, dass ich diese Produktion dort mache. Dass sein Haus – auch bezüglich der Gagen – nicht die Möglichkeiten größerer Theater hat, war klar. Dafür sollte es künstlerisch besonders werden, auch durch ein besonderes Bühnenbild.

Was ist schiefgelaufen?

Bei der ersten Probe gab es keine eingerichtete Probebühne, sondern nur einen leeren Raum mit gespannten Papierwänden. Wie soll ich da eine Inszenierung proben, bei der sich permanent das Bühnenbild dreht und 17 Leute rückwärts laufen, auf einer Schräge, mit zwei Stockwerken? Ich konnte also mit den Proben nicht beginnen und bin wieder abgereist. Das war der erste Konflikt. Wir wollten das nicht eskalieren lassen. Es gab die Garantie, dass sie mir die Bühne bis zwei Wochen vor der Premiere einrichten. Ich meinte: Okay, dann probe ich bis dahin nicht, sondern lasse die Schauspieler mit Bewegungstrainern arbeiten, möchte aber diese letzten beiden Wochen wirklich gut proben können. Kay Voges hat sich sehr reingehängt, das ist mir wichtig zu sagen. Aber bei der technischen Einrichtung neun Tage vor der Premiere stand nur ein Viertel des Bühnenbilds. Komplett aufgebaut wurde es erst am Tag der Premiere.

„Wir reproduzieren die sexistische Struktur, die wir bekämpfen wollen“

Ersan Mondtag hat das doppelstöckige Bühnenbild für sein Stück "Das Internat" selbst geschaffen.
Ersan Mondtag hat das doppelstöckige Bühnenbild für sein Stück "Das Internat" selbst geschaffen.
© Birgit Hupfeld

Was war der Grund?

Nach allem, was ich mitbekommen habe, waren die Werkstätten sowieso schon zu 120 Prozent ausgelastet. Das ganze Haus war am Anschlag, zumal es gerade saniert wurde und eine halbe Baustelle war. Offenbar sind an meinem aufwendigen Projekt die internen Überlastungsprobleme explodiert.

Und Sie gleich mit?

Ich bin total ausgeflippt, habe mir den Zeh gebrochen, weil ich aus Wut gegen einen Sessel trat. Ich stand unter einem enormen Druck, mich hat das wirklich kaputt gemacht: Ich hatte denen mein Werk gegeben, und die haben das aus meiner Sicht zerstört. In dieser Situation ist es zu sehr unschönen Szenen gekommen. Ich hatte mich nicht im Griff und habe die eigentlich alle nur noch fertiggemacht.

Keine konstruktive Lösung, oder?

Natürlich nicht. Aber es ist ja nicht so, dass man sich vornimmt: So, den schreie ich jetzt an. Sondern das passiert einfach in der Situation. Man ist total verzweifelt und verliert die Kontrolle über sich.

Im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen, die gelegentlich ausrasten, geben Sie immerhin öffentlich zu, sich „wie ein Arschloch verhalten“ zu haben.

Natürlich mache ich mich damit angreifbar. Im Nachhinein tut es mir immer leid. Aber es bringt ja nichts, zu behaupten, dass man perfekt wäre, ich weiß ja, dass ich herumschreie. Das kann man auch kritisieren. Aber darum geht es für mich in dem Moment gar nicht.

Sondern?

Theater ist Ausnahmezustand, das ist ein emotionaler Ort. Mich hat neulich beim Proben in Köln auch eine Schauspielerin von der Bühne herunter als Arschloch beschimpft. Da denke ich: Okay, die ist halt gerade überfordert, aber ich nehme das doch nicht persönlich!

Nein?

Klar verstehe ich, dass die Leute nicht angeschrien werden wollen auf der Arbeit. Ich bin mir auch bewusst, dass es ein Unterschied ist, ob eine Schauspielerin einen Regisseur anschreit oder umgekehrt. Das ist eine Konsequenz aus den Diskussionen der letzten beiden Jahre, dass man sagt: Wir wollen ein anderes Klima.

Sie spielen auf die MeToo-Debatte an, die im Theaterbetrieb eine Diskussion über Machtstrukturen und Arbeitsbedingungen angestoßen hat, geschlechterübergreifend.

Die Leute fühlen sich viel stärker ermutigt, Probleme zu formulieren – die ja tatsächlich existieren. Aber wenn wir sie beheben wollen, müssen wir über die Ursachen sprechen und nicht über die Symptome. Wir können nicht einfach ein Klima verändern, ohne zu überlegen, wodurch die Wolke überhaupt entsteht.

Und wodurch entsteht sie?

Im Theater arbeitet man mit den letzten möglichen Mitteln. Die Häuser wollen von den Künstlern ganz viel Leistung für ganz wenig Aufwand. Dieter Dorn hat früher vier Monate geprobt, heute hast du sechs Wochen. Es gibt kaum noch Bühnenproben, weil die Häuser zugepflastert sind mit Repertoirevorstellungen. Wenn abends eine Aufführung ist, muss dein Bühnenbild spätestens um 13 Uhr abgebaut werden, damit sie das andere aufbauen können. Das erzeugt einen enormen Arbeitsdruck auf dich als Regisseur, weil bei dir alles zusammenläuft und du das, was du vorhast, in immer kürzerer Zeit realisieren musst.

Und diesen Druck gibt man einfach weiter?

Schon klar, dass das nicht angemessen ist, aber auf jeden Fall muss man sich die Problematik in ihrer ganzen Komplexität anschauen, statt einfach nur die Regisseure zu verteufeln. Ich würde auch nie sagen: Es liegt alles an der Politik. Die Dinge sind komplexer, auch das Publikum trägt zum Beispiel Mitverantwortung.

Das Publikum?

Ja. Weil es, um auf MeToo zurückzukommen, bestimmte Stücke nicht toleriert und nur zu Schiller geht. Wenn man aber beim überlieferten Kanon bleibt, muss man auch akzeptieren, dass dann nur männliche Autoren aufgeführt werden: Büchner, Schiller, Hebbel, Goethe. Damit reproduzieren wir genau die sexistische Struktur, die wir bekämpfen wollen.

Und die sich von den Autorinnen weiterführen lässt zu den Schauspielerinnen, weil die kanonischen Frauenrollen ja auch nicht gerade facettenreich sind.

Solange Frauen Figuren spielen müssen wie Amalia oder Ophelia, also immer Opfer, immer Sterbende, Weinende, von mächtigen Männern Vergewaltigte und Angespuckte, werden wir auch genau dieses Verhältnis weitererzählen. Aber an das Problem des Kanons trauen sich die meisten nicht heran. Da kannst du dir die Finger verbrennen, deine Zuschauer verlieren und dann deine Intendanz.

In Ihrer Kölner „Räuber“-Inszenierung ließen Sie Karl und Franz Moor von Frauen spielen – eine elegante Lösung.

Wenn ich im Kanon arbeiten muss und Kolleginnen gleichberechtigt auftreten lassen will, muss ich ja irgendetwas tun mit diesen Geschlechterrollen. Ich will Schauspielerinnen ja nicht verwehren, auf der Bühne ihre Intellektualität auszuleben, bloß weil sie in einem Theaterbetrieb sind, in dem die großen intellektuellen Konflikte von männlichen Figuren ausgetragen werden.

Gerade proben Sie am Maxim Gorki Theater Sibylle Bergs „Hass-Triptychon“. Die Uraufführung findet Ende Mai bei den Wiener Festwochen statt, im Herbst kommt das Stück nach Berlin. Gab es schon Plastikflaschenwürfe?

(Lacht.) Nein. Ich arbeite ja schon daran, nicht auszuflippen, und seit Dortmund ist mir das auch ganz gut gelungen. Aber das Gorki ist sowieso ein spezielles Haus, nicht nur wegen der Intendantin Shermin Langhoff. Es ist wie eine Familie dort, die sind sehr eng miteinander. Und es sind einfach gute Leute, auch die Technik, da sind viele noch aus der DDR. Die Osttheater funktionieren meiner bescheidenen Erfahrung nach so gut, weil es eine große Identifikation mit den Häusern gibt. Da wirkt eine Tradition fort.

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